Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel

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Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman - Franz Werfel


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schon bedeutet, ihm Mißachtung und Feindseligkeit zu beweisen. Wir blieben also dann und wann stehn, wenn der Beständige Gast es gebot, und ich machte Kopfneigungen bei steifem Oberkörper und nahm ebensolche Kopfneigungen entgegen, obwohl ich dieser Menschheit nur im Sinne der zurückeilenden Zeitdimensionen angehörte, nicht aber im Sinne des gleichzeitigen Raumes, in dem ich mich nur auf Widerruf befand, was ich in diesem Augenblick sehr hell und mit einem leisen Amüsement empfand. Immer wieder wurden Fragen an mich gerichtet, die seit den Anfängen der Menschheit bis zu ihrem Ende immer dieselben sind und bleiben werden:

      „Ist das Ihr erster Besuch des Geodroms, Seigneur?“

      „Jawohl, es ist mein erster.“

      „Und ist Ihr Eindruck wirklich so groß, wie die ,Abend-Sterne’ es soeben behaupteten?“

      „Mein Eindruck ist gigantisch.“

      „Damit machen Sie uns eine große Freude, Seigneur.“

      Warum machte ich ihnen eine so große Freude mit dem bißchen leeren Lob? Warum waren sie so eitel? Waren sie denn so arm? Sollte man auch heute noch an Minderwertigkeitsgefühlen leiden?

      „Sagen Sie offen, Seigneur, erkennen Sie an uns einen Fortschritt?“

      „Fortschritt ist ein zu schwaches Wort für den Bergweg der Höherentwicklung, den Sie zurückgelegt haben, meine Damen und Herren.“

      „Hat irgend jemand in Ihren Tagen, Seigneur, diesen Bergweg vorhergeahnt?“

      „Nein! Zu meiner Zeit war die volle Bändigung der Naturkräfte durch Technik Inbegriff aller Zukunftsträume, wozu ja auch der Kampf um ein bißchen soziale Gerechtigkeit noch gehörte. Eine astromentale Kultur in heutiger Art lag außerhalb unserer Vorstellungskraft und unseres Wunschtraums.“

      „Oh, ist das wirklich so, Seigneur?“

      Steife Verbeugung meinerseits und seinerseits.

      Sie waren unsicher, sehr unsicher. Io-Sums „Trotz allem“ nagte an ihnen.

      Plötzlich begann der liebe Herr Io-Solip ziemlich unruhig und nachdenklich zu werden:

      „Ich bin soeben von meinem Gegenschwieger Io-Fagòr angerufen worden“, sagte er.

      Darauf sah ich mir den kleinen gutherzigen Bräutigamsvater genau an, ob ich etwa einen winzigen Fernsprecher oder Radioempfänger in seinen Händen entdecken könne. Nichts dergleichen.

      „Womit und auf welche Weise sind Sie angerufen worden?“ fragte ich gespannt.

      Um meine kindische Unwissenheit zum Schweigen zu bringen, übernahm B.H. sofort die Erklärung in wegwerfendem Ton:

      „Wir rufen einander im Geiste an“, sagte er, „das mag dir genügen. Es gehört dazu freilich eine ganze Menge von Erziehung und Praxis. Man muß die Gewandtheit haben, dem Strom der inneren Vorstellungen und Bilder willentlich Einhalt zu gebieten und das Bild desjenigen, den man anrufen will, mit höchster Plastik herauszuarbeiten . . . Ich will es später mit dir üben.“

      „Wir sollen schnell nach Hause kommen“, sagte Herr Io-Solip und verriet eine gewisse Nervosität, „Io-La, die Braut, Io-Fagòrs herrliche Tochter, ist schon sehr ungeduldig und ungehalten; man möge ihr endlich Seigneur vorführen.“

      „Ich betrachte den Wunsch der jungen Dame als Befehl“, sagte ich mit altfränkischer Galanterie, doch innerlich von der Sehnsucht besessen, „nach Hause“ und zur Ruhe zu kommen. Mich erfüllte die Hoffnung, ich werde nach rascher Absolvierung jener Dame Io-La oder Lala, wie sie genannt wurde, mich irgendwo niedersetzen können, am liebsten in dem Bernsteingelb des kleinen Salons, und gemeinsam mit B.H. wieder ein Fossil sein dürfen. Meine Hoffnung wurde schnell durchkreuzt. Der Fremdenführer dieses Zeitalters schwebte an der Spitze eines sichtlich offiziellen Häufleins auf uns zu. Das Komitee der größten Streitfrage aller Zeiten hatte einen Beschluß über mich gefaßt, der meiner Sehnsucht nach der gebrochenen Linie keine Rechnung trug. Ich sollte unverzüglich vor den Welthausmeier geführt werden, um von ihm eine Auszeichnung für meinen philosophischen Preisspruch zu erhalten.

      „Welthausmeier?“ fragte ich. „Major Domus Mundi? Ist dieser Begriff zurückzuführen auf die regierenden Satrapen der Merowinger- und Karolingerzeit?“

      Niemand konnte antworten. B.H., der es vermutlich hätte können, schien es nicht zu wollen.

      „Ist der Welthausmeier hier das Staatsoberhaupt?“ fragte ich weiter.

      „Er ist der Geoarchont, der Erdballpräsident“, erwiderte B.H.

      „Ich bitte um Verzeihung“, zögerte ich, mit einem Blick zu meinem Freunde hin. „Ich denke aber, daß ich morgen, sollte ich noch leben und hier sein, viel präsentabler sein werde als jetzt . . .“

      Man überstürzte sich in Beteuerungen, daß ich präsentabler gar nicht werden könne, als ich soeben war. Nicht einmal das Argument, daß die herrliche Lala, die Braut dieser Tage, ungeduldig auf meine Vorführung warte, wurde zugelassen. Das Weltoberhaupt hatte befohlen.

      „Meine Herrschaften“, sagte ich, „sehen Sie hier diese mittelmäßig ehrenvolle Auszeichnung an meiner Brust. Der Staat, der sie mir verliehen hatte, wurde drei Wochen darauf von der Weltgeschichte bis auf weiteres kassiert. Es ist ein böses Omen. Man soll unzuverlässige Leute, die auf so imaginären Gebieten arbeiten wie ich, nicht durch Orden und Ehrenzeichen hervorheben wie verläßliche Beamte, Politiker und Kommerzianten. Gewandtheit im schriftlichen Ausdruck ist eine Gabe, aber keine Leistung, und noch viel weniger eine Tugend.“

      Man schalt meinen Aberglauben und beruhigte mich allen Ernstes. Jedes Kind wisse, daß die geeinigte Menschheit sich im Gleichgewicht befinde, welches nur durch eine kosmische Katastrophe aufgehoben werden könnte. Da fragte ich, ohne einen Seufzer zu unterdrücken:

      „Befindet sich der Regierungspalast in der Nähe? Werde ich Gelegenheit haben, mir die Hände zu waschen, ehe ich vor Seiner Exzellenz erscheine?“

      B.H. sah mich ziemlich verstört an. Es tat mir leid, daß ich ihn immer wieder blamierte.

      „Regierungspalast“, schüttelte er den Kopf. „Der Welthausmeier wohnt im Schilderhaus!“

      Nein, der Amtssitz des Erdballpräsidenten oder Geoarchonten war mehr als ein Schilderhaus. Es war eine Art von Wachtstube in einer grobgezimmerten Baracke, die an militärische Ubikationen gemahnte, wie ich sie seinerzeit, das heißt meinerzeit, gut gekannt habe. Nur der Farbanstrich in hellgrünen und hellblauen Streifen mochte in der verschütteten Erinnerung des Wiedergeborenen das Wort „Schilderhaus“ heraufbeschworen haben, worunter man jene runden oder viereckigen hölzernen oder steinernen Kästen versteht, die dem auf und ab schreitenden Schildoder Wachtposten Schutz während eines Unwetters bieten sollen. Des Welthausmeiers Schilderhaus lag am nördlichen Hochrande der Waagschale im Kranz der mir noch immer unverständlichen Architektur, deren Symbole und Ornamente weit massiver die Erdoberfläche überragten, als es von der Mitte des Geodroms den Anschein gehabt hatte. Verglichen mit diesen Architekturen stach die absichtliche, ja übertriebene Niedrigkeit und Nichtigkeit des höchsten Amtssitzes mir ins Auge. Es war beinahe ein Trost zu denken, daß vermutlich auch der Erdballpräsident dieses Zeitalters in den luft- und lichtreichen Labyrinthen unter der Erde seine geräumig prächtige Dienstwohnung innehabe. Gleich hinter der ungehobelten Wachtbaracke oder, um bei dem falschen, aber merkwürdigeren Begriff zu bleiben, gleich hinter dem Schilderhaus des Geoarchonten wölbte sich eine weite, hohe Kuppel aus durchsichtigem Material, so daß man in das Innere dieses opalisierenden Kuppelraumes blicken konnte. Dort lagen auf Strecksesseln mit einander zugekehrten Fußenden, die einen Kreis bildeten, etwa dreißig regungslose Persönlichkeiten, die entweder wirklich schlummerten oder im Halbschlafe eine gesundheitsfördernde Bestrahlungskur durchzumachen schienen.

      „Ein Sanatorium?“ fragte ich B.H.

      Er schüttelte lächelnd den Kopf:

      „Ganz im Gegenteil, mein Lieber; es sind die Zusammenstimmer.“

      „Wahrscheinlich Staatsbeamte, Verzeihung: Weltbeamte, die Feierabend


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