Kampf um Wien. Hugo Bettauer
Читать онлайн книгу.schrie er, „das ist ja der Millionär O’Flanagan, was sag ich, der Milliardär, der neueste Dollarkrösus!“ Und er erinnerte sich, vor Monaten, nachdem der alte O’Flanagan gestorben war, seitenlange Artikel mit Bildern in den amerikanischen Zeitungen gesehen zu haben, ja, er hatte aus ihnen sogar einen kleinen Artikel für die „Presse“ unter der Überschrift „Der reichste Mann der Welt“ exzerpiert, worauf neunhundert Wohlfahrtsaktionen und zehntausend private Schnorrer von der „Presse“ die genaue Adresse des Krösus verlangt hatten.
„Wo ist er? Kann ich ihn sprechen?“ schrie Dr. Züngel dem Portier zu.
„Ist weggegangen, aber da draußen steht sein Diener, vielleicht kann der Ihnen sagen, wann Mister O’Flanagan zurückkommt.“
6. Kapitel
Sam wird interviewt.
Und nun entwickelte sich ein eigenartiger Dialog zwischen Sam und dem Wiener Journalisten. Dieser sprach englisch, Sam aber, stolz auf seine, wenn auch mangelhaften Kenntnisse der deutschen Sprache, erwiderte deutsch. Sam war auch durchaus bereit, Rede und Antwort zu stehen, erstens weil es ihm sein Herr nicht nachdrücklich untersagt hatte, anderseits, weil er auf seinen Herrn maßlos stolz war und sich nicht das Vergnügen versagen wollte, so viel Rühmliches als nur möglich über ihn zu erzählen. So erfuhr denn Doktor Züngel, daß dieser junge O’Flanagan eine Mutter gehabt hatte, die Wienerin war. (Ha! Welch Sensation!) Und daß sie mit dem Mädchennamen Holub geheißen und ihr Vater ein Brückenmacher gewesen, den ein böses Eisenstück totgeschlagen. Und er erfuhr, daß Mister Ralph ein guter Herr sei und sehr gescheit und ungeheuer viel Bücher gelesen habe, und bei jeder derartigen lobenden Erwähnung stupste der Neger den Journalisten und sagte grinsend:
„Schreib genau auf, daß kein Dummheit in dein Paper erzählst.“
Nun wollte aber Dr. Züngel noch etwas wissen, und zwar das Allerwichtigste. Zu welchem Zweck nämlich der reichste Mann der Welt nach Wien gekommen sei.
Sam kratzte sich das wollige Haupt.
„Well ich nicht wissen genau, aber meinen, weil Mutter hier geboren.“
„Aha, er will sich Wien ansehen und dann wieder wegreisen?“
„Nein, paß auf, daß kein Dummheit in dein Paper schreibst. Master will lange hier bleiben, sehr lange, Jahr vielleicht oder mehr. Paß auf, Mann von die Zeitung, ich gehört haben, wie Master auf Schiff, Dame, die ihn gefragt hat, sagte: Ich zusammengehören mit Wien und vielleicht versuchen, arme Stadt vor Niedergang zu retten. Well, paß auf, Master hat so viel Geld, daß er kann kaufen mit ein einziges Scheck ganze Stadt mit alle Häuser.“
In diesem erhebenden Moment, da Dr. Züngel sich vornahm, kategorisch für seine Sensation die erste Seite der „Presse“ zu verlangen, erschien Ralph Q’Flanagan, sah den Mann mit Notizbuch und Bleifeder zu Sam fragend aufblicken, erfaßte sofort die Situation und bekam einen maßlosen Schrecken.
„Sie wünschen, mein Herr?“ fragte er so schroff, daß Dr. Züngel noch kleiner wurde und sein grauer Haarsträhn eine Volte schlug.
„Gestatte mich vorzustellen, Dr. Züngel von der „Presse“. Da Mister O’Flanagan nicht anwesend waren, habe ich mir gestattet, von Ihrem Diener einige Informationen –“
„Herr“, unterbrach Ralph erbost, „ich bin durchaus keine interessante Persönlichkeit, über die es Informationen einzuholen gibt. Ich bin hier ein Privatmann, wie jeder andere, und möchte dringend bitten, sich um mich nicht zu kümmern.“
Sprach’s, ging und machte Sam einen solchen Krach, daß dieser von nun an Zeitlungsleute ärger als die Pest scheute.
Doktor Züngel aber kam noch gerade rechtzeitig zum Abendblatt ins Bureau und einige Stunden später wußte ganz Wien, daß der reichste Mann der Welt, Mister Patrick O’Flanagan, in Wien mit der ausgesprochenen Absicht weile, Österreich zu sanieren. Und daß dieser O’Flanagan hiezu eine Art moralische Verpflichtung fühle, da seine Mutter eine Wienerin, Tochter des Architekten Rudolf Holub, gewesen sei, und der Krösus zweifellos unverzüglich mit dem Bundeskanzler Dr. Seipel sowie dem Finanzminister Dr. Kienböck in Fühlung treten werde. Daran schloß sich ein Leitartikel, der genau dasselbe nochmals mit Leidenschaft sagte, und dann im Finanzteil eine längere Betrachtung von einem „hervorragenden Finanzmann“, der der Bevölkerung die erschütternde Mitteilung machte, daß ein Doller erheblich mehr sei als eine Krone, ja eine Million Dollar sogar mehr als siebzig Milliarden wären.
Ralph O’Flanagan bekam einen Wutanfall, Sam eine, allerdings recht gelinde, Ohrfeige und der Hoteldirektor mußte zwei kräftige Hausdiener mit der Spezialaufgabe betrauen, alle lästigen Besucher hinauszukomplimentieren.
7. Kapitel.
Man interessiert sich für Ralph.
Der Generaldirektor der „Bankgesellschaft“, Herr Klopfer-Hart, saß in seinem in gediegenster englischer Art ausgestatteten Bureau und dachte angestrengt nach, daß sich eine Falte inmitten der hohen energischen Stirne bildete. Der kleine, gedrungene Herr mit dem weißen, fast viereckigen Bart und den noch immer nicht ganz weißen, bürstenartig aufrecht stehenden Haaren, zu denen die buschigen, bis vor kurzem noch pechschwarzen, jetzt auch schon gebleichten Augenbrauen vortrefflich harmonierten, galt als der bedeutendste, willenstärkste Kopf unter den führenden Bankleuten, deren Zahl nach dem Umsturz Legion geworden war. Und trotzdem er ein hoher Sechziger war, verstand er seine Zeit, ging mit ihr, wußte genau, wie weit und wie wenig weit ein modernes Bankinstitut gehen mußte und durfte, um einerseits nicht zurückzubleiben, anderseits nicht auf eine Stufe mit schwindelhaften Konjunkturbanken zu sinken.
Direktor Klopfer-Hart, den der Umsturz um den Geldadel, nicht aber um das Geld gebracht hatte, ließ die Finger durch den Bart gleiten und las nochmals den rotumränderten Zeitungsausschnitt, den ihm mit hundert anderen der Leiter des Preßbureaus hatte vorlegen lassen.
Nun ein Druck auf den Taster, und sein Privatsekretär kam herein.
„Doktor, dieser Ralph O’Flanagan interessiert mich. Vielleicht ist ein Körnchen Wahrheit an der Sache, die da in der Presse steht. Vielleicht auch nur ein neuer Duim, jedenfalls hat der Name bisher unter den Amerikanern nicht gezählt. Bitte, kabeln Sie sofort an Seligmann nach New York um genaue Auskunft.“
Der Auftrag war kaum erteilt, das Kabelgramm noch nicht abgegangen, als einer der zahllosen Prokuristen, der, der den amerikanischen Kreditverkehr unter sich hatte, um Vortritt bitten ließ.
„Herr Generaldirektor, ich glaube, die Depesche kann unterbleiben, denn eben ist mit der amerikanischen Post ein Schreiben der New Yorker Generaldirektion der Guarantee Trust Company angekommen, das sich auf diesen Ralph O’Flanagan bezieht.“
Klopfer-Hart, der englisch so gut wie deutsch sprach, nahm dem Prokuristen das Schreiben aus der Hand und las:
„Wir ersuchen Sie, Mister Ralph O’Flanagan aus St. Paul, Minnesota, der sich soeben nach Wien zu längerem Aufenthalt begeben hat, Kredit in jeder Höhe, der von ihm beansprucht wird, einzuräumen und mit den jeweiligen Beträgen unser Konto zu belasten. Abhebungen, die eine Million Dollar übersteigen, bitten wir, uns jedesmal per Kabel bekanntzugeben. Wir bitten, Mister O’Flanagan in jeder Beziehung, falls er es wünscht, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“
Generaldirektor Klopfer-Hart zog die buschigen Brauen hoch.
„Sehr angenehm! Nun haben wir auch den prächtigsten Vorwand, direkt mit ihm in Fühlung zu treten. Keinesfalls darf er uns aus den Händen kommen.“
Nach kurzem Überlegen:
„Schicken Sie mir Herrn Heinrich Lank herein.“
Der Prokurist verbeugte sich schweigend, innerlich höchst indigniert, da er selbst sehr gerne dem goldenen Vogel aus dem Dollarlande nähergekommen wäre. Und nun dieses „Schlieferl“, dieser Geck mit Monokel und den Manieren eines Ladenprinzen!
„Wird kindisch, der Alte“, murmelte er vor sich hin, aber erst als er das Zimmer mit den grünbetuchten Doppeltüren weit hinter sich