Kampf um Wien. Hugo Bettauer

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Kampf um Wien - Hugo Bettauer


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Gnade oder tun wenigstens so. Ich sehe hier mehr Sinnesfreude, glaube, daß die Wienerinnen sich und ihre Gefühle nicht so ängstlich verbergen, mehr des Wertes der reinen Weiblichkeit bewußt sind.“

      Frau Hedi lachte girrend auf.

      „Sie beobachten gut. Und bald werden Sie reiche Erfahrungen sammeln können. Die Wienerinnen werden Ihnen nicht allzu spröde entgegenkommen, man weiß hier sehr wohl echte unverbrauchte Männlichkeit zu schätzen. Sehen Sie, wenn ich noch Mädchen wäre, würde ich mich wahrscheinlich in Sie verschießen. So wie Sie war mein Backfischideal.“

      Verlegen, über diese unvermittelte Attacke fast erschrocken, erwiderte Ralph:

      „Nun, Sie werden doch bei der Wahl des Gatten von Ihrem Ideal nicht allzu weit abgewichen sein.“

      Frau Hedi lachte hart auf und machte eine wegwerfende Bewegung.

      „Was hat der Gatte mit dem Ideal zu tun? Dort steht mein Mann, sieht so ein Mädchenideal aus?“

      Und sie wies auf ein dürres Männchen mit Glatze und gewölbtem Rücken.

      „Warum ich ihn geheiratet habe? Mein Gott, Mama und Papa haben gemeint, er sei eine gute Partie und schließlich – ich war aufgeklärt genug, um zu wissen, daß heutzutage die Ehe nur eine gesellschaftliche Form ist, um der Frau mehr Freiheit zu geben. Aber das ist kein Jourgespräch! Bitte, besuchen Sie mich doch an einem Nachmittag. Oder noch besser, wir treffen uns zunächst ganz zwanglos nachmittags im Tabarin oder beim Five-o’clock im Bristol. Rufen Sie mich vorher an. Ich bin überzeugt davon, daß wir gute Freunde werden können.“

      Vor Ralph tauchte ein feines, süßes Mädelgesicht mit lustigen, guten Kinderaugen auf, aber er war jung, lebenshungrig, die Frau reizte seine Sinne und er nahm gut gelaunt die Einladung an.

      Man sammelte sich im Salon. Anton Korn wurde dringend aufgefordert, etwas vorzutragen, und er tat dies mit meisterhafter Charakterisierung. Ralph verstand nur wenig davon, weil er die persiflierten Personen nicht kannte, aber er fühlte, wie hier ein großes, geistvolles Talent sich in kleiner Münze verausgabte. Und schon wurde er von dem Hausherrn in einen Kreis von Herren gezogen, die die Wiener Bank- und Finanzwelt repräsentierten. Das Gespräch drehte sich sofort um die mitteleuropäischen Probleme, die neue Notenbank, die Frage, ob Amerika ernstlich zugunsten des von den Franzosen schikanierten Deutschlands Schritte tun werde, immer wieder aber flog das Wort „Sanierung Österreichs“ auf und Generaldirektor Klopfer-Hart richtete direkt die Frage an Ralph, ob und wie er sich eine gründliche Regenerierung Österreichs vorstelle, worauf tiefe Stille eintrat und alles gespannt auf die Antwort wartete.

      Ralph hatte das Empfinden, äußerst vorsichtig sein zu müssen, fühlte, wie ihm Fußangeln gelegt waren, und sagte bedächtig:

      „Meine Herren, ich kenne dieses Land nur vom Gesichtswinkel einer gütigen Frau, die Wien über alles liebte. Aber die ökonomischen Bedingungen sind mir fremd, wie mir auch die äußersten Entwicklungsmöglichkeiten und alles das unbekannt ist, was eigentlich Österreich in den vergangenen vier Jahren verhindert hat, auch nur einen bescheidenen Versuch zum Aufstieg zu machen.

      Immerhin – prinzipiell stehe ich auf dem Standpunkt, daß es sich bei Österreich nicht um sogenannte Aktionen handelt, nicht um die gewaltsame Unterbrechung eines naturgemäßen Prozesses, sondern um tiefschürfenden Wiederaufbau.“

      „Wie soll der aber möglich sein?“ rief ein nationalökonomischer Schriftsteller mit schwarzem Hängebart, „wenn dieses Land fast all seiner natürlichen Schätze beraubt ist, alle Rohstoffe einführen soll und nicht genug Werte erzeugen kann, um mit Ware zu bezahlen.“

      „Hat Dänemark Holz, Eisen, Erze, Öl? Ist die Schweiz nicht ganz und gar auf den Import aller Rohprodukte angewiesen? Und gehen etwa diese Länder zugrunde? Ich bin kein Nationalökonom, aber ich denke, daß jeder eingeführte Rohstoff sich an Wert verzehnfacht, wenn er als Fertigfabrikat wieder ausgeführt wird. Man muß in Österreich neue Industrien schaffen, muß Uhrenfabriken, Schreibmaschinenfabriken, Glashütten errichten. Die Errichtung solcher Fabriken modernster und größter Art würde die Arbeitslosigkeit beheben, späterhin der Export die Handelsbilanz regulieren. Vielleicht, ich weiß es noch nicht, daß ich mich entschließen würde, für solche Zwecke Kredit einzuräumen.“

      Die anwesenden Bankleute sahen einander verständnisvoll an. Nun eröffneten sich allerlei Möglichkeiten. Neue mächtige Aktiengesellschaften, Konsortien, Truste schwebten ihnen vor, fundiert mit amerikanischem Geld. Und neue Verwaltungsrats-, Generaldirektoren-, Direktoren- und Präsidentenstellen.

      Ein deutschnationaler Abgeordneter warf skeptisch ein:

      „Sie übersehen, daß man bei uns nicht arbeiten will; Achtstundentag, Betriebsräte, Feiertage, Überstunden, Lohnforderungen – das ja, aber arbeiten? Keine Spur!“

      Ralph sah den Herrn, dessen weinrotes Näslein und feistes Fettbäuchlein durchaus nicht den Hang zu übermäßiger Arbeit verrieten, groß an.

      „Ich muß Ihre Landsleute vor Ihnen in Schutz nehmen. Sie sind ganz sicher nicht fauler als alle anderen Menschen. Wenn ihre Arbeitslust heute nicht groß ist, so muß das tiefinnere, mit dem Krieg und seinen Folgen verknüpfte Ursachen haben. Arbeit muß sich in Zufriedenheit umsetzen. Wer schwer arbeitet, hat das Recht auf ein behagliches Heim, auf kräftige Nahrung, auf ein bescheidenes Maß an Lebensfreude und Zerstreuung. Wer aber sieht, daß sein Schweiß ihm höchstens das nackte, kümmerliche Leben ermöglicht, der vergießt eben so wenig Schweiß wie möglich. Übrigens möchte ich einen oft geäußerten Ausspruch meiner Mutter anführen. Sie, die ihr Hausgesinde jahrzehntelang zu behalten pflegte, sagte: ‚Wenn eine Frau immer klagt, daß die Dienstboten nichts taugen, so habe ich die Gewißheit, daß sie selbst nichts taugt.‘ An dem Achtstundentag sollte aber nicht gerüttelt werden. Er ist einer der schönsten Errungenschaften unserer Zeit.“

      Ralph hatte sich warm geredet und war froh, als durch das Hinzutreten einiger Damen das Gespräch unterbrochen wurde. Eine junge Frau mit Zwicker und zwei Doktoraten sagte:

      Mister O’Flanagan, Sie müssen einen schönen Begriff von Österreich bekommen haben, als Sie von dem Krematoriumskandal erfuhren. Wir nennen uns Republik und hören dabei nicht auf, das Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu drosseln und klerikaler zu sein als je zuvor.“

      Zustimmende Rufe wurden laut. „Blödheit sondergleichen!“ „Was geht es die Regierung an, ob sich jemand begraben oder verbrennen lassen will?“ „Übergriffe dieses Schmitz.“

      Ralph lächelte.

      „Meine Meinung von Österreich kann durch solche Dinge nicht beeinflußt werden. Aber ich muß schon sagen, daß ich selten von einem infameren, boshafteren Streich gehört habe, als ihn da dieser Minister verüben will. Bei uns drüben würde ihn die öffentliche Entrüstung wegfegen. Ich hoffe, daß die Wiener Gemeindevertretung nackensteif bleibt und über die Dummheit eines Menschen, der vergißt, daß er Minister und nicht Wirtshauspolitiker ist, zur Tagesordnung übergeht. Allerdings als Symptom erscheint mir die Sache recht bedenklich. Wie soll ein Land in die Höhe kommen, wenn bei allen Entschließungen nur gewissenlose Parteidemagogik, Berufspolitik, Angst vor den Wählern entscheidend sind? Parteipolitik dürfte es in Österreich überhaupt nicht geben, sondern nur gemeinsam betriebene Realpolitik.“

      Die schöne Frau mit den mahagonibraunen Haaren und dem nebensächlichen Gatten rückte einen Stuhl ganz dicht an Ralph, berührte scheinbar unabsichtlich sein Knie und sagte schmollend:

      „Immer diese ekle Politik? Erzählen Sie uns lieber, ob es drüben mit dem Flirt wirklich so arg ist?“

      „Genau wie hier“, rief Korn und warf eine Haarsträhne aus der Stirne zurück. „Nur habe ich mir sagen lassen, daß man in Amerika lieber unter vier Augen flirtet, und der Flirt dort Selbstzweck ist, während in Wien der Flirt öffentlich betrieben wird und man von ihm leichter zu greifbareren Taten übergeht.“

      Eine üppige Brünette kreischte auf.

      „Ach Sie! Für Sie gibt es doch längst kein harmloses Flirten mehr. Sachen erzählt man sich von Ihnen, Sachen!“

      Ralph,


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