Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
Читать онлайн книгу.für uns, da wir nach der Behauptung der Anatomen ein weit größeres Gehirn besitzen, als die Wesen, nach deren Liebe wir trotzdem so sehnlich trachten. Also meine zwei Gründe! Der erste lautet: Die beiden Schmiede sind zu der That gedungen worden.«
»Von wem aber?«
»Es gab nur zwei Personen, denen man so Etwas zumuthen konnte; nämlich entweder Sie oder der alte Förster.«
»Mir lag ein solcher Gedanke damals leider fern.«
»Dem Förster ebenso. Dieser wollte doch sogar partout, daß sein Sohn sich hinrichten lassen solle. Es bleibt uns noch der zweite Grund übrig, und das ist ein psychologischer. Nämlich, die Beiden haben Brandt aus Gewissensbissen gerettet.«
»Ah! Wie soll ich das verstehen?«
»Sie waren Zeugen des Mordes an dem Hauptmann. Sie wußten, wer der Mörder war; sie kannten die Unschuld Brandt's, aber sie konnten nicht für ihn auftreten, weil sie gezwungen waren, zu schweigen. Ihr Gewissen schlug. Sie wollten es zum Schweigen bringen und erreichten es dadurch, daß sie Brandt zur Flucht verhalfen. Der Ueberfall des Wachtmeisters war zwei solchen Paschern keine allzu große Heldenthat.«
»Auch hier wieder eine Perspective, von deren Dasein ich nichts ahnte. Ich bewundere Sie, Durchlaucht!«
Er lächelte ruhig, beinahe traurig, und sagte dann:
»Sie werden mich noch mehr bewundern! Sie trafen Brandt im Walde. Der Hauptmann wollte ihm Abbitte thun; er wartete, bis sie sich entfernten und trat dann zu ihm. Ihr Cousin war Ihnen gefolgt; er fand Brandt's Gewehr und schoß den Hauptmann nieder. Als dieser todt am Boden lag und Sie ohnmächtig in Brandt's Armen, schlich er näher und steckte dem nichts Ahnenden den Zimmerschlüssel Ihres Vaters in die Tasche.«
»Das klingt so leicht, so glaubhaft! Warum ist es mir nicht damals so erschienen!«
»Weiter! Die Pascher waren überfallen worden. Der Schmied und sein Sohn gehörten zu ihnen. Sie strichen aus irgendeinem Grunde im Walde umher. Sie befanden sich in der Nähe des Mordplatzes. Sie waren Zeugen der That, aber sie waren dem Mörder in irgend einer Weise verbunden, oder sie hatten einen anderen Grund. Kurz und gut, sie schwiegen, als Brandt verurtheilt wurde, aber sie retteten ihn, um ruhig schlafen zu können. Klingt das etwa sehr unwahrscheinlich, liebe Baronesse?«
»Ganz und gar nicht.«
»Das finde ich auch. Wer also Klarheit über den Mord Ihres Vaters haben will, muß zu der jetzigen Baronin Ella von Helfenstein gehen. Und wer dem zweiten Morde auf den Grund kommen will, der hat sich an die beiden Schmiede zu halten, welche ja heute noch leben. Und wer Drittens etwas über die Ermordung Ihres Brüderchens erfahren – – ah, Sie staunen?«
»Ich bin allerdings fast sprachlos! Haben Sie auch hier bereits geforscht, Durchlaucht?«
»Ja.«
»Mit Resultaten?«
»Hm! Man glaubt hier in der Stadt allgemein, daß der geheimnißvolle Fürst von Befour sich erst seit sechs Monaten hier im Lande befinde; Ihnen aber, als meiner Freundin, Schwester und Vertrauten, will ich mittheilen, daß ich vorher bereits fast dreiviertel Jahr unter verschiedenen Gestalten im Lande herumwanderte, um nach Spuren zu suchen und zu forschen.«
»Welch ein Mann! Welch eine Aufopferung für unseren Brandt!«
»Pah! Bei meiner Freundschaft für ihn ist das, was ich für ihn thue, grad so, als sei es für mich gethan. Der Verdacht, welchen ich auf die beiden Schmiede warf, brachte mich auf neue Gedanken.«
»Durchlaucht, Sie sind ja der reine Polizist! Ich glaube, Sie übertreffen Brandt noch, der auch bedeutende Anlagen für diesen Beruf besaß. Er könnte heute seine Angelegenheit sicherlich nicht besser führen, als Sie es thun!«
»Ich will dieses Kompliment einstweilen nicht mit Dank hinnehmen. Doch, hören Sie weiter! Die Schmiede waren die Verbündeten Ihres Cousins. Die alte Wirthschafterin des Letzteren entsinnt sich jener Zeit noch sehr genau. Von ihr erfuhr ich, daß die Zofe Ella am Tage vor Brandt's Verurtheilung bei Franz von Helfenstein gewesen sei. Ebenso erfuhr ich, daß der Letztere einen Tag vorher von den Schmieden besucht wurde. Da haben sie ihren Packt mit ihm gemacht. Das sieht man heute. Sie sind reiche Leute geworden. Aber ich werde sie zu fassen wissen.«
»Ich hoffe es! Aber wollten Sie nicht von meinem Brüderchen sprechen, Durchlaucht?«
»Gewiß. Unsere Wege sind eben so verschlungen, daß wir sehr viel von der geraden Richtung abweichen müssen. Können Sie sich auf den Tag des Schloßbrandes besinnen?«
»Sehr genau. Es war derselbe Tag, an welchem unser Gustav Brandt verurtheilt wurde.«
»Das stimmt. Nehmen wir getrost an, daß das Knäblein ermordet werden sollte. Die Beiden, in deren Interesse dies geschah, waren am Tage in der Residenz gewesen und am Abende zurückgekehrt, also anwesend, aber ich glaube trotzdem nicht, daß der Baron selbst oder Ella Hand an das Kind gelegt haben. Ich habe vielmehr Verdacht auf ihre Verbündeten, die beiden Schmiede.«
»Haben Sie Veranlassung dazu?«
»Ja. Ich kam nämlich auf höchst eigenthümliche Weise auf meine Gedanken. Können Sie sich noch auf den Todtengräber Uhlig in Helfenstein besinnen?«
»Sehr gut. Er ist jetzt bei seinem Sohne.«
»Richtig. Der gute Christian Uhlig war Schließer, als Brandt in Untersuchung saß. Jetzt ist derselbe Christian Wachtmeister, und sein Vater wohnt bei ihm, um das Gnadenbrot da zu essen. Ich nahm, aus Forscherabsicht, Veranlassung, mit den Beiden einmal wie zufällig zusammenzutreffen, und ich hörte da etwas, was mir zu denken gab. Nämlich gerade damals ist der alte Schmied zu Christian gekommen, um sich nach Brandt zu erkundigen. Er hat dem Schließer einen Sack voll Kartoffeln von seinen Eltern mitgebracht. Als das erzählt wurde, erfuhr ich so nebenbei von dem alten Todtengräber, daß am Abende des Schloßbrandes die beiden Schmiede bei ihm zur Geburtstagsfeier gewesen seien. Der Knabe der Botenfrau ist begraben worden, und die Schmiede haben geholfen, den Sarg mit Erde zu bedecken.«
Sie sah dem Sprecher fragend in das Gesicht.
»In welchem Zusammenhang steht das Alles?« meinte sie.
»In einem sehr innigen. Nehmen wir an, die Schmiede haben Ihr Brüderchen tödten sollen.«
»Das traue ich ihnen nicht zu!«
»Ich traue ihnen zu, daß sie um der Bezahlung willen diesen Auftrag übernommen haben, aber ich traue ihnen die strikte Ausführung desselben auch nicht zu. Sie haben den Sohn der Botenfrau mit eingescharrt. Das ist des Nachts geschehen, eine gute halbe Stunde, bevor es im Schlosse brannte. Wie nun, wenn man einmal nachgraben ließe, ob sich in jenem Grabe wirklich die Reste einer Kinderleiche befinden?«
»Wie meinen Sie das?« fragte sie gespannt.
»Ich denke, die beiden Pascher haben den alten, braven Todtengräber über's Ohr gehauen. Sie haben die Leiche entfernt und nur den leeren Sarg einscharren helfen.«
»Ich sehe aber nicht ein, weshalb und wozu!«
»Nun, sehr einfach: um nicht gezwungen zu sein, Ihr kleines Brüderchen zu tödten. Sie wollten das Geld verdienen, die Leiche des Knaben mußte also gefunden sein. Sie nahmen Ihren Bruder fort, legten das Kind der Botenfrau an seine Stelle und brannten das Bettchen an, damit die Verwechslung nicht bemerkt werden könne. So ist meine Combination.«
Da erhob sich Alma langsam und wie starr vom Stuhle. Gerade und aufrecht vor dem Fürsten stehend fragte sie:
»Sie meinen, daß mein Bruder nicht getödtet worden sei?«
»Das meine ich.«
»Daß er auch nicht mit verbrannt sei?«
»Das will ich eben sagen.«
»So kann er ja noch leben!«
»Das ist leicht möglich!«
Da schlug sie die Hände zusammen und rief:
»Und das Alles sagen