Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Auerbach Berthold

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Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Auerbach Berthold


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der Herrenstube. Der Soldat ging im Hausflur auf und ab wie ein Wachtposten und seine Gedanken gingen mit ihm hin und her: sollte er auch hinein in die Herrenstube und sich austischen lassen? Aber wer weiss, wozu das führt? Es sind viele Fälle möglich. Der Schluss blieb jenes letzte Mittel, das Gelehrten und Ungelehrten gleich genehm ist, nämlich: vor Allem und vor der Hand nichts thun — da macht man nichts gut und nichts böse und kann getrosten Muthes und ruhigen Gewissens die kommenden Ereignisse abwarten.

      ––––––––––

      Viertes Kapitel.

      Der Soldat ging nach dem Schafmarkt. Viele Hurden waren bereits leer, die noch zurückgebliebenen Schäfer hatten ihre Mäntel bereits lose zusammengerollt auf der Schulter hängen. Das Marktgewühl brauste und toste in der Ferne, hier aber war Alles so still wie auf einsamer Höhe, an deren Fuss ein wildrauschender Bach über Felsen braust; nur bisweilen hörte man das klagende Blöcken eines Schafes, dem ein Metzger durch einen Schnitt ins Ohr das Kennzeichen seines Eigenthums gab. Die also bezeichneten Schafe duckten die Köpfe und sahen traurig und dumpf nieder, als wüssten sie, dass die Tage ihres Weidganges gezählt sind. Von einer Heerde führte ein Metzger eben einen Hammel weg, und das sonst so geduldige Thier war störrig und musste mehr gezogen und geschoben werden als dass es ging; es kümmerte sich wenig um Bellen und Beissen des Hundes und blöckte nur kläglich. Der Soldat schaute dem Allem mit dumpfer Verwunderung zu; er war selber Schäfer gewesen und doch war ihm alles Das wieder neu und fast seltsam. Er sah die Hurde seines Bruders, des Schäfers Medard, den wir beim Ausspannen gesehen haben, und schon von fern zerrte der falbe Hund an der Kette, die am Gurte seines Herrn befestigt war und weckte diesen aus stillem Niederschauen, so dass er aufblickend rief:

      ,,Hast sie gefunden?“

      Der Soldat nickte mit dem Kopfe und erst als er bei seinem Bruder war und den Hund gestreichelt hatte, erzählte er, wie er die Fränz allein auf dem Markte getroffen, wie sie miteinander umhergeschlendert und eben zum Tanze gehen wollten, als Diethelm dazwischen kam und ihn so sonderbar davon schickte.

      Der Schäfer dagegen berichtete, wie es ihm sei, als ob die ganze Welt aus dem Leim ginge: daheim habe der Meister so nöthlich gethan, wie wenn Alles bei ihm auf Spitz und Knopf stehe und kaum auf den Markt gekommen, kaufe er wie besessen ein und thue, wie wenn er fragen möchte, was kostet das Schwabenländle? Er habe die Hämmel verkauft und könne den Herrn nirgends finden, um ihm das Geld zu geben. Ueberhaupt erzählte er, sei der Meister seit fast einem Jahr zweierlei Menschen: bald streichle er Einen wie mit Sammtpfoten, bald sei er ein borstiger Igel, bald lobe er Alles, bald mache man ihm gar nichts recht. Die Brüder besprachen sich noch lange über das seltsame Wesen des Meisters, denn auch der Soldat hatte ehemals bei Diethelm als Schäfer gedient.

      Als der Schäfer äusserte, dass Diethelm vielleicht um so grösser thue, je kleiner er geworden sei und vielleicht noch einen tüchtigen Raps mache, so lang man ihm traue, fuhr der Soldat dagegen los, als ob er selber beleidigt wäre, und es war noch mehr als das: denn da gilt ja gar nichts mehr, wenn man gegen solch’ einen Mann nur so was denken darf; worauf der Andere lächelnd erwiderte:

      ,,Büble, Büble, du wirst dein Lebtag nicht gescheit; du glaubst den Leuten, was sie dir vormachen. Lass sehen, was du für Tubak hast,“ schloss er und nahm dem Soldaten die Pfeife aus dem Mund und rauchte sie weiter; der Soldat sagte kein Wort dazu.

      Es war ein seltsames Brüderpaar, das da bei einander sass. Medard hätte bei Alter nach der Vater Munde’s sein können, aber ähnlich sahen sich die Brüder nicht. Medard hatte ein langes dürres Gesicht, das durch den zottigen Backenbart und die aufgesträubten röthlichen Augenbrauen Aehnlichkeit mit dem Schäferhunde hatte, während Munde kugelrund aussah und Angesicht und Hals von dunkelbrauner Farbe war; er hatte kohlichwarzes Haar und kleine in fetten Augenlidern versteckte braune Augen, aus denen ein stilles sanftes Gemüth sprach. Medard sah aus, als könnte er nie lachen, und Munde sah noch jetzt in seiner Betrübniss aus, als könnte Schmerz und Zorn keine Heimath in seinem Gesichtsausdruck finden.

      Medard war gerade um fünf und zwanzig Jahre älter als sein Bruder, und diese beiden und noch eine Schwester, die dem alten Vater in Buchenberg Haus hielt, waren von neun Kindern am Leben geblieben. Als der kleine Munde so verspätet und plötzlich geboren wurde, verliess Medard unter Verwünschungen das väterliche Haus und betrat sechs volle Jahre dessen Schwelle nicht mehr. Es war nicht Aerger wegen des Erbes — da war ja nichts zu theilen — aber Medard schämte und ärgerte sich über den nachgebornen Bruder, dass er von seinen Eltern gar nichts mehr wissen wollte; er verdingte sich weit weg und kam erst nach sechs Jahren wieder, als er aus dem Zuchthause entlassen wurde, wo er wegen einer Rauferei, in der er einen Nebenbuhler erschlagen, fünf Jahre gebüsst hatte. Es war ihm nun doch nichts übrig geblieben, als in das elterliche Haus zurück zu kehren. Als er zum Erstenmal wieder in des Vaters Stube trat — die Mutter war schon seit sechs Jahren gestorben, und wie der Vater sagte, an den Folgen der Verheimlichung ihrer Schwangerschaft, die sie vor dem erwachsenen Sohne verbergen wollte — da war’s, als ob der kleine Munde es dem Bruder wie mit Zauber angethan hätte; er umklammerte gleich beim Eintreten seine Füsse und Medard liess den schon ziemlich grossen Bengel oft Stunden lang nicht vom Arm herunter und tollte mit ihm wie närrisch umher, die ganze verhaltene Bruderliebe schien auf Einmal sich zu entfalten und eine Sühne für seine früher verübte Härte zu Tage zu fördern.

      Diethelm that gerade um diese Zeit eine grossartige Schäferei auf und auf die Bitten des alten Schäferle und die Zureden seiner Frau nahm er den Medard in Dienst, der nun von Georgi bis Michaeli im freien Felde war und stets den Munde bei sich hatte und ihn mit einer Sorgfalt ohne Grenzen wartete und pflegte. Der alte Schäferle überliess ihm gern das Kind; er war mit Allem zufrieden, wenn er nur hinlänglich Tabak hatte, um seine Holzpfeife in beständigem Brand zu erhalten. Medard versorgte ihn jetzt mit Tabak, während er sonst oft hatte dürre Nussblätter rauchen müssen.

      Wenn Medard manchmal dachte, dass ihm das Kind sterben könnte, fühlte er alle Haare zu Berg stehen. Stundenlang konnte er in das braune Antlitz und in die dunkeln Augen des Knaben schauen und sich nur ärgern, dass dieser ihn gewiss nicht so lieb habe, wie er ihn, es wenigstens nicht darthun konnte; dann konnte er aber auch stundenlang vor sich hin lächeln über eine einfältige oder kluge Bemerkung des Munde. Auf den falben Schäferhund, den Passauf, war Medard oft eifersüchtig, denn der Knabe war mit dem Hund so zutraulich und verschwendete an ihn so viel Liebe, die doch ihm gebührte. An Einer Sache hatte aber Medard stets seine ungetrübte Freude. Munde war nämlich äusserst gelehrig in der Musik. Vielleicht ist es noch ein Ueberbleibsel aus den verklungenen Schalmeienzeiten, dass die Schäfer in der Regel kunstfertige Pfeifer sind, und Medard war hierin noch ein besonderer Meister. Er verstand nicht nur den nothwendigen Signalpfiff, der dem Passauf als Commando galt, er konnte auch alle Vögel des Waldes nachahmen und hatte noch dazu eine unerschöpfliche Quelle von Lieder- und Tanzweisen, in denen er trillern konnte wie ein Kanarienvogel. Er lehrte nun den Munde diese Fertigkeit, und wenn der Knabe dann vor ihm stand und den Mund spitzte und hellauf pfiff, umfasste Medard mit beiden Händen seine Schäferschippe und bohrte sie tief in den Boden vor Freude. Im Herbst lockte Medard andere Knaben zu sich aufs Feld, damit sie mit dem Munde spielen, denn dieser kam ihm manchmal so traurig und nachsinnend vor, so verlassen wie ein Schäfchen, das von der Heerde genommen ist, und das einsam in sich hinein jammert. Da däuchte es dann Medard, als ob sein Munde über Alle herrsche, sie beugten sich ihm ungeheissen, und alte Sagen kamen ihm in den Sinn, wie ein Schäferknabe plötzlich zu einem König geworden und eine schöne Prinzessin im diamantenen Palaste zum Ehegemahl erhielt. Er lächelte wohl über diese Sagen, er wusste ja, dass daran kein wahres Wort sei, aber Munde war gewiss zu etwas Grossem geboren, wenn auch just nicht zu einem König; und dann wollte sich Medard in seinen alten Tagen das Gnadenbrod bei ihm ausbitten und unter der Stallthür stehend glücklich sein, wenn sein Bruder in der Kutsche dahinfuhr oder auf einen schönen Apfelschimmel daherritt. Was lässt sich nicht Alles ausdenken draussen bei den still weidenden Thieren! Medard erschien sich oft ganze Wochen wie verzaubert, Alles, was er that, kam ihm so vor, als wäre das nur für einstweilen, nur noch jetzt, in einer Stunde wird’s anders; da kommt auf einmal ein gross Glück. Und manchmal konnte er es gar nicht fassen, dass der Munde noch so klein und jung sei und noch so lange zu wachsen habe, bis er ein grosser Mann, mindestens ein reicher


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