Maigret und der Mann auf der Bank. Georges Simenon

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Maigret und der Mann auf der Bank - Georges  Simenon


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das lange her?«

      »Einige Jahre. Schon damals hat eigentlich er die Firma geführt.«

      »Haben Sie vielleicht ein Foto von ihm?«

      »Wofür?«

      »Ich möchte mich vergewissern …«

      »In welcher Hinsicht vergewissern?«

      Ihr Argwohn wuchs.

      »Ist Louis etwas zugestoßen?«

      Unwillkürlich warf sie einen Blick auf die Uhr in der Küche nebenan, als überlegte sie, wo er zu dieser Stunde sein konnte.

      »Ich möchte mich vergewissern, ob es sich wirklich um seine Person handelt.«

      »Auf dem Buffet«, sagte sie.

      Fünf oder sechs Fotos in Metallrahmen standen dort. Eines zeigte ein junges Mädchen und ein anderes den erstochenen Mann in der Sackgasse. Er war darauf viel jünger und schwarz gekleidet.

      »Ist Ihnen bekannt, ob Ihr Mann Feinde hat?«

      »Warum sollte er Feinde haben?«

      Sie ging kurz in die Küche und drehte das Gas ab, denn auf dem Herd köchelte irgendetwas.

      »Wann kommt er gewöhnlich von seiner Arbeit zurück?«

      »Er nimmt immer denselben Zug an der Gare de Lyon, um sechs Uhr zweiundzwanzig. Unsere Tochter kommt mit dem späteren Zug. Sie arbeitet etwas länger, sie hat eine Vertrauensstellung und …«

      »Ich muss Sie leider bitten, uns nach Paris zu begleiten.«

      »Ist Louis tot?«

      Sie sah die beiden Männer fest an, mit dem Blick einer Frau, die nicht erträgt, dass man sie belügt.

      »Sagen Sie mir die Wahrheit.«

      »Er ist heute Nachmittag ermordet worden.«

      »Wo?«

      »In einer Sackgasse am Boulevard Saint-Martin.«

      »Was hat er da gemacht?«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Wann war das?«

      »Vermutlich um kurz nach halb fünf.«

      »Um halb fünf ist er bei Kaplan. Haben Sie mit denen gesprochen?«

      »Dazu war noch keine Zeit. Wir wussten im Übrigen nicht, wo er gearbeitet hat.«

      »Wer hat ihn ermordet?«

      »Das versuchen wir herauszufinden.«

      »War er allein?«

      Maigret wurde ungeduldig.

      »Es wäre besser, Sie ziehen sich an und kommen mit uns.«

      »Was hat man mit ihm gemacht?«

      »Er wird mittlerweile in die Gerichtsmedizin gebracht worden sein.«

      »Ist das die Leichenhalle?«

      Was sollte er darauf antworten?

      »Wie kann ich meiner Tochter Bescheid sagen?«

      »Sie könnten ihr eine Nachricht hinterlassen.«

      Sie dachte einen Augenblick nach.

      »Nein«, sagte sie dann, »wir fahren bei meiner Schwester vorbei, und ich gebe ihr den Schlüssel. Sie soll dann herkommen und hier auf Monique warten. Müssen Sie meine Tochter auch sprechen?«

      »Das empfiehlt sich.«

      »Wo soll sie uns treffen?«

      »In meinem Büro am Quai des Orfèvres, das ist am einfachsten. Wie alt ist sie?«

      »Zweiundzwanzig.«

      »Können Sie Ihre Tochter nicht anrufen?«

      »Wir haben kein Telefon. Außerdem ist sie jetzt nicht mehr im Büro, sondern schon unterwegs zum Bahnhof. Warten Sie bitte einen Augenblick.«

      Sie ging die Treppe hinauf. Die Stufen knarrten, allerdings nicht, weil das Holz alt, sondern weil es zu dünn war.

      Das ganze Haus machte den Eindruck, aus billigem Material erbaut zu sein, das vermutlich nicht sehr haltbar war.

      Die beiden Männer sahen einander an, während sie die Frau über ihren Köpfen hin und her gehen hörten. Bestimmt zog sie sich ein schwarzes Kleid an, und wahrscheinlich frisierte sie sich noch einmal. Als sie wieder herunterkam, wechselten sie erneut einen Blick: Sie hatten recht gehabt. Sie trug bereits Trauer und duftete nach Eau de Cologne.

      »Ich muss noch das Licht ausmachen und den Zähler abschalten. Wenn Sie draußen warten wollen …«

      Sie zögerte, in das kleine Auto zu steigen, als zweifelte sie daran hineinzupassen. Aus dem Nachbarhaus wurden sie von jemand beobachtet.

      »Meine Schwester wohnt zwei Straßen von hier. Der Chauffeur muss nur rechts abbiegen; dann gleich die zweite Straße links.«

      Die beiden Häuschen glichen einander wie Zwillinge. Nur die Farbe der kleinen Fenster an der Eingangstür war verschieden. Diese hier waren aprikosengelb.

      »Ich bin gleich wieder da.«

      Sie blieb doch fast eine Viertelstunde fort und kam in Begleitung einer Frau zurück, die haargenau so aussah wie sie und ebenfalls schwarz gekleidet war.

      »Meine Schwester kommt mit. Ich dachte, wir könnten ein bisschen zusammenrücken. Mein Schwager wird bei mir zu Hause auf meine Tochter warten. Er ist Zugschaffner und hat heute frei.«

      Maigret setzte sich neben den Schaffner. Die beiden Frauen hinten ließen nur sehr wenig Platz für Inspektor Santoni. Von Zeit zu Zeit hörte man sie flüstern wie im Beichtstuhl.

      Als sie das Gerichtsmedizinische Institut unweit vom Pont d’Austerlitz erreichten, lag Louis Thourets Leichnam noch bekleidet auf einer Steinplatte, wie Maigret es angeordnet hatte. Während der Kommissar das Gesicht abdeckte, beobachtete er die beiden Frauen, die er jetzt zum ersten Mal im vollen Licht sah. Eben noch, im Dunkel der Straße, hatte er sie für Zwillinge gehalten. Nun erkannte er, dass die Schwester drei oder vier Jahre jünger sein musste. Ihr Körper hatte sich eine gewisse Geschmeidigkeit bewahrt, vermutlich nicht mehr für lange.

      »Erkennen Sie ihn wieder?«

      Madame Thouret hielt ihr Taschentuch in der Hand, weinte aber nicht. Ihre Schwester hatte sie untergefasst, wie um sie zu stützen.

      »Ja, er ist es, mein armer Louis. Als er mich heute Morgen verließ, hat er nicht geahnt …«

      Und unvermittelt fügte sie hinzu:

      »Werden ihm denn nicht die Augen geschlossen?«

      »Das können Sie jetzt tun.«

      Sie sah ihre Schwester an, und sie schienen einander zu fragen, wer von ihnen beiden es auf sich nehmen sollte. Schließlich tat es die Ehefrau, nicht ohne Feierlichkeit, wobei sie murmelte:

      »Armer Louis.«

      Kurz darauf bemerkte sie die Schuhe, die unter dem Tuch, mit dem der Leichnam zugedeckt war, hervorragten, und ihr Gesicht verfinsterte sich:

      »Was ist das denn?«

      Maigret begriff nicht gleich.

      »Wer hat ihm die Schuhe da angezogen?«

      »Er trug sie, als er gefunden wurde.«

      »Das ist nicht möglich. Louis trug keine gelben Schuhe. Jedenfalls nicht in den sechsundzwanzig Jahren unserer Ehe. Er wusste, dass ich das nie geduldet hätte. Sieh doch bloß, Jeanne.«

      Jeanne nickte nur.

      »Vielleicht sollten Sie überhaupt prüfen, ob die Kleidungsstücke, die er trägt, seine sind. Es ist doch Ihr Mann?«

      »Ohne Zweifel. Aber das sind


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