Frauenschneider Gutschmidt. Otto von Gottberg

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Frauenschneider Gutschmidt - Otto von Gottberg


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des vom Rasiermesser durchschnittenen Bartes. Schmal und knochig sprang die Nase heraus. Weit standen grosse Ohrmuscheln vom Kopf unter überlangem dunklem Haar. Den Scheitel fast bis zur Höhe seiner Hüften senkend, verbeugte er sich:

      „Gruss des Herrn, meine Damen!“

      Die Sprache klang ölig. Die dunklen Augen rollten.

      Frida senkte kurz den Kopf. Die Mutter fragte sich, ob ihr Knicks tief genug gewesen sei, während sie den Besucher zum Sofatisch neben der Tür führte.

      Schüchtern schien der grosse Mann nicht. Die Mutter sass kaum im Sofa, als er den hageren Leib zwischen Tisch und Sitz durchwand, dicht neben ihr Platz nahm und einen übergrossen alten Zylinder auf den Tisch legte.

      „Meine Zeit ist beschränkt, denn des Menschen Tage sind gezählt und unser Wallen ist kurz.“

      In der Unterhaltung bei der Geheimrätin Stendal glaubte er die Hausherrin durchschaut zu haben. Die Baronesse schien klüger. Sie durfte nicht zu Worte kommen. Nur die Alte sollte reden und ihm jene Offenbarungen machen, durch die er am schnellsten das Vertrauen seiner Kundschaft gewann.

      „Die gnädigste Baronin haben mich über Ihre Leiden schon unterrichtet. Bevor ich im Bund mit dem Allmächtigen die Heilung beginne, muss ich den Lebenslauf meiner Patienten kennen. Erzählen Sie, Frau Baronin!“

      Er sprach knapp, selbstbewusst und herrisch, denn nur die harte, aber nicht die lockende Hand konnte Schafe zur Schur packen. Opfer einzuschüchtern war ihm Methode. Mit Genugtuung hörte er Frau von Hemmern stammeln. Errötend wie ein junges Mädchen, begann sie auf sein Zureden die Erzählung ihres Lebens. Frida blickte in peinlichem Unbehagen aus ihrem Sessel zu den Kronen unter der Zimmerdecke. Der Mann war frech und widerwärtig, aber Mamachen glücklich, wenn sie Quacksalbern mit oder ohne medizinisches Wissen gegenübersass. Warum ihr die einzige Lebensfreude nicht gönnen? Gelassen lauschte sie der ihr bekannten Lebensgeschichte. Oft unterbrach der Kastellan die Redselige mit rauhem „Überflüssig“. Dann wieder stellte er Fragen, die ungehörig schienen, doch mochte sie die mit fast ehrfürchtiger Verlegenheit Auskunft gebende Mutter nicht kränken.

      Für heute wusste Gericke genug. Er sah die Möglichkeit, bei späteren Gesprächen tiefer in die Geheimnisse eines Haushalts und einer Familie zu dringen. So machte er sich Patienten gefügig. Misstrauen gegen das schweigende, stirnrunzelnde junge Mädchen liess ihn den Gang der Erzählung beschleunigen, obwohl er auf eine Sitzung von zwei Stunden, also eine Einnahme von vierzig Mark gerechnet hatte.

      Frau von Hemmern schloss aufatmend:

      „So bin ich reich an Leiden, aber arm an Erleben gewesen. Statt mich zum Sprechen zu veranlassen, hätten Sie erzählen sollen, wie Sie Ihr Dasein so segensreich gestalten konnten!“

      Der Kastellan schien erfreut. Er lächelte. Es bot sich doch noch Gelegenheit zum Verdienen der vierzig Mark!

      Seine hageren Glieder schienen breiter, als er sich bequemer ins Sofa setzte. Ernst und selbstgefällig hob er die Brauen:

      „Der Herr hat wirklich ein Wunder an mir getan. Vor etwa zwölf Jahren wollte er mir rechte Gunst erweisen und schickte mich in die weite Welt — nach Amerika.“

      Freundlicher, zufriedener ward sein Lächeln. Er machte eine Pause, um Neugier und Erwartung der Zuhörerinnen zu mehren. Die Augen hafteten auf dem verregneten Filz des alten Zylinders. Sie sahen Bernhard Gericke, den damaligen Kastellan der Petrus-Kirche in Rixdorf, heute Bartholomäus, den gefeierten Helfer und Betgenossen von Damen der Berliner Gesellschaft. Vor zwölf Jahren hatte er einmal zu oft den Klingelbeutel in seine Tasche geleert. Furcht vor Strafe trieb ihn zu Minna, seiner mit einem Frauenschneider verheirateten Tochter. Sie gab ihm fünfhundert Mark, die ihn noch gleichen Abends nach Hamburg und am nächsten Morgen zu Schiff nach Neuyork trugen. Wie weit lag das zurück! Er durfte wirklich lächeln, wenn er des ersten Tages in der Neuen Welt dachte.

      „Vom Schiff ging ich in Neuyork längs einer der breiten, schnurgeraden Avenuen auf der Suche nach einem Quartier zur Stadt hinauf. Der Zufall oder richtiger des Allgütigen Wille liess mich von der dritten Avenue in die siebenundvierzigste Strasse einbiegen. Ich kam an eine Kirche, wie ich später erfuhr, die des zweiten Lesers der Gemeinde der Christian Science. Die Prediger unseres Glaubens heissen nämlich Leser. In Amerika sind es meist Leserinnen, da auch Frau Eddy“ — er legte die Hand an die Brust und neigte den Kopf vor dem Namen der grossen Bauernfängerin — „eine Frau war. Vor dem Portal standen Herren und Damen, die Vorübergehende in die Kirche luden. Ein junges Mädchen nahm auch mich bei der Hand und zog mich in die Tür. Mit Beschämung muss ich bekennen, dass ich nur wider Willen folgte. Drinnen sah ich ein grosses Kirchenschiff mit Andächtigen gefüllt und vor dem Altar die Leserin hinter ihrem Buch an einem Pult. In die Säulengänge zu beiden Seiten des Schiffes waren offene, holzumwandete kleine Zimmer oder Nischen gebaut. In den Stübchen zur Rechten flüsterte je ein Herr auf eine Dame und in denen zur Linken je eine Dame auf einen Herrn ein. Dort bekehrten Leser niederen Grades eben von der Strasse geholte Neulinge. Unsere Kirche gewinnt in Amerika die Männer durch die Frauen und die Frauen durch Männer.“

      Er sah jetzt auch Frida aufmerksam lauschen. Über ihr Gesicht huschte ein spöttisches Lächeln. Sie wusste, wie die Wissenschaftler in Amerika Seelenfang übten. Um hübsche Augen lachen zu sehen, liess sich der einsame Mann der Grossstadt bekehren. Die alte Jungfer hoffte in ihrem Apostel einen Gatten zu finden. Der Flirt ging in den Kirchen der Christian Science um. Gericke freute sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörerinnen.

      „Auch meine Leserin führte mich in eine Nische. Dort erst stellte sie fest, dass ich der englischen Sprache nicht mächtig war, und rief eine Deutsch-Amerikanerin. Schliesslich kam vom Altar auch die Leserin. Alle Damen bemühten sich mit eifrigster Liebenswürdigkeit um mich. Ich trug mich damals wie heute“ — seine behaarte Hand wies auf das Pastorenkleid — „und die Amerikanerinnen vermuteten darum einen deutschen Geistlichen in mir.“

      Zu erwähnen, dass er sich als solchen ausgegeben hatte, war nicht nötig. Er schilderte, wie er ein gelehriger Novize der Sekte ward. Sie speiste, kleidete, hauste ihn und schickte ihn endlich als Apostel nach Berlin. Von Minna hatte er gehört, dass Pfarrer Rumberg von der Rixdorfer Petrus-Kirche die Bestrafung seines flüchtigen Kastellans dem Himmel überlassen wolle.

      „Und in Berlin?“ fragte Frau von Hemmern in gespannter Erwartung, aber die Kunze trat ein. Ihr Gesicht kündete Unheil. Die Farbe ihrer Backen war noch dunkler als sonst.

      „Frau Baronin, es steht oben schlecht. Wir haben schon nach dem Geheimrat geschickt, und er geht gerade die Treppe hinauf. Vierzig Grad Fieber hatte die Schwester gemessen.“

      Frida hob die Hände zur Brust:

      „Machen, vierzig Grad Fieber!“

      Aber die Mutter wiegte mit einem bedauernden Blick auf den Kirchenkastellan den Kopf:

      „Die Herren sind gleich so empfindsam. Mein Mann war nie ernstlich krank, und nun er einmal liegt, nimmt es ihn mit. Aber die Blinddarmoperation ist glücklich verlaufen und die Folgen übersteht heutzutage jeder. Auch haben wir den besten Helfer hier.“

      Ihre Hand wies gegen den Besucher. Doch der Kastellan stand auf und glättete mit flinkem Griff in die Knöpfe das Brusttuch des schwarzen Rocks. Wohl nickte er, als sei ihm sofortiges Heilen des Gesandten ein leichtes, aber fragte auch argwöhnisch:

      „Wer ist der Geheimrat?“

      „Dr. Sünder, der bekannte Chirurg, der meinen Mann operiert hat.“

      Über das Gesicht des Kastellans huschte ein Schatten. Er kannte das Gesetz zu gut, um seinen Klienten das Befragen von Ärzten zu verbieten, aber von ihm hören durften sie nicht. Auch hatte der alte Sünder — ein Grobian — ihm schon einmal den Weg vertreten. Es schien geraten, der Sitzung ein Ende zu machen.

      „Frau Baronin, mit meinen ärztlichen Kollegen konkurriere ich nicht. Ich gönne ihnen ihr Brot, aber nie dürfen sie von meinen Besuchen erfahren. Für heute — Gruss des Herrn, meine Damen!“

      Der Schlusssatz klang wieder wohlwollend und beruhigte die über den plötzlichen Aufbruch erschreckte Frau von Hemmern.


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