Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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der Plan, ihn durch eine verbrecherische List zu befreien, gestern vereitelt wurde, so soll er heute anderwärts ausgeführt werden.«

      »Alle Wetter! Wo?«

      »Es soll im Schlafzimmer der Tochter des Obersten von Hellenbach eingebrochen werden.«

      Der Rothkopf sprang erschrocken von seinem Stuhle auf.

      »Bei Fanny von Hellenbach?« fragte er.

      »Ja.«

      »Wann?«

      »Vielleicht bereits in diesem Augenblicke.«

      »Dann vorwärts fort! Und unterwegs das Weitere.«

      Er zog die Börse und warf ein Goldstück als Bezahlung des Weines, welchen er nun nicht genießen konnte, auf den Tisch. Dann eilten Beide fort. Keine der übrigen anwesenden Personen hatte eine Sylbe der Unterredung verstanden.

      Auf der Straße angekommen, nahm der Rothe den Arm des Schlossers und fragte im raschen Vorwärtsschreiten:

      »Sind Sie genau unterrichtet?«

      »Ja. Ich war zugegen, als der ›Hauptmann‹ davon sprach.«

      »Der Riese soll wieder freigelassen werden?«

      »Ja.«

      »Das wird heute das Unglück des Schließers sein. Er dauert mich. Aber der Riese ist ein brutaler Mensch; das Fräulein befindet sich vielleicht in Todesgefahr, und ich erfahre die Sache zu spät, um private Maßregeln ergreifen zu können. Ich bin also gezwungen, die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen. Wer wird bei dem Riesen sein?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Sie sind nicht mit zu ihm befohlen, wie gestern?«

      »Nein. Und da der Hauptmann Jedem seine Befehle nur einzeln und leise giebt, so weiß Keiner, was der Andere zu thun hat.«

      »Wünschen Sie in dieser Angelegenheit mit der Polizei in Berührung zu kommen?«

      »Allerdings ganz und gar nicht. Ich befürchte, daß der Hauptmann sogar bei der Polizei seine Anhänger hat.«

      »Das glaube ich nicht. Ich habe die hiesigen Verhältnisse genau studirt. Wir haben hier lauter pflichttreue und diensteifrige Leute. Sie allerdings haben überhaupt Ursache, nicht von ihnen bemerkt zu werden. Es ist also besser, daß wir uns trennen. Gute Nacht!«

      Er ließ ihn stehen und ging schnellsten Schrittes weiter.

      »Er hat mich nicht erkannt,« meinte er für sich hin. »Das ist ein Zeichen, daß ich in meinen Verkleidungen nichts zu befürchten habe. Diese Lahia-laki, diese natürlichen Scalpbärte und Scalpperrücken sind gar nicht mit Geld zu bezahlen. Ah, endlich! Da ist die Wache!«

      Er stand vor dem Lokale desjenigen Reviers, zu welchem die Wasser- und auch diejenige Straße gehörte, in welcher das Haus des Obersten von Hellenbach stand. Er trat ein. Es waren über ein halbes Dutzend Schutzmänner vorhanden.

      »Was wünschen Sie?« wurde er gefragt.

      »Entschuldigung, wenn ich störe!« antwortete er. »Soeben begegnete mir ein Herr, welcher mich bat, schleunigst nach hier zu gehen, um Ihnen eine sehr wichtige Mittheilung zu machen.«

      »Welche?«

      »Ich weiß nicht, ob ich sprechen darf. Es könnte sich auch um eine Mystifikation handeln.«

      »Mystifikation? Hm! Wer sind Sie?«

      Da trat einer der Schutzmänner vor und antwortete:

      »Ich kenne den Herrn. Es ist der Kunstmaler Brenner, welcher neben mir wohnt.«

      »Schön! Also, Herr Brenner, wie lautet Ihre Meldung?«

      »Es wird bei der Tochter des Obersten von Hellenbach eingebrochen.«

      »Donnerwetter! Wann?«

      »Vielleicht in diesem Augenblicke.«

      »Wer ist der Thäter?«

      »Der Riese Bormann.«

      »Unsinn! Der steckt sehr sicher hinter Schloß und Riegel!«

      »Er ist entweder entsprungen oder herausgelassen worden. Ich weiß das natürlich nicht. Ich kann blos sagen, was der Herr mir aufgetragen hat.«

      »Jedenfalls eine Mystifikation, mein werther Herr Brenner. Kannten Sie den Herrn, der Sie hergeschickt hat?«

      »Nein.«

      »Sehen Sie! Es scheint, man hat sich im Datum verrechnet. Wir haben den ersten Dezember, aber nicht den ersten April.«

      Der angebliche Maler schüttelte nachdenklich den Kopf. Er meinte:

      »Der Fremde schien vorausgesehen zu haben, daß man mir keinen Glauben schenken würde. Er gab mir eine Bescheinigung mit.«

      »Ah! Was?«

      »Es ist nicht hell genug auf der Straße, um deutlich zu sehen. Es scheint eine Art von Münze zu sein, welche ich erhielt. Hier ist sie.«

      Er zog den Gegenstand aus der Tasche und gab ihn hin. Der Beamte warf einen Blick darauf und sagte überrascht:

      »Der Fürst des Elendes! Ueberall ist er! Alles weiß er! Er sagt nie die Unwahrheit! Der Einbruch wird wirklich verübt. Auf also, meine Herren! Nehmen Sie Todtschläger mit! Einer bleibt hier! Vorher aber telegraphire ich um Succurs nach der Hauptwache!«

      Bei der Bewegung, welche es jetzt gab, fiel es gar nicht auf, daß der Maler sich nach einem kurzen Gruße zurückzog. Kaum eine halbe Minute nach ihm verließen auch die Polizisten das Local.

      Nicht in einer auffälligen Truppe, sondern einzeln und möglichst unbemerkt eilten sie dem angegebenen Orte zu. Das Thor war verschlossen. Der Anführer zog es vor, zu klopfen, anstatt die Klingel zu ziehen. Der Portier war wach. Er nahte sich und fragte von innen:

      »Wer klopft?«

      »Die Polizei. Oeffnen Sie möglichst leise!«

      Der Mann schien bestürzt zu sein, denn es dauerte eine Weile, ehe das Thor aufging. Er trat unter die Oeffnung und fragte:

      »Wirklich Polizei?«

      »Ja. Sie sehen es ja. Sprechen Sie leise. Wo schläft Fräulein von Hellenbach? Liegt das Zimmer nach der Straße oder nach dem Hofe zu?«

      »Nach dem Hofe zu. Warum?«

      »Erschrecken Sie nicht. Wir erwarten Menschen, welche dort einbrechen wollen.«

      »Himmeldonnerw-!«

      »Pst! Nicht so laut. Ist jemand Verdächtiger hier passirt?«

      »Nein.«

      »Oder durch die Hofthür?«

      »Kein Mensch.«

      »Hm! Ist die Letztere ohne Geräusch zu öffnen?«

      »Ja. Schloß und Angeln sind gut geölt.«

      »Oeffnen Sie! Dieser Vordereingang bleibt auch offen, und ein Mann postirt sich hier, um den Succurs zu empfangen. Die anderen kommen mit. Vorwärts! Aber leise!«

      Der Portier öffnete die Hinterthür. Der Anführer trat vorsichtig in den Hof und blickte sich um. Er hatte kaum Selbstbeherrschung genug, einen Ruf des Erstaunens zu unterdrücken. Er trat zurück und meldete flüsternd:

      »Sie sind bereits oben. Draußen lehnt eine Leiter. Es scheint, sie sind durch das gegenüberliegende Haus der Wasserstraße hier in den Hof eingestiegen.«

      »Wollen wir ihnen auf der Leiter folgen?« fragte Einer.

      »Nein,« antwortete der vor- und umsichtige Beamte. »Das wäre zu gefährlich. Derjenige, welcher von Außen durch das Fenster steigen wollte, wäre den Waffen der Einbrecher preisgegeben. Sind die Thüren oben verschlossen?«

      »Ja,« antwortete der Portier.


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