Die Rückkehr von Sherlock Holmes. Sir Arthur Conan Doyle

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Die Rückkehr von Sherlock Holmes - Sir Arthur Conan Doyle


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      „Nun, das genügt mir,“ sagte Lestrade. „Ich bin kein Theoretiker, Herr Holmes, ich bin ein Praktiker, und wenn ich die Beweismittel habe, ziehe ich meine Schlüsse daraus. Sollten Sie mir später noch etwas mitzuteilen haben, so finden Sie mich im Empfangszimmer; ich will dort meinen Bericht niederschreiben.“

      Holmes hatte seinen seelischen Gleichmut wiedergefunden, aber ich sah ihm an, dass er doch noch gutgelaunt war.

      „In der Tat, die Sache hat eine sehr schlimme Wendung genommen, nicht wahr, Watson?“ sagte er zu mir, als wir allein waren. „Und doch gibt es einzelne Punkte, von denen noch Hoffnungsstrahlen für unseren Klienten ausgehen.“

      „Das freut mich ungemein,“ antwortete ich von Herzensgrunde. „Ich fürchtete, es sei ganz aus mit ihm.“

      „Das möchte ich noch nicht sagen, mein lieber Watson, denn Lestrades Beweis hat tatsächlich eine Lücke, die für unseren Freund von grösster Wichtigkeit ist.“

      „Wirklich, Holmes?! Die wäre?“

      ,,Das ist der Umstand, dass ich weiss, dass dieser Flecken noch nicht dort war, als ich gestern diesen Vorraum untersuchte — komm Watson, wir wollen jetzt einen kleinen Spaziergang draussen in der Sonne machen.“

      Ich begleitete ihn. Im Kopfe war ich ziemlich wirr, aber im Herzen hatte ich neue Hoffnung. Wir gingen im Garten umher. Holmes nahm das Haus von allen Seiten genau in Augenschein und zeigte ein auffallendes Interesse an der Bauart. Dann ging er hinein und untersuchte das ganze Gebäude vom Grund bis zum Dach. Die meisten Räume waren unmöbliert, aber Holmes besah sie sich doch. Endlich auf dem obersten Treppenflur, auf den drei unbenützte Zimmer mündeten, zeigte er eine grenzenlose Freude.

      „Dieser Fall ist wirklich einzig in seiner Art, Watson,“ sagte er. „Ich glaube, es ist nun an der Zeit, dass wir den guten Lestrade ins Vertrauen ziehen. Er hat sich auf unsere Kosten ein bisschen lustig gemacht, nun, wenn meine Ansicht sich als richtig erweist, können wir’s ihm jetzt heimzahlen. Oh ja, ich sehe, wir kommen der Sache auf den Grund.“

      Der Polizeiinspektor sass noch im Empfangszimmer und schrieb.

      „Sie machen Ihren Bericht?“ unterbrach ihn Holmes.

      „Jawohl, das tue ich.“

      „Meiner Meinung nach ist es noch etwas zu früh; ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, Ihr Beweis hat eine Lücke.“

      Lestrade kannte meinen Freund zu gut, um seine Worte nicht zu beachten. Er legte die Feder beiseite und blickte ihn gespannt an.

      „Was wollen Sie damit sagen, Herr Holmes?“

      „Ich meine nur, dass Sie einen wichtigen Zeugen noch nicht vernommen haben.“

      „Können Sie ihn beibringen?“

      „Ich glaube, ich kann’s.“

      „Dann tun Sie’s doch!“

      „Ich will’s versuchen. Wieviele Polizisten haben Sie hier?“

      „Drei stehen Ihnen zur Verfügung.“

      „Schön,“ sagte Holmes. „Darf ich fragen, ob es kräftige Männer mit guten Lungen sind?“

      „Ich zweifle nicht daran; aber ich sehe vorläufig nicht ein, was die Beschaffenheit ihrer Lungen mit der Sache zu tun hat.“

      „Das werden Sie bald erfahren, und hoffentlich noch viel mehr,“ antwortete Holmes.

      „Rufen Sie, bitte, Ihre Leute. Ich will das Experiment beginnen.“

      Nach fünf Minuten waren die drei Schutzleute zur Stelle.

      „Im Nebengebäude werden Sie eine grössere Menge Stroh vorfinden. Wollen Sie, bitte, zwei Bund davon hierherbringen,“ sagte Holmes. „Ich glaube, es wird uns zur Herbeischaffung des fehlenden Zeugen vortreffliche Dienste leisten. — Recht so. Ich danke Ihnen bestens. Hast du Streichhölzer, Watson? Nun, Herr Lestrade, bitte ich Sie und Ihre Leute, mit mir auf den oberen Korridor zu kommen.“

      Wie ich erwähnt habe, mündeten auf diesen geräumigen Vorplatz drei leere Kammern. Holmes gebot uns, recht still zu sein, und dirigierte uns alle an das eine Ende. Die Polizisten grinsten, und Lestrade starrte meinen Freund erstaunt an. In seinem Gesicht wechselten der Ausdruck der Verwunderung, der Erwartung und des Spottes miteinander ab. Holmes stand vor uns wie ein Zauberer, der ein Kunststück zeigen will.

      „Wollen Sie so gut sein und einen Mann zwei Giesskannen voll Wasser holen lassen? Legen Sie das Stroh hier mitten auf den Boden, sodass es die Wand nicht berührt. Nun sind wir mit den Vorbereitungen wohl fertig.“

      Lestrade fing an, ärgerlich zu werden.

      „Ich weiss nicht, ob Sie sich einen Scherz mit mir erlauben wollen, Herr Holmes,“ sagte er. „Wenn Sie etwas wissen, so können Sie es auch ohne diesen Hokuspokus sagen.“

      „Ich kann Ihnen die Versicherung geben, mein lieber Lestrade, dass ich für alles, was ich tue, meine guten Gründe habe. Sie können sich vielleicht entsinnen, dass Sie mich vor ein paar Stunden, als Ihnen das Glück zu lächeln schien, auch ein wenig uzten, nun dürfen Sie mir das bisschen Zeremoniell aber auch nicht gleich übernehmen. Willst du nun das Fenster dort aufmachen, Watson, und das Stroh anzünden?

      Ich tat, was er mich geheissen hatte. Infolge des Zuges erhob sich bald eine dicke graue Rauchwolke, das trockene Stroh prasselte, und die hellen Flammen schlugen empor.

      „Nun müssen wir sehen, ob Ihr Zeuge herauskommt, Lestrade. Darf ich Sie bitten, gleichzeitig mit mir in den Ruf ,Feuer!‘ auszubrechen? Also: eins, zwei, drei —”

      „Feuer!“ schrien wir alle.

      „Danke Ihnen. Ich muss Sie noch einmal bemühen.“

      „Feuer!“

      „Nun zum drittenmal, meine Herren, so laut Sie können —”

      „Feuer!“, Ganz Norwood muss es gehört haben.

      Der Ruf war kaum verhallt, als etwas Ungeahntes eintrat. An der scheinbar soliden Wand am Ende des Korridors tat sich plötzlich eine Tür auf, und hervorstürzte, wie ein Kaninchen aus seinem Loch, ein kleines, schmächtiges Männlein mit grauem Haar und weissen Wimpern.

      „Ausgezeichnet!“ rief Holmes. „Watson, einen Eimer Wasser aufs Stroh! Gut so! — Herr Lestrade, erlauben Sie, dass ich Ihnen den fehlenden Hauptzeugen vorstelle, Herrn Jonas Oldacre.“

      Das kleine Männchen blinzelte, geblendet von dem hellen Tageslicht, unaufhörlich mit den Augen, und guckte bald uns an, bald das qualmende Stroh. Er hatte ein widerwärtiges Gesicht — verschmitzt und bösartig — und hellgraue, listige Augen.

      Der Detektiv starrte die geisterhafte Erscheinung sprachlos an. Nach einer Weile fand er endlich wieder Worte.

      „Was soll denn das heissen?“ sagte er. „Wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt, he?“

      Oldacre fuhr zurück, vor dem zorngeröteten Gesicht des Inspektors und erwiderte dann mit erzwungenem Lächeln:

      „Ich hab’ nichts Böses getan.“

      „Nichts Böses? Sie wollten einen unschuldigen Mann an den Galgen bringen. Wenn dieser Herr nicht gewesen wäre, würde es Ihnen wahrscheinlich auch gelungen sein.“

      Das traurige Geschöpf fing an zu winseln.

      „Sicher, Herr, es war nur ’n Spass.“

      „Ein eigentümlicher Spass! Sie sollen nicht darüber zu lachen haben, dafür bin ich Ihnen gut. Nehmt ihn mit hinunter und haltet ihn im Wohnzimmer fest, bis ich komme. — Herr Holmes,“ fuhr er fort, als die Schutzleute hinunter gegangen waren, „ich konnte in Gegenwart der Leute nicht sprechen, aber im Beisein des Herrn Dr. Watson erkläre ich frei heraus: das ist der feinste Streich, den Sie je ausgeführt haben — es ist mir freilich noch ein Rätsel, wie Sie’s angefangen haben — Sie haben einen Unschuldigen gerettet und einen grossen


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