Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel

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Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman - Franz Werfel


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Seigneur? Es ist nicht nur ungesund für Sie, sondern auch für uns, was ich in der Antithese meines Tagesorakels bereits ausgedrückt habe.

      Der Mensch ist nur das Geschöpf seines Jahrhunderts und nichts andres als dies. Er gebe sich ganz und gar hin dem im Bestehen Fortschmelzenden, das er Gegenwart nennt. Wenn er als Historiker die Vergangenheit besucht im Moder-Raum der Dokumente und Grabschriften, dann ist es schon ein leichter Frevel, denn die Vergangenheit des Geschichtsgierigen kann niemals die echte Vergangenheit sein. Wenn er aber seine Nase in die Zukunft steckt, in den Moder-Raum der absoluten Leere, in welcher es keine Dokumente und nicht einmal Gräber gibt, dann ist es ein sehr großer Frevel, ja eine Sünde vor Gott, möge ihm auch Wahrtraum oder Tod dies und jenes Richtige zuflüstern . . .“

      Es war, wie man mir zugeben wird, in der Tat mehr als peinlich, was ich durch die Sprache dieser Traueraugen da immer deutlicher zu verstehen bekam. Es war klipp und klar ein Hinausschmiß. Das Weltoberhaupt gab mir das Consilium Abeundi aus einer Gegenwart, in die ich durch eine falsche Tür eingetreten war. Wie recht hatte der Geoarchont. Ich gehörte nicht hierher. Aber war’s meine Schuld? Was sollte ich tun? Ich konnte nichts dagegen tun, wie meine Leser schon wissen, denn zu zerfließen hatte ich nicht gelernt. Was ich hingegen tat, war etwas äußerst Ordinäres. Ich deutete nicht nur mit lebhaftem Augenspiel, sondern mit effekthaschendem Kopf- und Fingerwink auf B.H., den Wiedergeborenen, indem ich alle Schuld für meine Anwesenheit in dieser verbotenen Gegenwart im Elften Weltjahr der Jungfrau auf ihn abwälzte. Gewiß, er war schuldig, bewußt oder unbewußt, indem er meinen Namen aus dem Alphabet gestochen hatte, B.H.s Schuld bedeutete aber keine Entlastung für mich. Darf man denn gegen seinen alten Mitschüler und besten Freund eine solche Felonie begehen, daß man ihn mit dem winkenden und stechenden Zeigefinger beim Vorstand anzeigt, sei’s auch in einem Fall, wo er schuldig und man durch seine Schuld ins Gedränge gekommen ist?

      Ich weiß nicht, wie viel der hohe Seleniazuse von dem allen bemerkt hatte. Seine Augen waren meinem Zeigefinger nicht gefolgt. Sie ruhten weiter auf mir mit schöner und unbeschreiblicher Traurigkeit, ohne mehr zu sprechen. Sie wandten sich auch dann nicht ab, diese Augen, als die Hände des Geoarchonten plötzlich einen langen Einriß in seinen violetten Gewandschleier machten, ähnlich wie es die Orientalen noch heute tun, wenn sie einen Toten beklagen. Ich verstand die Bedeutung dieser zeremoniellen Handlung nicht sogleich. Erst als der Fremdenführer und meine andern Begleiter mir mit entsprechenden Gebärden und Blicken zuwinkten, streckte ich meinen linken Arm mit der schmachvoll aufgerauhten Hemdmanschette dem Welthausmeier entgegen. Die traurigen Wunderaugen gaben mich frei. Überschmale, ein wenig zitternde Elfenbeinhände aber befestigten einen Streifen des violetten Gewandschleiers lose an meinem linken Handgelenk. Ich hatte hiemit eine hohe Auszeichnung empfangen. Die violette Ehrenschleife sicherte mir die beste Behandlung, ja die unbedingte Bevorzugung durch die Zeitgenossen, welche nicht die meinen waren. Sie war zweifellos bedeutsamer als der provinzielle Orden an meiner linken Brustseite. Diesen hatte ich immerhin hierher mitgebracht. Würde es mir möglich sein, die Ehrenschleife dorthin als Beweisstück mitzubringen, wohin ich von hier würde gehen müssen? Während der ganzen Zeit, welche ich in der Gegenwart der fernsten Zukunft verbrachte, kam mir nicht ein einziges Mal der Gedanke, ich sei hier nicht nur auf flüchtigen Besuch, sondern könnte mich bleibend ansiedeln. Wohin aber werde ich von hier gehen müssen? Da ich aus dem Tod kam, wie ich glaubte, so werde ich doch wieder nur in den Tod gehn müssen, samt Orden und Schleife. B.H. also war dafür verantwortlich, daß ich zweimal sterben mußte. Recht geschieht ihm, dachte ich jetzt höhnisch, daß ich vorhin mit Fingern auf ihn gezeigt habe.

      Ich sah das namenlose, mondgeweihte Welthaupt eifrig an, um mir den Adel dieses Antlitzes einzuprägen für immer. Es tat mir leid, daß ich es nicht mehr sehen sollte. Ich konnte ja nicht wissen, daß ich es noch einmal sehen sollte, in tragischer Stunde.

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