Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.nach einer kurzen Reihe von Ermahnungen, ohne welche er ihn niemals von sich zu lassen pflegte.
Psamtik begab sich in seine Wohnung.
Seine fehlgeschlagene Rache, der neue unheilvolle Bruch mit seinem Vater, die Furcht vor dem Spotte der Fremden, das Gefühl seiner Abhängigkeit von dem Willen der Priester, der Glaube an ein finsteres Geschick, welches von Geburt an über seinem Haupte schwebe, bedrückten sein Herz und umnebelten seinen Geist.
Von einer schönen Gattin und fünf blühenden Kindern war ihm Nichts geblieben, als eine Tochter und ein kleiner Knabe, den er innig liebte. Zu diesem zog es ihn jetzt, bei diesem hoffte er Trost und neuen Lebensmuth zu finden. Das blaue Auge und der lachende Mund seines Sohnes waren die einzigen Dinge, welche das frostige Herz dieses Mannes erwärmen konnten.
»Wo ist mein Sohn?« fragte er den ersten Höfling, welcher ihm in den Weg trat.
»So eben hat der König den Prinzen Necho mit seiner Wärterin holen lassen,« antwortete der Diener.
Der Haushofmeister des Thronerben näherte sich jetzt demselben und reichte ihm einen versiegelten, auf Papyrus geschriebenen Brief, indem er, sich tief verneigend, sagte. »Von Deinem Vater, dem Könige!«
Psamtik erbrach in zorniger Hast das gelbe Wachs des Siegels, welches das Namensschild des Königs trug237, und las: »Ich habe Deinen Sohn zu mir kommen lassen, damit er nicht wie Du zum blinden Werkzeuge der Priester heranwachsen und vergessen möge, was er sich selbst und seinem Vaterlande schuldig sei. Ich werde für seine Erziehung Sorge tragen, denn die Eindrücke der Kindheit sind nachwirkend auf das ganze spätere Leben. Willst Du Necho sehen, so habe ich nichts dagegen; doch mußt Du mich vorher von Deinem Wunsche benachrichtigen lassen.«
Der Thronerbe biß sich die Lippen blutig, um seinen Zorn den ringsumher stehenden Dienern zu verbergen. Der Wunsch seines Vaters und Königs war nach ägyptischer Sitte eben so bindend wie der strengste Befehl. Einige Augenblicke sann er schweigend nach; dann rief er nach Jägern, Hunden, Bogen und Lanzen, schwang sich auf einen leichten Wagen und ließ sich von seinem Rosselenker in das westlich gelegene Marschland fahren, um dort, die Geschöpfe der Wildniß mit Meute und Geschoß verfolgend238, zu vergessen, was sein Herz bedrückte, und statt an seinem entronnenen Feinde an den Thieren seinen Zorn zu kühlen.
Gyges war gleich nach der Unterredung seines Vaters mit Amasis freigelassen und von den Genossen mit lautem Jubel empfangen worden. Der Pharao schien die Gefangennahme des Sohnes seines Freundes durch doppelte Güte wieder gut machen zu wollen, denn er beschenkte ihn noch am selbigen Tage mit einem kostbaren Wagen, welchen zwei edle braune Rosse239 zogen, und bat ihn, ein kunstreiches Damenspiel240 zum Andenken an Sais mit nach Persien zu nehmen. Die Steine dieses Spieles bestanden aus Elfenbein und Ebenholz. In einigen derselben waren Sinnsprüche mit Hieroglyphenzeichen von Gold und Silber eingelegt.
Amasis lachte viel mit seinen Gästen über die List des Gyges, ließ die jungen Helden ungezwungen mit seiner Familie verkehren und behandelte sie ganz wie ein heiterer Vater seine munteren Söhne. Nur bei den Mahlzeiten bewies er, daß der Aegypter in ihm sein Recht fordere, denn die Perser mußten an einem besonderen Tische essen. Er würde sich nach dem Glauben seiner Väter verunreinigt haben, wenn er mit den Fremden an einer Tafel seine Mahlzeit eingenommen hätte241.
Als Amasis endlich drei Tage nach der Freilassung des Gyges erklärte, daß seine Tochter Nitetis in zwei Wochen zur Abreise nach Asien bereit sein werde, so bedauerten alle Perser, nicht länger in Aegypten bleiben zu dürfen.
Krösus gefiel sich im Umgange mit dem samischen Dichter und Bildhauer. Gyges theilte die Vorliebe seines Vaters für die hellenischen Künstler. Darius, welcher sich schon zu Babylon mit Sternkunde beschäftigt hatte242, war eines Abends, als er den Himmel beobachtete, unerklärlicher Weise von dem greisen Oberpriester der Neith angeredet und eingeladen worden, ihm auf den höchsten Pylon, der Hauptsternwarte des Tempels zu folgen. Der wißbegierige Jüngling hatte sich das nicht zweimal sagen lassen, und sammelte allnächtlich, den Lehren des Greises lauschend, neue Kenntnisse.
Psamtik traf einst den Fremden bei seinem Meister und fragte Neithotep, als sich Darius entfernte, wie er dazu komme, diesen Perser in ägyptische Geheimnisse einzuweihen?
»Ich lehre ihn,« antwortete der Oberpriester, »Dinge, welche jeder gelehrte Chaldäer zu Babylon eben so gut weiß wie wir, und mache uns dadurch einen Mann zum Freunde, dessen Gestirne die des Kambyses überstrahlen wie die Sonne den Mond. – Dieser Darius, sage ich Dir, wird einstmals ein mächtiger Herrscher werden; ja ich habe seinen Planeten selbst über Aegypten leuchten sehen. Dem Weisen ziemt es, nicht allein in der Gegenwart zu verweilen, sondern auch in die Zukunft zu schauen, nicht nur seinen Weg, sondern auch dessen Umgebungen zu betrachten. Kommst Du an einem Hause vorbei, so weißt Du nicht, ob Dir in ihm kein Wohlthäter für die Zukunft auferzogen wird. Laß nichts unbeachtet, was an Deinem Pfade steht; vor Allem aber blicke hinauf zu den Sternen. Wie der Hund des Nachts sonder Schlaf auf die Diebe lauert, so wache ich seit fünfzig Jahren auf die Wanderer am Himmel, die ewigen im Aether glühenden Verkünder des Schicksals, welche dem Menschen Morgen und Abend, Sommer und Winter, aber auch Glück und Unglück, Ruhm und Schande vorausbestimmen. Sie, die Untrüglichen, haben mir in Darius eine Pflanze gezeigt, welche zum großen Baum erwachsen wird.«
Bartja waren diese nächtlichen Lehrstunden seines Freundes willkommen, denn sie veranlagen denselben, länger als gewöhnlich zu schlafen und erleichterten ihm also seine heimlichen Morgenritte nach Naukratis, auf welchen ihn Zopyrus, den er zu seinem Vertrauten gemacht hatte, zu begleiten pflegte. Während er selbst bei Sappho verweilte, bemühte sich sein Freund und seine Dienerschaft, einige Springhasen, Schnepfen, Pelikane oder Schakale zu erlegen. Die Heimgekehrten behaupteten dann, dem Mentor Krösus gegenüber, sich auf ihren Ausflügen der Lieblingsbeschäftigung vornehmer Perser, dem edlen Waidwerk, ergeben zu haben.
Niemand bemerkte die Veränderung, welche in dem innersten Wesen des Königssohnes durch die Macht der ersten Liebe vor sich ging, außer Tachot, der Tochter des Amasis. Diese hegte seit dem ersten Tage, an welchem Bartja zu ihr geredet hatte, eine glühende Leidenschaft für den schönen Jüngling. Mit den zarten Fühlfäden der Liebe erkannte sie schnell, daß sich etwas Fremdes zwischen sie und ihn gestellt haben müsse. Wenn Bartja ihr früher gleich einem Bruder begegnet war, und ihre Nähe gesucht hatte, so vermied er jetzt sorgfältig, ihr vertraulich zu nahen. Er ahnte ihr Geheimniß und meinte, wenn er sie nur freundlich ansähe, ein Verbrechen an seiner Liebe für Sappho zu begehen.
Die arme Königstochter grämte sich über die Kälte des Jünglings und machte Nitetis zu ihrer Vertrauten. Diese ermuthigte sie und baute Luftschlösser mit ihr. – Die beiden Jungfrauen malten sich aus, wie herrlich es sein würde, wenn sie, an zwei fürstliche Brüder vermählt, ohne sich von einander trennen zu brauchen, an einem Hofe leben dürften. – Aber Tag auf Tag verstrich, und der schöne Königssohn zeigte sich dem Mädchen immer seltener, und wenn er kam, so verkehrte er mit Tachot kühl und förmlich.
Trotzdem mußte sich die Arme sagen, daß Bartja während seines Aufenthalts in Aegypten schöner und männlicher geworden sei. Ein stolzes und dennoch mildes Selbstbewußtsein strahlte jetzt aus seinen großen Augen, und statt des früheren jugendlichen Uebermuthes breitete sich nicht selten eine eigentümlich träumerische Ruhe über sein ganzes Wesen. Die rosigen Wangen hatten an Farbe verloren; aber das kleidete ihn gut, viel besser als sie, die, gleich ihm, von Tag zu Tag bleicher wurde.
Melitta, die alte Sklavin der Rhodopis, war zur Beschützerin der Liebenden geworden. Sie hatte Bartja und Sappho eines Morgens überrascht, war aber von dem Königssohne so reichlich beschenkt, von seiner Schönheit so vollkommen bezaubert, von ihrem Herzblatte so innig gebeten und so