Die Rückkehr von Sherlock Holmes. Sir Arthur Conan Doyle

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Die Rückkehr von Sherlock Holmes - Sir Arthur Conan Doyle


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ein geduldiges Publikum früher oder später doch vorgesetzt bekommen wird, keine Stätte haben.“

      „Der Mann sieht aber keinesfalls wie ein Verbrecher aus,“ bemerkte ich.

      „Das ist ein bedenkliches Beweismittel, lieber Watson. Erinnerst du dich noch an den gefährlichen Mörder Bernt Steven, der im Jahre 1887 unsere Hilfe in Anspruch nahm? Gab es einen kindlicher und harmloser aussehenden Menschen als den?“

      „Das stimmt.“

      „Wenn es uns nicht gelingt, seine Unschuld durch triftigere Beweise darzutun, ist unser Mann verloren. Die Lestradesche Argumentation ist durch alle späteren Nachforschungen gestützt worden, keine einzige Tatsache steht mit ihr in Widerspruch. Nur die fehlenden Papiere würden dagegen sprechen. Das ist der einzige wunde Punkt, und von dem aus muss eine neue Untersuchung von unserer Seite ihren Ausgang nehmen. Bei Durchsicht des Bankbuches habe ich gefunden, dass der ungünstige Stand am Schlusse hauptsächlich von grossen Wechselforderungen herrührt, die im letzten Jahre an einen Herrn Cornelius ausgezahlt worden sind. Ich möchte nun zu gern wissen, wer dieser Herr Cornelius ist, mit dem ein Architekt, der sich zur Ruhe gesetzt hat, so grosse Geldgeschäfte treibt. Es ist nicht unmöglich, dass er bei der ganzen Sache die Hand im Spiel hat. Er ist vielleicht ein Agent oder Kommissionär, aber wir haben keine Spur von einer Korrespondenz über diese grossen Zahlungen gefunden. Aus Mangel an besseren Angriffspunkten müssen meine Nachforschungen zunächst mit einer Nachfrage an der Bank nach jenem Herrn beginnen, der die Wechsel einkassiert hat. Immerhin glaube ich eher, mein lieber Junge, dass dieser Fall unseren Ruhm nicht erhöhen wird. Lestrade wird wohl unseren Klienten aufknüpfen lassen, und Scotland Yard wird triumphieren.“

      Ich weiss nicht, ob und wie Holmes in jener Nacht geschlafen hat, aber als ich zum Frühstück kam, fand ich ihn blass und müde aussehend; seine klaren Augen erschienen infolge der dunkeln Ringe noch klarer als sonst. Auf dem Teppich unter seinem Stuhl lagen Zigarettenstummel und die ersten Ausgaben der Morgenblätter. Auf dem Tisch lag ein geöffnetes Telegramm.

      „Was sagst du dazu, Watson?“ fragte er, indem er mir die Depesche zuwarf.

      Sie kam von Norwood und lautete folgendermassen:

      „ Wichtigen neuen Beweis gefunden. Farlanes Schuld endgültig festgestellt. Rate Ihnen, den Fall aufzugeben. —

      Lestrade.“

      „Das klingt ernst,“ sagte ich.

      „Es ist Lestrades Siegesnachricht,“ meinte Holmes, bitter lächelnd. „Und doch würde es zu früh sein, die Sache verloren zu geben. Ein frischer Beweis ist wie ein zweischneidiges Schwert; er kann leicht das Gegenteil dessen beweisen, was Lestrade denkt. Frühstücke rasch; wir wollen, dann zusammen hinausfahren und sehen, was sich tun lässt. Ich habe das Gefühl, als ob ich heute deine Gesellschaft und deine moralische Unterstützung brauchte.“

      Mein Freund hatte nichts gegessen. Es war eine seiner Eigenarten, in besonderen Momenten keine Nahrung zu sich zu nehmen, und ich habe Fälle mitgemacht, wo er sich auf seine eiserne. Natur verliess, bis er vor Hunger ohnmächtig wurde. „Gegenwärtig habe ich keine Kraft zum Verdauen übrig,“ pflegte er mir auf meine ärztlichen Vorhaltungen zu antworten. Es fiel mir daher nicht weiter auf, als er auch heute das Frühstück nichl anrührte und nüchtern mit mir nach Norwood aufbrach.

      Um Deep Dene House waren noch eine Menge Neugieriger versammelt. Das Haus und seine Lage hatte ich mir ganz richtig vorgestellt. In der Türe kam uns Lestrade mit der Miene des Siegers entgegen.

      „Nun, Herr Holmes, wer hat recht? Haben Sie Ihren Landstreicher schon?“ rief er uns zu.

      „Ich habe mir noch kein endgültiges Urteil gebildet,“ erwiderte mein Freund.

      „Aber wir haben uns gestern unseres schon gebildet und heute hat es sich als richtig erwiesen. Sie müssen also zugeben, dass wir Ihnen diesmal etwas voraus sind, Herr Holmes.“

      „Sie tun so, als ob Sie etwas Besonderes gefunden hätten, als ob ein unerwartetes Moment eingetreten wäre,“ sagte Holmes.

      Lestrade lachte laut auf.

      „Ich glaub’ Ihnen schon, dass Sie sich ebenso ungern schlagen lassen, wie die meisten von uns auch. Man kann jedoch nicht erwarten, dass man stets recht behält, nicht wahr, Herr Doktor? Kommen Sie mit mir, meine Herren, ich glaube, Sie jetzt von der Schuld des jungen Farlane definitiv überzeugen zu können.“

      Er führte uns durch einen Gang in einen ziemlich dunklen Vorsaal.

      „Hier muss Farlane nach Verübung des Verbrechens durchgekommen sein und seinen Hut geholt haben,“ sagte er weiter. „Nun, sehen Sie hier.“ Mit theatralischem Gebahren zündete er ein Streichholz an und zeigte uns einen Blutflecken an der weissgetünchten Wand. Als er das Streichholz näher hielt, sah ich, dass es kein blosser Spritzer, sondern ein deutlicher Daumenabdruck war.

      „Nehmen Sie mal die Lupe, Herr Holmes.“

      „Jawohl, ich bin schon im Begriff.“

      „Es ist Ihnen wohl bekannt, dass zwei Daumen niemals denselben Abdruck geben?“

      „Ich habe schon davon gehört.“

      „Dann vergleichen Sie ihn, bitte, mit diesem Wachsabdruck hier, den ich heute morgen vom Daumen des jungen Farlane habe nehmen lassen.“

      Als er den Wachsabdruck neben den Blutflecken hielt, bedurfte es keines Vergrösserungsglases, um zweifellos zu erkennen, dass beide von demselben Daumen herrührten. Ich sah ein, dass unser unglücklicher Klient verloren war.

      „Das ist das Schlussglied der Beweiskette,“ sagte Lestrade.

      „Ja, das ist das Schlussglied,“ wiederholte ich mechanisch.

      „Das ist die Entscheidung,“ sagte Holmes.

      In seiner Stimme fiel mir etwas auf. Ich drehte mich um und sah ihn an. Sein Ausdruck war vollständig verändert. Er verriet innere Freude. Die Augen glänzten wie Sterne. Mir schien es, als ob er gewaltsam das Lachen unterdrücken müsste.

      „Herr des Himmels!“ rief er endlich aus. „Wer hätte so was gedacht? Wie einen das Aussehen eines Menschen doch täuschen kann, wahrhaftig! Allem Anschein nach war er so ’n netter Mann! Es wird eine Lehre für uns sein, unserem eigenen Urteil nicht allzusehr zu vertrauen, nicht wahr Lestrade?“

      „Allerdings, Herr Holmes; es gibt Leute, die ein bisschen zu selbstbewusst, von der Richtigkeit ihrer Auffassung zu sehr eingenommen sind,“ antwortete Lestrade. „Der trat so unverfroren und scheinheilig auf, dass man’s ihm wirklich nicht zugetraut hätte.“

      „Und wie fürsorglich er gehandelt hat, indem er seinen rechten Daumen an die Wand drückte, als er den Hut vom Haken nahm! Und wie natürlich das ausserdem ist, wenn man genauer darüber nachdenkt!“ Holmes war äusserlich ruhig, während er so sprach, aber einem genauen Kenner wie mir konnte die unterdrückte Erregung nicht verborgen bleiben. „Uebrigens, Herr Lestrade, wer hat denn diese grossartige Entdeckung eigentlich gemacht?“

      „Die Haushälterin hat den Polizisten, der die Nachtwache hatte, darauf aufmerksam gemacht.“

      „Wo befand er sich während der Nacht?“

      „Er wachte im Schlafzimmer, wo das Verbrechen begangen worden ist, und passte auf, dass alles unberührt liegen blieb.“

      „Aber warum ist dieses Zeichen nicht schon gestern bemerkt worden?“

      „Weil wir keinen besonderen Grund hatten, dieses Vorzimmer eingehender zu untersuchen. Ausserdem ist es an keiner auffallenden Stelle, wie Sie sehen.“

      „Nein, nein, allerdings nicht. Und es besteht vermutlich doch kein Zweifel, dass es gestern schon dort war?“

      Lestrade sah Holmes an, als ob er ihn für nicht ganz zurechnungsfähig hielt. Ich muss gestehen, dass ich selbst über seinen guten Mut und über seine Bemerkungen erstaunt war.

      „Es scheint mir beinahe, als ob Sie glaubten, dass Farlane im Dunkel der Nacht aus dem Gefängnis hierher


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