Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.sind eben Weiber und werden diejenige beneiden, welche den Mann zu gewinnen wußte, nach dem sie alle für sich oder ihre Töchter sehnsüchtig ausschauten. Neid gestaltet sich in den müßigen, einförmigen Räumen des Harems gar leicht zum Hasse, und die Befriedigung desselben muß diesen armseligen Geschöpfen zum Ersatze für ihren Mangel an Liebe und Freiheit dienen. Sappho wird, das wiederhole ich Dir, je schöner sie ist, je boshafteren Anfeindungen ausgesetzt sein, und selbst, wenn Bartja sie innig liebt und in den ersten Jahren keine zweite Gattin heimführt, so schwere Stunden zu bestehen haben, daß ich in der That nicht weiß, ob ich Dir zu der scheinbar glänzenden Zukunft Deiner Enkelin Glück wünschen darf.«
»Dasselbe empfinde auch ich. Ein schlichter Hellene wäre mir zum Eidam lieber gewesen als dieser edle Sohn eines großen Königs.«
In diesem Augenblicke trat, von Knakias eingeführt, Bartja in’s Zimmer. Er flehte die Greisin an, ihm ihre Enkelin nicht zu versagen, schilderte seine heiße Liebe zu ihr, und betheuerte, daß Rhodopis sein Glück verdoppeln würde, wenn sie mit ihm nach Persien ziehen wolle. Dann ergriff er die Hand des Krösus, bat ihn um Verzeihung, weil er ihm, seinem väterlichen Freunde, so lange verschwiegen habe, was sein Herz beglücke, und flehte ihn an, seine Werbung zu unterstützen.
Lächelnd hörte der Greis die leidenschaftlichen Worte des Jünglings und sprach: »Wie oft, mein Bartja, hab’ ich Dich vor der Liebe gewarnt! Sie ist ein brennendes Feuer.«
»Aber ihre Flammen sind bunt und leuchtend!«
»Sie verursacht Schmerzen.«
»Aber diese Schmerzen sind süß.«
»Sie verwirrt den Geist!«
»Aber sie kräftigt das Herz!«
»O, diese Liebe!« rief Rhodopis. »Redet der Knabe nicht, von Eros begeistert, als sei er sein Leben lang bei einem attischen Sprachmeister in die Schule gegangen?«
»Und doch,« erwiederte Krösus, »nenne ich die Liebenden die ungelehrigsten aller Schüler. Man mag ihnen noch so klar beweisen, ihre Leidenschaft sei Gift, Feuer, Narrheit, Tod, so werden sie trotzdem ausrufen: ›aber sie ist süß‹, und unbeirrt zu lieben fortfahren!«
In diesem Augenblicke trat auch Sappho in das Zimmer. Ein weites Festgewand mit purpurrothen gestickten Rändern und weiten Aermeln umwallte ihre zarten Glieder in freien Falten, welche an den Hüften von einem goldnen Gürtel zusammengehalten wurden. In ihren Haaren prangten frische Rosen und ihren Busen schmückte der blitzende Stern, das erste Geschenk des Geliebten.
Anmuthsvoll und schämig verneigte sie sich vor dem Greise, dessen Blicke lange auf ihr ruhen blieben. Und je länger er in dieses jungfräulich holde Antlitz schaute, je freundlicher wurde das seine. Erinnerungsbilder stellten sich vor seine Seele, während eines Augenblickes wurde er selbst wieder jung, unwillkürlich näherte er sich dem Mädchen, liebreich drückte er einen Kuß auf ihre Stirn, faßte ihre Hand, führte sie Bartja entgegen und rief. »Nimm sie hin, sie muß Dein Weib werden, und wenn sich alle Achämeniden gegen uns verschwören sollten!«
»Habe ich denn gar nichts mitzureden?« fragte Rhodopis, unter Thränen lächelnd.
Jetzt erfaßte Bartja die rechte, Sappho die linke Hand der Greisin, und zwei flehende Augenpaare schauten in ihr Angesicht. – Da rief sie, sich hoch aufrichtend, gleich einer Seherin: »Möge Eros, der euch zusammenführte, möge Zeus und Apollo euch schirmen! Wie zwei Rosen an einem Stengel sehe ich euch liebend und glücklich im Lenze des Lebens prangen; was Sommer, Herbst und Winter euch bringen werden, das liegt tief verborgen im Schooße der Götter. Mögen die Schatten Deiner verstorbenen Eltern, meine Sappho, freundlich lächeln, wenn diese neue Botschaft von Dir zu ihnen dringt in die Häuser der Unterwelt!«
Drei Tage später wogte am Landungsplatze bei Sais wiederum ein dichtes Menschengedränge. Das Volk hatte sich versammelt, um der in die Fremde gehenden Tochter des Königs ein letztes Lebewohl zuzurufen. In dieser Stunde zeigte es sich, daß die Aegypter, trotz aller Aufreizungen der Priester, mit inniger Liebe an ihrem Königshause hingen.
Als Amasis und Ladice Nitetis zum Letztenmale weinend umarmten, als sich Tachot im Angesicht aller Saïten auf der großen Stromtreppe der Schwester schluchzend um den Hals warf, als sich endlich der die scheidende Königsbraut tragende Kahn mit schwellenden Segeln vom Lande entfernte, da blieben wenige Augen thränenleer.
Nur die Priester sahen ernst und kalt, wie immer, dem ergreifenden Schauspiele zu.
Als endlich auch die Schiffe der die Aegypterin entführenden Fremden vom Südwinde erfaßt wurden, klangen ihnen viele Flüche und Verwünschungen nach; die zurückgebliebene Königstochter aber winkte den Scheidenden noch lange mit ihrem Schleiertuche. Sie weinte ohne Unterlaß. Galten diese Thränen der Gespielin ihrer Jugend, galten sie dem schönen, geliebten Königssohne?
Amasis umarmte vor dem ganzen Volke seine Gattin und Tochter. Er hielt den kleinen Necho, seinen Enkel, hoch empor und ließ die Aegypter bei seinem Anblicke in lauten Jubel ausbrechen. Psamtik, der Vater des Kindes, stand schweigend und trockenen Auges neben dem Könige, welcher ihn nicht zu beachten schien. Endlich näherte sich ihm Neithotep, der Oberpriester, führte den Zaudernden seinem Vater entgegen, legte seine Hand in die des Königs und rief laut den Segen der Götter über das königliche Haus.
Während seiner Worte knieten die Aegypter mit erhobenen Händen nieder. Amasis zog den Sohn an seine Brust und flüsterte dem Oberpriester zu, als dieser sein Gebet vollendet hatte: »Laßt uns Frieden halten, um unsrer selbst und um Aegyptens willen.«
»Hast Du jenen Brief des Nebenchari empfangen?«
»Ein samisches Seeräuberschiff verfolgt die Triere des Phanes.«
»Dort fährt das Kind Deines Vorgängers, die rechtmäßige Erbin des ägyptischen Thrones, ungehindert in die Ferne.«
»Der hellenische Tempelbau zu Memphis soll eingestellt werden.«
»Isis verleihe uns Frieden, und Glück und Wohlfahrt breite sich über Aegypten!«
In Naukratis hatten die in Aegypten wohnenden Hellenen der in die Ferne ziehenden Tochter ihres Schutzherrn Amasis ein Fest bereitet.
Auf den Altären der griechischen Götter wurden zahlreiche Opferthiere geschlachtet, und als die Nilbarken im Hafen landeten, erscholl ein lautes »Ailinos«!
Festlich geschmückte Jungfrauen überreichten Nitetis einen goldnen Reifen, welcher, als Brautkranz, mit tausend duftenden Veilchen252 umwunden war.
Als schönste Jungfrau von Naukratis durfte ihn Sappho der Scheidenden überreichen.
Nitetis küßte, die Gabe annehmend, dankbar ihre Stirn. Dann bestieg sie die ihrer harrende Triere.
Die Ruderknechte gingen an ihre Arbeit und stimmten das Keleusma253 an254. Der Südwind schwellte die Segel und ein tausendfaches Ailinos erscholl zum Zweitenmale. Bartja winkte vom Verdecke des Königsschiffes seiner Verlobten die letzten Liebesgrüße zu. Sappho betete leise zu Aphrodite Euploia, der Schutzpatronin der Schiffer. Eine Thräne benetzte ihre Wangen; aber ihren Mund umspielte ein Lächeln der Hoffnung und der Liebe, während die alte Sklavin Melitta, welche den Sonnenschirm der Jungfrau trug, wie eine Verzweifelnde weinte. Als dem Kranze, welcher das Haupt ihres Pfleglings zierte, zufällig einige Blätter entfielen, vergaß sie jedoch während eines Augenblickes ihres Schmerzes und leise flüsterte sie Sappho zu: »Ja, Herzchen, man sieht, daß Du Liebe empfindest, denn alle Mädchen, welche Blätter aus ihren Kränzen verlieren, deren Herz hat Eros getroffen255.«
Zweiter Band