Kampf um Wien. Hugo Bettauer

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Kampf um Wien - Hugo Bettauer


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sogar überschritten und daher eben die Stagnation, die Wien noch ganz zugrunderichten wird. Ich werde nun die Koffer heraufschicken.“

      Ein paar Minuten später war Sam in voller Tätigkeit. Das Handgepäck wurde aufgeschnürt, der Liegekoffer geöffnet, der Schrankkoffer aufgestellt, zischend floß das heiße Wasser in die Badewanne und Sam goß über den schlanken, von der Hitze des Wassers geröteten und dampfenden Körper seines Herrn flüssige Seife, Bayrum und reinen Alkohol und begann zu kneten und zu reiben, daß ihm der Schweiß über die schwarze Stirne floß und sein Herr stöhnte. Während er ihm dann den Seifenschaum über das Kinn pinselte, sagte er vergnügt grinsend im breiten Negerenglisch:

      „Master Ralph, Wien gute Stadt sein tut.“

      „Warum das, Sam?“

      „Draußen war hübsches weißes Mädchen mit blondem Haar, auf dem komische Haube saß. Immer, wenn ich vorbeiging, hat sie mich angelacht, so daß ich Mut bekam und sie in Arm zwickte. O Master, Arm war weich und fein! Und das Mädchen hat nicht mit dem Fuß nach mir gestoßen, sondern mir nur Schlag mit kleinen Patschhändchen gegeben und gelacht. Master, glauben Sie, daß Wiener Mädchen mich lieben werden?“

      Der Herr platzte belustigt heraus:

      „Sam, paß auf, mach’ mir keine Unannehmlichkeiten hier im Hotel! Aber du hast recht, wenigstens hat man mir schon auf dem Schiff erzählt, daß sich deine farbigen Brüder bei den deutschen Mädchen durchaus keiner Unbeliebtheit erfreuen.“

      „Werde ich also probieren, Master“, sagte Sam und verdrehte in Erwartung kommender Freuden die Augen und grinste, daß die schneeweißen Zähne zwischen den wulstigen brennroten Lippen hervorleuchteten.

      Sam durfte sich mit seinem Herrn schon einige Frechheiten erlauben, denn er war sein Milchbruder, das heißt, Sams Mutter war die Amme des jungen Amerikaners gewesen.

      Der Amerikaner war nun angezogen, besah im Spiegel seine schlanke, in einen dunkelblauen Cheviotanzug gekleidete Gestalt und das glattrasierte Gesicht, aus dem die braunen Augen klug und freundlich blickten. Er strich nochmals die hellbraunen seidenweichen Haare mit der Bürste zurück, dann ließ er sich von Sam in einen hellgrauen mit Biber gefütterten Tuchpelz helfen, setzte den grauen Seidenplüschhut auf und ging voll Erwartung hinunter, um die ihm neue Stadt zu betreten, das ihm neue, fremde Leben kennen zu lernen und in einer Welt unterzutauchen, von der er sich das große Erlebnis, die hohe Mission und die Ergründung des Menschentums versprach.

      In der Halle hielt ihn der Portier mit der Bitte auf, den Meldeschein auszufüllen. Wieder wunderte der Amerikaner sich. Was geht andere Menschen meine Religion, mein Alter an? Warum nicht gleich mich nach meiner Gesinnung, meinen politischen Anschauungen und Neigungen fragen? Doch er füllte mit großen, steilen, festen Buchstaben den Schein aus.

      Patrick Ralph O’Flanagan, geboren 1892 zu St. Paul in Minnesota, Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika, katholisch.

      Nun war noch die Rubrik „Beruf“ frei. Der Amerikaner zögerte einige Sekunden und überlegte. Wie sollte er diese Frage beantworten? Mit „Vergnügungsreisender“ etwa oder „Privatier?“ Beides würde der Wahrheit entsprechen, aber doch nicht ganz, denn eigentlich war er ja, bevor er nach Europa fuhr, Präsident der „American Wood- und Forest Trust Company“ geworden. Und da Patrick Ralph O’Flanagan sich, soweit es ging, gerne an die volle Wahrheit zu halten pflegte, schrieb er diesen Titel hin. Ohne zu ahnen, welch verhängnisvolle Tat er damit beging und wie sehr er sein ganzes Leben beeinflußte.

      2. Kapitel

      Wie Ralphs Mutter einen Amerikaner geheiratet hatte.

      Es hatte aufgehört zu regnen, der Himmel war blau geworden, und fahle kühle Sonnenstrahlen beleuchteten den Dezembertag.

      Ralph O’Flanagan stand vor dem Hotel, ließ den Blick nach links und rechts schweifen, und das Bild, das sich ihm bot, war von so eigenartiger Lieblichkeit, wie er es nach der Fahrt im schäbigen Autotaxi wirklich nicht vermutet hatte. Er querte den Ring, ging bis zur Oper und betrachtete mit hellem Entzücken und unverdorbenem primitiven, aber um so echteren Verständnis den harmonischen Bau und freute sich auf die Kunstgenüsse, die er ihm bieten würde. Oft genug hatte ihm ja seine Mutter von der Wiener Oper, von der Bild und der Schläger, dem Winkelmann und Reichmann erzählt. Und immer hatten ihre Augen vor Stolz dabei geleuchtet, so daß einmal sein Vater mit schneidendem Hohn ausgerufen hatte:

      „Machst ja gerade, als hätte die Oper dir gehört!“

      Ralph O’Flanagan bog, nachdem er einen Taschenplan zu Hilfe gezogen, in die Kärntnerstraße, und nun erst empfand er es, in einer Großstadt zu sein. Die Straße fast so belebt wie das New Yorker Tenderloin, elegante Herren, schöne Frauen in kostbaren Pelzen, nach der neuesten Mode gekleidet, geschmackvolle Auslagen, gefüllt mit den besten und schönsten Erzeugnissen Wiener Schneider- und Modekunst.

      Ralph lächelte und zog einen Vergleich. Die New Yorker Damen traten mit mehr Selbstbewußtsein auf, diese Wienerinnen aber da mit entschieden mehr Grazie. Und wie sie mit ihren großen, schelmischen Augen zu flirten verstanden! Ralph errötete unter dem Kreuzfeuer von Blicken, die mit Wohlgefallen an ihm hängen blieben, und wieder mußte er seiner Mutter gedenken.

      „Kokett sind ja die Wiener Mädeln“, hatte sie einmal gesagt, „auch leichtsinnig, aber dabei gut und lieb.“

      Schon fühlte sich Ralph vom Tempo des Wiener Lebens erfaßt, langsam wie noch nie in seinem Leben schlenderte er bis zum Stephansplatz, blieb mit weit aufgerissenen Augen vor dem Dom stehen und schloß sich dann dem Mittagsbummel auf dem Graben an. Aber seine Gedanken waren nicht mehr in der neuen Stadt, flogen weit zurück übers Meer und den halben amerikanischen Kontinent, zur toten Mutter, zum freudlosen, nüchternen Elternhaus, zu seinem früheren Leben, aus dem er mit einem jähen Ruck gerissen worden war.

      Patrick Ralph O’Flanagan war als das einzige Kind des Sägewerksbesitzers John Patrick O’Flanagan und dessen Gattin Lola, geborene Holub, in St. Paul, der größten Stadt des nordwestlichen Staates Minnesota, aufgewachsen. Sein Vater ein Hüne, Typus des Irländers mit Stiernacken, breiten Schultern, mächtigen Fäusten, trockenem Witz und eisernem Schädel. Die Mutter klein, zierlich, mädchenhaft auch noch mit vierzig Jahren. Und wenn der Vater einen Jähzornanfall bekam und zu brüllen begann, dann wurden ihre großen blauen Augen ganz dunkel und feucht, sie erzitterte am ganzen Leib wie ein junges Reh, und später, als Ralph zwölf und mehr Jahre alt geworden, geschah es oft, daß Frau Lola wie hilfesuchend den Arm ihres Sohnes ergriff, wenn der Vater harte Worte sagte.

      Mutter hatte aber neben tausend lieben, guten Eigenschaften auch eine sehr drollige, über die Ralph jetzt, mitten am Wiener Graben, bei der Erinnerung laut auflachen mußte. Mutter hatte nämlich nie ordentlich die englische Sprache erlernen können! Wohl konnte sie sich mit jedermann vollständig und leicht verständigen, jedes englische Buch glatt lesen, aber ihrem Englisch haftete ein entschiedenes Wienerisch-Deutsch an, und wenn sie in Aufregung geriet oder vor ihrem großen, mächtigen Mann Angst hatte, vergaß sie die englische Sprache ganz und produzierte ein Kauderwelsch, über das sich der kleine Ralph krank lachen konnte, der Vater aber erst recht in Tobsucht geriet. Mama sagte ihrem Jungen, wenn sie mit ihm allein war, immer wieder auf deutsch:

      „Ralpherl, weißt, ich hab’ ja schon so gut englisch sprechen können, aber später, wie ich mit O’Flanagan ein paar Wochen verheiratet war, hab’ ich alles wieder vergessen.“ Wobei zu bemerken ist, daß seine Mutter von ihrem Gatten nie anders als „der O’Flanagan“ sprach.

      Mamas Geschichte hatte sich folgendermaßen abgespielt:

      Der in Fachkreisen sehr bekannte Wiener Architekt Rudolf Holub hatte im Jahre 1889 von einer großen amerikanischen Gesellschaft den ehrenvollen Auftrag erhalten, herüber zu kommen, um sich am Bau einer mächtigen Brücke über den Delaware zu beteiligen. Und da Rudolf Holub ein armer Teufel trotz seines Ruhmes war und das amerikanische Angebot materiell sehr verlockend, so nahm er an und fuhr mit seiner Frau und dem kaum siebzehnjährigen Töchterchen Lola nach Amerika. Frau und Tochter blieben in New York in einer netten deutschen Pension, Architekt Holub aber fuhr mit den übrigen Architekten, Zeichnern und Ingenieuren


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