Ein Volksfeind. Henrik Ibsen

Читать онлайн книгу.

Ein Volksfeind - Henrik Ibsen


Скачать книгу
Stockmann. Ja, das sagt Thomas immer.

      Hovstad. Wer leugnet denn das, Herr Stadtvogt? Sie haben die Sache in Gang gebracht und sie praktisch durchgeführt; das wissen wir doch alle. Aber ich meinte nur, daß die ursprüngliche Idee vom Herrn Doktor stammt.

      Stadtvogt. Ja, Ideen hat mein Bruder gewiß Zeit seines Lebens genug gehabt — leider. Wenn aber etwas ins Werk gesetzt werden soll, so werden Männer von anderem Schlage gebraucht, Herr Hovstad. Und ich glaubte wirklich, daß man am allerwenigsten in diesem Hause —

      Frau Stockmann. Aber, lieber Schwager —

      Hovstad. Wie können Sie nur, Herr Stadtvogt —

      Frau Stockmann. Jetzt gehen Sie aber hinein, Herr Hovstad, und nehmen Sie etwas zu sich; inzwischen kommt auch wohl mein Mann.

      Hovstad. Danke sehr; einen kleinen Bissen nur! Ab ins Speisezimmer.

      Stadtvogt mit etwas gedämpfter Stimme. Es ist was Merkwürdiges mit den Leuten, die direkt von Bauern abstammen; taktlos sind und bleiben sie nun einmal.

      Frau Stockmann. Aber lohnt es sich denn, Aufhebens davon zu machen? Können Sie und Tomas sich nicht brüderlich in die Ehre teilen?

      Stadtvogt. Ja, man sollte es meinen; offenbar aber ist nicht jeder mit dem Teilen zufrieden.

      Frau Stockmann. Ach Unsinn! Sie und Thomas kommen doch ganz vortrefflich miteinander aus. Horcht. Ich glaube, da ist er.

      Geht hin und öffnet die Tür des Vorzimmers.

      Doktor Stockmann lacht und lärmt draußen. Sieh, Käte, da kriegst Du noch einen Gast! Famos, was? Bitte, Kapitän. Hängen Sie den Rock nur da an den Kleiderriegel. Ach so — Sie tragen keinen Paletot? Du, Käte, ich habe ihn auf der Straße abgefangen; er wollte durchaus nicht mit herauf.

      Horster tritt ein und begrüßt Frau Stockmann.

      Stockmann in der Tür. Hinein, Ihr Jungens. Du! Sie haben schon wieder einen Mordshunger! Kommen Sie, Kapitän; Sie sollen einen Rinderbraten kosten, der —

      Nötigt Horster ins Speisezimmer. Ejlif und Morten gehen ebenfalls hinein.

      Frau Stockmann. Aber Thomas, siehst Du denn nicht —?

      Stockmann wendet sich in der Tür um. Ach, Du bist’s, Peter! Geht auf ihn zu und reicht ihm die Hand. Nein, das ist aber reizend.

      Stadtvogt. Ich muß leider gleich wieder fort —

      Stockmann. Unsinn! Gleich kommt der Toddy auf den Tisch. Du hast den Toddy doch nicht vergessen, Käte?

      Frau Stockmann. I bewahre. Das Wasser kocht schon. Ab ins Speisezimmer.

      Stadtvogt. Toddy auch —!

      Stockmann. Ja, laß Dich nur nieder, und dann machen wir es uns gemütlich.

      Stadtvogt. Ich danke. Ich beteilige mich niemals an Toddygelagen.

      Stockmann. Aber das ist doch kein Gelage.

      Stadtvogt. Mir scheint doch — Sieht nach dem Speisezimmer. Merkwürdig, was die alles vertilgen können.

      Stockmann reibt sich die Hände. Ja, ist’s nicht eine wahre Wonne, junge Leute essen zu sehen? Immer Appetit, Du! So ist’s recht. Das Essen gehört mit dazu! Kräfte! Das sind die Leute, die den gärenden Zukunftsstoff aufwühlen sollen, Peter.

      Stadtvogt. Darf ich fragen, was es hier „aufzuwühlen“ gibt, wie Du Dich ausdrückst?

      Stockmann. Ja, das mußt Du die Jugend fragen — wenn es so weit ist. Wir erleben es natürlich nicht mehr. Selbstverständlich. So ein paar alte Knaben, wie Du und ich —

      Stadtvogt. Na, na! Das ist doch eine höchst ungewöhnliche Bezeichnung —

      Stockmann. Du darfst es nicht so genau mit mir nehmen, Peter. Denn Du mußt wissen, ich bin so riesig froh und vergnügt. Ich fühle mich ganz unsagbar glücklich inmitten dieses keimenden, sprießenden Lebens. Es ist doch eine herrliche Zeit, in der wir leben! Es ist, als ob eine ganz neue Welt aufblühen wolle um einen her.

      Stadtvogt. Findest Du wirklich?

      Stockmann. Ja, Du kannst das natürlich nicht so gut sehen wie ich. Bist Du doch Dein Leben lang mitten drin gewesen; da stumpft sich der Eindruck ab. Aber ich, der ich die langen Jahre da oben im Norden in meinem einsamen Winkel sitzen mußte und fast nie eines fremden Menschen ansichtig wurde, der ein ermunterndes Wort für mich gehabt hätte, — auf mich wirkt das, wie wenn ich mitten in das Gewimmel einer Weltstadt versetzt wäre —

      Stadtvogt. Hm; Weltstadt —

      Stockmann. Ich weiß ja wohl, daß die Verhältnisse hier klein sind im Vergleich zu vielen anderen Orten. Aber hier ist Leben, — Verheißung, eine Unzahl von Dingen, für die man wirken und kämpfen kann; und das ist die Hauptsache. Ruft: Käte, ist der Postbote nicht da gewesen?

      Frau Stockmann im Speisezimmer. Nein; es ist keiner da gewesen.

      Stockmann. Und dann das gute Auskommen, Peter! Das lernt man schätzen, wenn man wie wir nichts zu brechen und zu beißen gehabt hat —

      Stadtvogt. Na, na —

      Stockmann. O ja, glaub’ nur, daß bei uns da oben oft Schmalhans Küchenmeister gewesen ist. Und nun leben zu können wie ein Grandseigneur! Heut, zum Beispiel, hatten wir Rinderbraten zu Mittag; ja, und abends hatten wir auch noch davon. Willst Du nicht ein Stück probieren? Oder soll ich ihn Dir nicht wenigstens zeigen? Komm mit —

      Stadtvogt. Nein, nein, keinesfalls —

      Stockmann. Na, so komm hierher. Sieh mal, wir haben eine Tischdecke gekriegt.

      Stadtvogt. Ja, das habe ich bemerkt.

      Stockmann. Und auch einen Lampenschirm. Siehst Du? Das alles hat Käte zusammengespart. Und das macht die Stube so gemütlich. Findest Du nicht auch? Stell’ Dich nur mal hierher; — nein, nein, nein; nicht so. So. Ja! Siehst Du, wenn das Licht so konzentriert darauf fällt —. Ich finde, es sieht wirklich elegant aus. Was?

      Stadtvogt. Ja, wenn man sich solchen Luxus gestatten kann —

      Stockmann. O ja; den kann ich mir jetzt schon gestatten. Käte sagt, daß ich fast schon so viel verdiene, wie wir brauchen.

      Stadtvogt. Fast — jawohl!

      Stockmann. Aber ein Mann der Wissenschaft muß doch auch ein bißchen vornehm leben. Ich bin überzeugt, daß ein gewöhnlicher Amtmann weit mehr im Jahre braucht als ich.

      Stadtvogt. Ja, das glaube ich schon! Ein Amtmann, eine obrigkeitliche Person —

      Stockmann. Na, und ein einfacher Großkaufmann! So einer braucht noch xmal so viel —

      Stadtvogt. Ja, das liegt nun einmal in den Verhältnissen.

      Stockmann. Übrigens gebe ich wirklich nichts unnütz aus, Peter. Aber ich kann mir denn doch nicht die Herzensfreude versagen, Menschen bei mir zu sehen. Das brauche ich, siehst Du. Ich war so lange in der Verbannung, — es ist mir ein Lebensbedürfnis, mit jungen, flotten, mutigen Leuten, mit freigesinnten, unternehmungslustigen Leuten zusammen zu sein —; und das sind sie alle, alle, die da drin sitzen und so tapfer zulangen. Ich wünschte, Du lerntest diesen Hovstad etwas näher kennen —

      Stadtvogt. Hovstad, — ja, richtig, — er hat mir erzählt, daß er wieder einen Aufsatz von Dir drucken will.

      Stockmann. Einen Aufsatz von mir?

      Stadtvogt. Ja, über das Bad. Einen Aufsatz, den Du schon im Winter geschrieben hast.

      Stockmann. Ach den, ja! — Aber den will ich jetzt vorläufig nicht hinein haben.

      Stadtvogt. Nicht? Mir scheint denn doch, gerade jetzt wäre die günstigste Zeit.

      Stockmann. Ja, da hast Du schon recht; unter gewöhnlichen Verhältnissen —

      Geht durchs Zimmer.

      Stadtvogt sieht ihm nach. Was sollte denn jetzt wohl


Скачать книгу