Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.ihm, als würde er dadurch die Kranke berauben. Während er das Brod und den Rettig verzehrte, betrachtete er das Fleischstück wie ein kostbares Kleinod, und als eine Fliege sich darauf zu setzen wagte, zerschlug er sie mit Entrüstung.
Endlich kostete er das Fleisch und gedachte an manchen früheren Mittag und wie oft er in seiner Vorrathstasche eine Blume gefunden, die Uarda, um ihn zu erfreuen, zu dem Brode gelegt hatte.
Seine guten alten Augen füllten sich mit Thränen und sein ganzes Herz war voll von Dank für so viel Liebe. Er richtete seine Blicke aufwärts und dabei fielen sie auf den Leichentisch und er fragte sich, wie das gewesen wäre, wenn statt des seines Herzens beraubten Propheten, die Sonne seines Alters, seine Enkelin, dort bewegungslos läge. Ein kalter Schauer überrieselte ihn und er meinte, daß er den rettenden Arzt auch um den Preis seines eigenen Herzens nicht zu theuer bezahlt haben würde. Und doch! Er hatte in seinem langen Leben so viel Leid und Schmach erfahren, daß er die Hoffnung auf ein besseres Loos im Jenseits nicht aufzugeben vermochte. Darum ergriff er den ihm von Nebsecht ausgestellten Schein, hielt ihn mit beiden Händen in die Höhe, als wollte er ihn den Himmlischen zeigen, und betete zu den Göttern der Unterwelt und besonders zu den Richtern in der Halle der Wahrheit und Gerechtigkeit, daß sie ihm nicht anrechnen sollten, was er für Andere und nicht für sich selber verbrochen, und daß sie dem seines Herzens beraubten Rui die Rechtfertigung nicht versagen möchten.
Während sich so seine Seele in Andacht erhob, wurde es vor der Thür des Sektionshauses lebendig. Es war ihm, als höre er seinen Namen aussprechen, und kaum hatte er sich lauschend erhoben, als ein Taricheut zu ihm eintrat und ihm befahl, ihm zu folgen.
Vor den von harzigen Düften und Wohlgerüchen ganz erfüllten Sälen, in denen die Arbeit der eigentlichen Balsamirung verrichtet wurde, standen viele Taricheuten und beschauten einen in einer Alabasterschale ruhenden Gegenstand. Dem Alten erbebten die Kniee, als er in diesen das Thierherz erkannte, welches er zu den inneren Organen des Propheten Rui gelegt hatte.
Der oberste Taricheut fragte ihn, ob er den verstorbenen Propheten geöffnet habe.
Pinem stammelte eine bejahende Antwort.
Ob dieß das Herz desselben sei?
Der Alte nickte bestätigend.
Die Taricheuten beachteten ihn nicht weiter, flüsterten untereinander, einer von ihnen entfernte sich und kehrte bald mit dem Vorsteher der Schlachtopfer aus dem Amonstempel in Theben, den er noch im Hause der Weber gefunden hatte, und dem obersten aller Kolchyten zurück.
»Zeigt mir das Herz,« sagte der Vorsteher der Schlachtopfer, indem er sich den Taricheuten näherte; »im Dunkeln kann ich entscheiden, ob ihr recht gesehen. Hundert Thierherzen prüfe ich täglich. Gebt her! – Bei allen Göttern der Höhe und Tiefe, dieß ist das Herz eines Widders!«
»Und in Rui's Brust ward es gefunden,« betheuerte der Taricheut entschieden. »Gestern ward er von diesem alten Paraschiten in unserer Gegenwart geöffnet.«
»Wunderbar,« sagte der Amonspriester, »und unglaublich. Aber vielleicht ist doch nur eine Verwechselung vor sich gegangen. Habt ihr etwa hier oben geschlachtet und . . .«
»Wir reinigen uns,« unterbrach der oberste Kolchyt den Opferpriester, »für das Fest des Thales und seit zehn Tagen hat bei uns kein Thier zur Speise getödtet werden dürfen; auch liegen die Ställe und Schlachthöfe weit von hier jenseits der Webereien.«
»Seltsam!« wiederholte der Priester. »Verwahr' dieß Herz auf's Sorgsamste, Kolchyt, oder besser, laß es in eine Kapsel thun. Wir wollen es zum ersten Propheten des Amon hinüber bringen. Es scheint, als sei hier ein Wunder geschehen.«
»Das Herz gehört in die Nekropole,« erwiederte der oberste Kolchyt, »und darum wäre es schicklicher, wenn wir es dem ersten Propheten des Setihauses, dem großen Ameni, brächten.«
»Du hast hier zu gebieten,« gab der Andere zurück. »Laß uns denn aufbrechen!«
Wenige Minuten später wurden der Opferpriester und der oberste Kolchyt in ihren Sänften thalabwärts getragen. Ihnen folgte ein Taricheut, welcher auf einem zwischen zwei Eseln befestigten Stuhle saß und ein Kästchen von Elfenbein, in dem das Hammelherz ruhte, behutsam in seinen Armen hielt.
Der alte Paraschit Pinem sah die Priester hinter einem Tamariskengebüsch verschwinden. Am liebsten wäre er ihnen nachgeeilt und hätte ihnen Alles bekannt.
Sein Gewissen quälte ihn mit marternden Vorwürfen, schalt ihn einen Betrüger, und wenn sein langsamer Geist ihm auch nicht zu überblicken gestattete, welche Folgen seine That nach sich ziehen könne, so ahnte ihm doch, daß er eine Saat gestreut habe, aus der Täuschungen jeder Art erwachsen müßten. Es war ihm, als sei er der Sünde und Lüge ganz verfallen und als wende ihm die Göttin der Wahrheit, der er sein Lebenlang redlich gedient, vorwurfsvoll den Rücken. Niemals konnte er nach dem Geschehenen hoffen, als ein »die Wahrheit Redender« 164 von den Todtenrichtern selig gesprochen zu werden. Verloren, verscherzt war das Ziel eines langen an Entsagungen und Gebeten reichen Lebens! Seine Seele weinte blutige Thränen, vor seinen Ohren hörte er ein heftiges Sausen, das seinen Geist trübte, und als er wieder an seine Arbeit gehen und einer Leiche die Fußsohlen ablösen wollte, 165 zitterten seine Hände so heftig, daß er das Messer nicht zu gebrauchen vermochte.
Achtes Kapitel
Die Nachricht von dem Ende des heiligen Widders des Amon zu Theben und dem Tode des Apisstieres von Memphis war auch in das Setihaus gelangt und dort mit Klagen empfangen worden, in welche alle seine Bewohner, von dem ersten Horoskopen bis zu dem kleinsten Knaben in der untersten Schulklasse, einstimmten.
Der Leiter der Anstalt, Ameni, befand sich seit drei Tagen in Theben und ward erst heute zurückerwartet. Mit Erregung und Besorgniß wurde seiner Heimkehr von Vielen entgegengesehen. Der erste der Horoskopen brannte darauf, ihm die eingefangenen Schüler zur Bestrafung zu überweisen und Pentaur und Bent-Anat bei ihm anzuklagen; die Eingeweihten wußten, daß wichtige Verhandlungen am jenseitigen Nilufer gepflogen worden wären, und die ausgebrochenen Zöglinge, daß nun strenges Gericht über sie gehalten werden würde.
Die aufrührerische Schaar war bei Wasser und Brod in einen offenen Hof eingeschlossen worden und hatte, da der gewöhnliche Gefängnißraum der Anstalt für sie alle zu klein war, zwei Nächte lang in einem Speicher auf dünnen Strohmatten schlafen müssen. Die jungen Gemüther waren auf's Höchste erregt, aber das, was in ihnen vorging, äußerte sich in gar verschiedener Weise.
Bent-Anat's Bruder, der Ramsessohn Rameri, hatte die gleiche Behandlung erfahren wie seine Genossen, die gestern noch mit ihm allerlei Kurzweil getrieben und sich dabei weit übermütiger als gewöhnlich gezeigt hatten, heute aber die Köpfe hängen ließen.
In einer Ecke des Hofes saß der junge Anana, Pentaur's Lieblingsschüler, und verbarg sein Gesicht in seinen auf seinen Knieen ruhenden Händen. Rameri schritt auf ihn zu, berührte seine Schulter und sagte:
»Wir haben den Streich nun einmal begangen und müssen wohl oder übel seine Folgen tragen. Aber schämst Du Dich nicht, Alter, Deine Augen sind naß und die Tropfen hier auf Deinen Händen kommen auch nicht aus den Wolken. Das will ein Siebzehnjähriger und in wenigen Monaten ein Schreiber und fertiger Mann sein!«
Anana blickte zu dem Königssohn auf, trocknete schnell seine Augen und sagte:
»Ich war euer Anführer. Ameni wird mich aus der Anstalt weisen und mit Schande muß ich zu meiner armen Mutter zurückkehren, die nichts auf der Welt hat wie mich.«
»Armer Kerl,« sagte Rameri weich. »Es ist auch zum Dreinschlagen! Und wenn unser Streich nur wenigstens dem Pentaur genützt hätte!«
»Geschadet haben wir ihm,« gab Anana lebhaft zurück, »und wie die Unsinnigen gehandelt.«
Rameri nickte zustimmend, schaute eine Minute nachdenklich vor sich hin und sagte dann:
»Weißt