Kampf um Wien. Hugo Bettauer

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Kampf um Wien - Hugo Bettauer


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drohen. Übrigens darf ich wohl fragen, ob die Toleranz Ihrer Landsleute nicht doch gewisse Grenzen hat? Dürfen zum Beispiel Neger Ihre amerikanischen Universitäten besuchen?“

      Ralph zog die Augenbrauen hoch.

      „Allerdings nicht, die Neger haben ihre eigenen Universitäten. Aber ich kann Ihnen mit ruhigem Gewissen versichern, daß wir die Neger als vollkommen gleichberechtigte Mitbürger begrüßen werden, wenn sich erst unter ihnen Männer wie Artur Schnitzler, Hofmannsthal, Meyerbeer, Mendelssohn, Mahler, Einstein, wie der große Ophthalmologe Fuchs, wie die Forscher Ehrlich und Wassermann, wie ein Spinoza und ein Heine befinden werden. Der Vergleich hinkt, Herr Bundeskanzler, denn die Neger sind ein Volk in ihrer ersten Kindheit, die Juden aber ein uraltes Kulturvolk, das, wenn ich nicht sehr irre, Jesus von Nazareth der Welt geschenkt hat. Und das mit den Ostjuden verstehe ich nicht ganz, weil mir Ihre Verhältnisse zu fremd sind. Aber auch wir haben genug Ostjuden in Amerika, die sehr bald sich zu Amerikanern entwickeln. Und es dünkt mir, daß junge Leute, die nach Wien kommen, um zu lernen, willkommen sein sollten, von wo auch sie stammen.“

      Ralph erhob sich, um seinen Besuch zu beenden. Der Bundeskanzler aber gab das Spiel nicht verloren, obwohl er die Niederlage, die er erlitten, deutlich empfand. Mit gewinnender Herzlichkeit versicherte er:

      „Ihr Besuch war mir Gewinn, Ihre Worte geben mir Stoff zum Nachdenken. Ich hoffe zuversichtlich, mit Ihnen recht, recht oft in Berührung zu kommen.“

      Ralph O’Flanagan verließ das Kanzlerpalais mit gemischten Empfindungen. Sah sich voll Verpflichtungen und fühlte Gewissensbisse. Hätte er nicht einfach sein Scheckbuch aus der Tasche ziehen und mit einer neunstelligen Ziffer ausfüllen sollen? Was ging es ihn schließlich an, ob ein beschränkter, engstirniger Rektor alberne Politik betrieb? Hauptsache war doch, daß der Universität geholfen wurde. Und das konnte er mit einem Betrag tun, der für ihn kaum ins Gewicht fiel. Im Kopf überschlug der Amerikaner die Höhe seines Jahreseinkommens, multiplizierte es mit siebzigtausend und kam zu einer phantastischen Ziffer. Wenn er das ganze Hotel Imperial mieten, zehn Automobile halten, das Geld mit vollen Händen streuen wollte, so würde er doch nur einen Bruchteil dessen ausgeben können, was ihm sein Vermögen an Zinsen trug. Und auch gegen seinen Willen würden sich die Hunderte von Millionen Dollar, die er besaß, vermehren. Er empfand es aber als ungeheuerliches Unrecht, solche Schätze zu besitzen, wollte sie in Taten umsetzen, in Taten, die vielleicht nicht die ganze Menschheit, wohl aber dieses ruinierte Land beglücken können.

      10. Kapitel

      Eine sentimentale Melodie.

      Der Frost war längst gewichen, die Schneemassen zerflossen, die Straßen der Inneren Stadt waren mit fausthohen Schmutzlachen bedeckt, nervös beobachtete Ralph, wie von den Rädern seines Autos die Passanten in den engen Gassen über und über bespritzt und besudelt wurden.

      Er krampfte die Hände in Qual zusammen.

      Muß es denn immer sein, daß die einen gar nichts und die anderen alles haben? Und der, der im Wagen fährt, die anderen, die zu Fuß gehen müssen, bedroht, insultiert, befleckt? Oh, daß ich doch ganz Mensch, nur Mensch wäre und den Mut hätte, zu den Armseligen und Bedrückten hinunterzusteigen!

      Im Unterbewußtsein empfand Ralph es aber, daß er diesen Opfermut nie haben, immer nur würde von hoher Warte das Leben betrachten können. Er erinnerte sich an den herrlichen Roman „Christian Wahnschaffe“ von Jakob Wassermann, den er in St. Paul mit fiebernden Pulsen gelesen. Damals war es ihm als höchste Glückseligkeit erschienen, zu sein, wie dieser Christian. Jetzt kam es ihm undenkbar vor, sich alles dessen zu entäußern, was ihm Herrenbewußtsein, Unabhängigkeit und – Beglückungsmöglichkeit bot. Aber er würde auch nicht erstarren, sondern Mensch bleiben. Und eine Mission erfüllen. Ob diese, die ihm die letzten Worte seiner Mutter eingegeben, das würde die Zukunft erweisen.

      Sehnsucht stieg in ihm auf, Sehnsucht nach einem guten, treuen Menschen, der in ihm nicht den klotzigen Geldsack, sondern den Bruder, Freund, Geliebten sehen würde. Und vor seinen Augen stieg das Bild eines blonden, süßen Mädchenkopfes mit großen Märchenaugen auf.

      Kribbelnde Unruhe ließ ihn nicht länger im Auto sitzen. Mitten in der Kärntnerstraße stieg er aus, ging zu Fuß weiter. Es war fünf Uhr, kurz vor Weihnachten, großstädtisches Gedränge füllte die Straße. Aber drinnen in den schönen Geschäften gähnte die Leere, hockte der Pleitegeier auf den Verkaufstischen. Ein schlechteres Weihnachtsgeschäft hatte Wien seit Jahrzehnten nicht erlebt, Juweliere erzählten, daß ihre Tageslosung nicht einmal die Beleuchtungskosten decke, in den Galanteriewarenhandlungen wurde der jeweilige Käufer von zehn Kommis umringt und sogar die Buchhandlungen waren leer.

      Ralph erinnerte sich, daß er in diesem Jahr niemand zu beschenken hatte, wie auch ihm niemand eine Freude bereiten würde. Allein und einsam fühlte er sich wie noch nie im Leben, überflüssig, ein Popanz für die Menschen, die an ihm nichts schätzten, als sein Geld.

      Versonnen blieb er vor der hellerleuchteten Auslage eines Juweliers stehen. Ein Zigarettenetui, der eine Deckel aus mattem Gold, der andere in Email, in das kleine Diamanten eingestreut waren, fiel ihm in die Augen. Er betrat den Laden, in dem sich nur die Verkäufer aufhielten, ließ sich das Etui vorlegen, fand den Preis von zwanzig Millionen in Dollar umgerechnet niedrig, stellte einen Scheck aus und wollte die Kostbarkeit einstecken. Als er aber das maßlos bestürzte Gesicht des Juweliers sah, lachte er hell auf.

      „Richtig, in Wien reimt sich, wie man mir gesagt hat, auf Scheck Schreck! Also lösen Sie ihn erst bei der Bankgesellschaft ein und schicken Sie mir dann das Etui nach dem Hotel Imperial, Zimmer 10 bis 12.“

      Der Juwelier entschuldigte sich verlegen, erzählte von mehreren Fällen, in denen Geschäftsleute durch unwertige Schecks um große Summen betrogen worden waren, und kam dann auf den schlechten Geschäftsgang zu sprechen.

      „Die Weltparität, die wir erreicht haben, die Unbeweglichkeit der Krone, der Tiefstand an der Börse vereinigen sich, um uns Geschäftsleute zugrunde zu richten. An jedem Monatsersten haben wir die Luxussteuer abzuführen, enorme Gehälter auszuzahlen, Millionen für Strom zu entrichten. Wenn es so weiter geht, werden wir unsere Lager mit Verlust verkaufen müssen oder aber zusperren und unsere Kapitalien aufzehren.“

      Ralph zuckte die Achseln. „Es scheint mir, als wenn sich Wien, verlockt durch die gute Konjunktur der letzten Jahre, übernommen hätte. Wie kann die Hauptstadt eines niedergerungenen kleinen Landes solchen Warenluxus vertragen, wie man ihn allenthalben hier sieht?“

      „Ja wir haben eben alle mit den Fremden gerechnet, die in hellen Scharen nach Wien zu kommen pflegten, und nun, wo sie nicht mehr kommen, stehen wir mit unserem Luxus da und können ihn nicht los werden. Wenn nur die Fremden wieder kämen!“

      „Warum sollten sie?“ fragte Ralph lächelnd. „In Amerika, England, sogar Südamerika sind die Zeiten schlecht, man spart dort und geht nur ins Ausland, wenn man dabei Geld profitieren kann. Das scheint mir in Wien kaum noch möglich zu sein. Späterhin aber, wenn es im Westen wieder besser geht, wird Wien sich bemühen müssen, durch erlesene Attraktionen, Festspiele, Sportturniere, Kongresse, Ausstellungen, die Fremden anzulocken.“

      Ralph stand nun am Ring, querte die Straße und überlegte, ob er nicht endlich die urwienerischeste Spezialität, das Kaffeehaus, kennenlernen sollte, als ein an sich kleiner Zwischenfall eintrat, der für ihn von Bedeutung wurde. Eine alte Frau wollte einen Straßenbahnwagen, der sich eben in Bewegung gesetzt hatte, besteigen, stürzte dabei, wurde mitgezerrt, bis sie im Straßenkot, aus mehreren Wunden blutend, ohnmächtig liegen blieb.

      Bevor noch Ralph hilfsbereit zur Stelle war, kniete eine weibliche Person im Schmutz neben der Alten und versuchte sie aufzurichten. Aber schon hatte sich Ralph über die Verunglückte gebeugt, nahm sie in die Arme und trug sie, nun von einer ganzen Menschenmenge begleitet, über die Reitallee in das nächstgelegene Haustor. Das Mädchen, das zuerst geholfen hatte, ging mit und trug die Handtasche der alten Frau. Jetzt war auch ein Polizist zur Stelle, einer der Umstehenden lief ins Café Bristol, um die Rettungsgesellschaft zu avisieren, Ralph flüsterte dem Polizeimann seinen Namen und die Adresse zu, mit der Bitte, ihn von dem Befinden der Frau verständigen zu lassen, da er bereit


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