Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel

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Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman - Franz Werfel


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flüsterte ich B.H. ins Ohr.

      Mein Freund sah sich nach allen Seiten um, dann flüsterte er zurück:

      „Das Objekt der Stimmungsmache aber ist kein Pferderennen und keine ,Quiz-Veranstaltungʻ, sondern immerhin der Beweis vom Dasein Gottes . . .“

      „Beides ist dasselbe geblieben, B.H.“, zuckte ich die Achseln, „der Mensch und seine geistigen Grenzen . . .“

      Jetzt ging wieder das braune Raunen durch die Menge, denn die Sterne schrieben und schrieben:

      „Vier zwei Zehntel Minuten. — Professor Io-Clap leistet noch immer Gedankenarbeit. — Vier vier Zehntel Minuten. — Die Arbeit ist beendet. — Wenden Sie die Augen nicht vom Himmel. — Professor Io-Clap hat seine Ansicht in hundertsiebenundvierzig Worten konzentriert. — Die letzte Runde geht zu Ende. — Professor Io-Claps hundertsiebenundvierzig Worte . . .“

      Und wieder wurde die Schultafel schwarz und noch viel, viel schwärzer als je zuvor. Atemlos schwieg die Menge der Himmelszeitungsabonnenten, und auch mir klopfte das Herz unterm steifen Hemd. Dann begannen unter allgemeiner Spannung die Sternlein wieder zusammenzuspringen und schrieben Io-Claps Gedanken wie folgt:

      „Mein Gegner behauptet, daß der Wille des Seins, zu sein und nicht zu sein, den strikten Beweis dafür bilde, daß dieses geschaffene Sein einem schaffenden Sein entflossen sei. Ich aber frage den Sophistes Io-Sum: Kann eine Bejahung in sich selbst ihre Verneinung tragen? Kann das Sein die Idee des Nichtseins überhaupt fassen? Kann das Leben, sofern es nicht seinem Gegenteil bereits angehört, dieses Gegenteil überhaupt wollen können? Dreimal nein! Der Selbsterhaltungstrieb, d. h. der unbekehrbare Wille des Seins, zu sein, ist nicht eine wandelbare Eigenschaft, sondern eine Hypostase, ja die Natur dieses Seins selbst, die von ihm nicht weggedacht werden kann. Der Wille des Seins zum Sein ist daher unwidersprechlich immanent und deutet auf nichts hin als auf sich selbst. Es ist ein in der Logik unerlaubter Sprung, aus diesem Willen zum Sein auf einen jenseitig bewußten, persönlichen und gütigen Ursprung des Seins zu schließen.“

      Sapperlot, diesmal aber war’s professoral, und nicht zu wenig. Da lob ich mir meinen träumerischen Sophistes Io-Sum mit dem ahnungsvollen Herzen und den unerlaubten logischen Sprüngen. Io-Clap hingegen und sein Stil sind ja eine richtige Neuauflage unsrer schwierigen Herren Hegel bis Heidegger. Die Monolingua klingt nahezu deutsch in dieser Diktion. Auch zeigt Io-Clap die echte Verschlagenheit des deutschen Professors, der mit seinem Präzisionskauderwelsch immer bereit war, „dem Willen zum Sein“ beizuspringen, sei’s als Infinitiv, sei’s als Pronomen Possessivum, ob dieser Wille nun Fridericus hieß, Wilhelm II. oder, oder, na, wie heißt der Kobold? Ich lese noch einmal in Sternschrift: „Kann das Leben, sofern es nicht seinem Gegenteil bereits angehört, dieses Gegenteil überhaupt wollen können?“ Warum denn nicht soll es wollen können? Da haben wir ihn, den tückischen Herrn Sophistes. Er weiß sehr genau, daß dieses Leben manchmal recht leidenschaftlich sein Gegenteil wollen kann oder können will. (Übrigens, auch hier ist wieder das Wort „Tod“ durch den Euphemismus „Gegenteil“ ersetzt.) Vielleicht gibt es auch heute dann und wann Selbstmord und gräßliche Krankheiten. Für diese Fälle schmuggelte der Professor, um sich logisch zu sichern, den Nebensatz vom Leben ein, das bereits seinem Gegenteil angehört. Imposant, imposant! Oh, wie kenne ich diese Schliche. Es ist recht merkwürdig, daß ich jetzt für mein eigenes Zeitalter, die Anfänge der Menschheit, einen befriedigten Patriotismus empfinde und mich hinterlistig glücklich fühle, daß die Philosophie und Metaphysik seit Heraklit, Plato, Aristoteles, Thomas, Cartesius, Kant, Schopenhauer und Bergson nicht den geringsten Fortschritt gemacht zu haben scheint, sondern eher einen Rückschritt — werden doch offensichtlich dergleichen Disputationen, wie wir sie einst in einer Kaffeehausecke abgeführt haben, heut und hier für titanische Gedankenarbeit gehalten.

      „Finden Sie nicht, Seigneur, daß Sophistes Io-Clap äußerst intelligent formuliert?“ fragte mich jetzt der Wortführer, dessen schmales Gesicht unterm silbernen Lockenaufbau Voltaire glich, freilich einem sonderbar jugendschönen Voltaire und nicht dem bekannten satirischen Affen.

      „Untadelig intelligent“, erwiderte ich höflich. „Ich wundere mich nur, daß man nach so vielen geistigen Schiffbrüchen im Laufe der Jahrtausende noch immer dieselben Fehler begeht wie einst. In den Anfängen der Menschheit wußte man es längst, daß die größte Streitfrage aller Zeiten nicht allein mit den Waffen des Intellekts zu entscheiden ist, obwohl die römische Kirche das Dasein Gottes für die Einsicht der menschlichen Vernunft zugänglich hielt . . .“

      Bevor aber der Wortführer und die andern Junggesellen das Gespräch mit mir fortsetzen konnten, trat das unerwartete und für mich atemberaubende Ereignis ein, das mich mit einem Schlage berühmt machte, am dritten Tage des vierten Monats der siebenhundertzweiundvierzigsten Sonnenwoche der Null Komma Null Null Null dritten Evolution im elften Weltengroßjahr der Jungfrau, auf dem Geodrom, als welches, wenn ich nicht irre, die zentrale Plaza des ganzen bewohnten Globus sein mußte. Es begann damit, daß ich meinen eigenen Augen nicht traute. Mitten am Nachthimmel dieser entlegenen zukünftigen Gegenwart, auf der schwarzen Schultafel der „Abendsterne Heute“ stand mein eigener Name, vermehrt um das persönlichkeitsverleihende Präpositiv, jenes „Io“, welches den Menschen von jeder andern Kreatur unterscheidet. Mit blassem Schrecken las ich diesen Namen, von dem ich mich in einer unnennbar fernen Nacht verabschiedet hatte, und zwar, wie ich glaubte, auf immer und ewig; denn mein wirkliches unzerstörbares Ich konnte von Namen und Bewußtsein ebensowenig ganz bedeckt werden wie etwa ein erwachsener Körper von einem Taschentuch. Welche Verlegenheit, welche Last! Und es kam noch weit schlimmer. Die „Abendsterne“ verkündeten in geradezu erregtem Brio, daß sich das „Komitee für die größte Streitfrage aller Zeiten“ außerordentlich freue, heute dem P. T. Publikum eine seltene Überraschung bieten zu dürfen, nämlich mich, und zwar nicht nur den frühweltlichen „Seigneur“ schlechtweg, was ja schon Überraschung genug wäre, sondern einen geistig rüstigen Seigneur, einen mit allen philosophischen Wassern gewaschenen Eiszeitler, Prädiluvialisten und Vorsonnentransparenzler, der es sich zur Ehre anrechne, als Unentschiedener in der letzten Runde zwischen Sophistes Io-Sum und Sophistes Io-Clap zu fungieren, um nach einem gerechten und mental wohlbegründeten Urteilsspruch dem Sieger den Preis der hellgelben Handgelenkschleife zuzusprechen. Niedergedonnert stand ich da. Mein Mund öffnete und schloß sich schnappend. Plötzlich versuchte ich, auf meinen sausenden Hermesschuhen auszubrechen. Aber schon umgab mich die Gruppe unseres Hauses, allen andern voran der goldbehelmte Bräutigam, den dieses Ereignis mit prickelnden Emotionen zu versorgen schien.

      „Was soll ich machen, B.H.?“ flüsterte ich und fühlte, daß ich bleicher war, als es selbst einem Gespenste zukommt.

      „Keine Geschichten sollst du machen“, flüsterte B.H. zurück.

      „Bedenke doch meine Verwirrung“, flüsterte ich.

      „Laß dich laufen“, flüsterte er zurück, „und folge nur deinen Einfällen. Je mehr Zick-Zack, um so besser.“

      „Wohin geht es?“ fragte ich, schon etwas lauter, und fühlte mich mutiger werden.

      „Zum Uranographen“, antworteten alle, wie aus einem Mund.

      Und da war er auch schon, der Uranograph, der Himmelsschreiber, der Redakteur en chef der „Abendsterne“. Er stand mitten in der kühlen, freien Nacht vor einem wackligen Pult. Vor ihm lag nichts als zwei, drei schmierige Blätter Papier. Jedesmal, wenn er mit einem abgenagten Bleistiftstummel ein paar Worte auf solch einen gelblichen Käszettel warf, begannen die Sterne eifrig durcheinanderzuhüpfen und Texte zu bilden. Wie? Ja, das war eben das optische Manöver. Der Uranograph bot uns den vollendet gelangweilten Gesichtsausdruck dar, der ein nicht unwichtiger Bestandteil der journalistischen Berufsehre ist. Der echte Journalist nämlich neigt zu der Überzeugung, daß die Fakten an sich gar nicht da sind, sondern erst dadurch ins Leben treten, daß er sie berichtet. Nachdem er sie dann freilich berichtet hat, gibt er ihnen, als einem Teil seiner selbst, ein bißchen mehr Ehre als vorher. Er gehört somit zu den Leuten, die von einem heimlichen Schöpferhochmut verzehrt werden, der nur ein einziges Luftloch nach außen besitzt, eben jene gelangweilte und sichtlich abstrapazierte Suffisance, die nicht einmal durch den Weltuntergang interessiert werden kann. Der Uranograph sah mich also mit abstrapazierter


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