Ellingham Academy - Die Botschaft an der Wand. Maureen Johnson

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Ellingham Academy - Die Botschaft an der Wand - Maureen  Johnson


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schien das anders gesehen zu haben.« Bath lehnte sich zurück, sodass ihr Tanktop den Blick auf ihr Seitendekolleté, garniert mit einem selbstbewussten Busch Achselhaar, freigab. »Sie war tierisch sauer deswegen.«

      »Wusste sie denn, wer das war?«

      »Kam mir zumindest so vor.«

      »Ach …« Stevies Gedanken überschlugen sich. »Ich dachte immer, wenn es überhaupt real war, wäre es am ehesten Ellie selbst gewesen. So als Streich, weißt du?«

      »Ellie?« Bath schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Nein. Ellies Kunst war demokratisch«, erklärte sie. »Sie hat nie mit Furcht gearbeitet. Ihre Kunst war eine Einladung und die setzt Einverständnis voraus. Sie wäre niemals ungefragt in deine Privatsphäre eingedrungen, erst recht nicht mit dem Ziel, dich zu erschrecken oder sich über dich lustig zu machen. So war sie einfach nicht.«

      Stevie dachte daran, wie Ellie auf Roota herumgetrötet hatte, ihrem geliebten Saxofon. Nicht dass Stevie direkt einverstanden mit diesem Lärm gewesen wäre, doch aggressiv hatte das Ganze absolut nicht gewirkt. Ungeübt ja, und vielleicht ein bisschen rücksichtslos. Aber alles in allem eher witzig.

      »Stimmt«, räumte Stevie schließlich ein. »So war sie wirklich nicht.«

      »Ist schon ’ne echt krasse Geschichte«, fuhr Bath fort. »Ein bisschen wie beim Gastmahl des Belsazar.«

      »Was?«

      »Na, wegen dieser Schrift an der Wand – wie Belsazars Menetekel im Alten Testament. Glaub mir, wenn man so heißt wie ich, interessiert man sich zwangsläufig für Bibelgeschichten. Und in der von Belsazar erscheint bei einem Fest auf einmal eine geheimnisvolle Schrift an der Wand, die keiner lesen kann.«

      Stevies Bibelkenntnisse waren nicht gerade berauschend. Als Kind war sie zwar hin und wieder in der Sonntagsschule gewesen, aber da hatten sie nur Bilder von Jesus ausgemalt und zur Klavierbegleitung der Lehrerin Kirchenlieder gesungen. Ansonsten war ihr aus der Zeit hauptsächlich ein Junge namens Nick Philby im Gedächtnis geblieben, der sich ständig Gras in den Mund gestopft und sie dann mit riesigen grünen Zähnen angegrinst hatte. So viel zu ihrer religiösen Bildung. Aber diese Geschichte mit der Schrift an der Wand kam ihr tatsächlich vage bekannt vor.

      »Rembrandt hat das Motiv in einem Gemälde verarbeitet«, erklärte Bath weiter, während sie etwas in ihren Laptop eintippte und ihn dann zu Stevie umdrehte.

      Das Bild, das sie aufgerufen hatte, zeigte einen Mann, der offenbar gerade von seinem Platz an der Festtafel aufgesprungen war und entsetzt hinter sich blickte. Dort griff eine Hand aus einer Nebelwolke heraus und zeichnete leuchtende hebräische Buchstaben an die Wand.

      »Das Menetekel. Die Botschaft an der Wand«, sagte Bath.

      Stevies Handy vibrierte erneut. Sie drückte ihre Einkaufstüte wie einen Schalldämpfer darauf.

      »Aber sie hat dir nicht gesagt, wer es war?«, fragte sie.

      »Nein. Nur, dass sie es total daneben fand, wie irgendwer versucht hat, dir Angst zu machen.«

      Brrrrrr.

      Also war es wirklich passiert. Jemand hatte eine Nachricht an ihre Wand projiziert. Und wenn es nicht Ellie gewesen war, wer dann? Etwa Hayes? Diese faule Socke, die nichts selbst erledigte? Wer hätte denn überhaupt genug Interesse an ihr gehabt, um zu solchen Maßnahmen zu greifen?

      Höchstens David. David war so was zuzutrauen. Und jetzt war er verschwunden.

      Brrrrrr.

      »Ja«, murmelte Bathsheba vor sich hin. »Ellie hat sowieso immer viel von den Wänden geredet.«

      »Den Wänden?«

      Brrrrrr.

      Und wenn das Handy aus ihrer Tasche geklettert und explodiert wäre – es hätte Stevie nicht weniger interessieren können.

      »Sie meinte, in den Wänden an der Ellingham könnte man die krassesten Sachen finden. Geheimverstecke und so. Klang, als hätte sie da einiges entdeckt.«

      Geheimverstecke. Sachen. In den Wänden.

      Da hatte sie ihre Information. In den Wänden waren Sachen. Sie war sich nicht ganz sicher, was das bedeutete oder wonach sie überhaupt suchen sollte. Aber wie es schien, spielten Wände in dieser Geschichte eine wichtige Rolle, ob nun jemand darauf schrieb oder dahinter verschwand.

      Und irgendjemand hatte auch eine Botschaft an ihrer Wand hinterlassen.

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      5

      Es gab Dunkelheit und Dunkelheit. Auf dem Berg herrschte die zweite Sorte.

      Daran hatte Stevie sich erst mal gewöhnen müssen, als der Herbst langsam in den Winter überzugehen begann. In Pittsburgh kam immer von irgendwoher Licht, von Straßenlaternen, Autos, den Fernsehern hinter den Fenstern der Nachbarhäuser. Aber wenn man auf einem Felsbrocken wie diesem hier hockte, umgeben von nichts als Wäldern und Himmel, umhüllte einen die Finsternis wie ein Mantel. Das war ein Grund, weshalb die Ellingham ihre Schüler mit leistungsfähigen Stabtaschenlampen ausstattete. Ohne die konnte man sich auf ein ziemliches Abenteuer gefasst machen, wenn man nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verließ. Heute war es zudem auch noch bewölkt und am Himmel waren kaum Sterne zu sehen, als sie sich auf den Weg zum Kunstschuppen begab. Sie bemühte sich, nicht vom Pfad abzukommen, und war ausnahmsweise mal dankbar für das gespenstisch blaue Leuchten der Sicherheitskameras, die Edward King überall hatte installieren lassen.

      Die Fahrt zurück zur Schule war etwas unangenehm verlaufen. Sie war von Mark Parsons, dem Grundstücksverwalter, aus Burlington abgeholt worden, einem ernsten, kernigen Typen mit Quadratschädel und einer sehr funktional aussehenden Jacke der Traktormarke John Deere. Er fuhr einen SUV mit einer dieser Handyhalterungen am Armaturenbrett, um den schier endlosen Strom an eingehenden Nachrichten über Rohre und Baumaterialien und das Kommen und Gehen seiner Mitarbeiter zu überwachen. Stevie hatte mit ihrer Verspätung seinen gesamten Tagesablauf durcheinandergebracht und entsprechend kleinlaut auf dem Beifahrersitz gehockt.

      Zu ihrer Entschuldigung hatte sie behauptet, sie wäre von ihren Emotionen über Dr. Fentons Tod überwältigt worden und in ihrer Trauer eine Weile durch deren alte Wohngegend spaziert. Das war zwar ziemlich daneben und noch dazu höchst respektlos Dr. Fenton gegenüber, aber sie befand sich in einer besonderen Lage und die erforderte nun mal besondere Maßnahmen. Ein bisschen wie bei Rose und Jack am Ende von Titanic. Klar war diese Tür nicht gerade das beste Floß der Welt gewesen, doch wenn man die Wahl zwischen einem Stück Treibholz und dem tiefen, eisigen Ozean hatte, dann nahm man eben das Treibholz. (Neben Kriminalfällen galt Stevies große Leidenschaft Katastrophen, weshalb sie den Film ziemlich oft gesehen hatte und überzeugt war, dass auf der Tür mehr als genug Platz für zwei gewesen wäre. Und das bedeutete, Jack war ermordet worden, Ende der Diskussion.)

      Folglich hatte Stevie die ganze zwanzigminütige Fahrt über den Trauerkloß mimen müssen, bis Mark das unbehagliche Schweigen nicht mehr aushielt und das Radio einschaltete. In den Nachrichten wurde Schnee angekündigt. Und zwar in großen Mengen.

      »Wir müssen uns auf einen ausgewachsenen Schneesturm gefasst machen«, sagte der Sprecher, als sie in die steile, gewundene Straße einbogen, die durch den Wald hoch zur Schule führte. »Es könnte einer der schlimmsten der letzten zwanzig Jahre werden.«

      »Was passiert eigentlich hier oben bei so einem Monstersturm?«, wollte Stevie wissen.

      »Manchmal fällt ein Weilchen der Strom aus«, antwortete Mark. »Aber dafür haben wir ja Kamine und einen Generator. Genau darum war ich übrigens auch gerade in der Stadt. Hab Ausrüstung und ein paar zusätzliche Vorräte geholt, aber jetzt muss ich dringend zurück zur Schule.«

      Stevie entging nicht das stumme »Und dank dir bin ich spät dran«, das


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