Der arme Jack. Фредерик Марриет
Читать онлайн книгу.einem Schiffe, das uns Beistand leisten konnte.
„‚Dies Glück wurde uns übrigens nicht, und eines Morgens, als die See eben sehr hoch ging, entdeckten wir, dass wir gegen eine Felsenreihe hinunter getragen wurden, die kein Entkommen in Aussicht stellte. Wir konnten jetzt nichts weiter thun, als die Boote aussetzen und in denselben unser Glück versuchen. Der Kapitän war sehr ruhig und gefasst; er liess alles Erforderliche hineinschaffen, rief die Mannschaft auf und setzte ihr seine Absichten auseinander. Sämtliches Wasser samt dem Mundvorrat wurde in die Lansche gebracht, denn die See ging so hoch, dass die kleinen Boote kein derartiges Kargo führen konnten; auch vereinigte man sich dahin, dass alle Boote bei einander bleiben sollten, bis das Wetter milder würde; dann sollte der nötige Bedarf ausgeteilt werden. Nachdem alles bereit war, wurden wir in die uns angewiesenen Fahrzeuge beordert. Der Steward befand sich mit seinem Weibe in dem gleichen Boote mit mir, ich hatte letztere sorgfältig in den Sternschooten untergebracht, da ich ihr guter Freund war. Nun wurde der Steward von dem Kapitän beauftragt, etwas Vergessenes zu holen; während er fort war, schlug eine schwere Welle gegen das Schiff, welche eine so starke Bresche in dasselbe hineinbrach, dass alles in Verwirrung geriet und man mit den kleinen Booten zurückweichen musste, damit sie nicht versenkt würden. Das Langboot wartete allein noch auf den Kapitän, der mit dem Maten und dem Steward hineineilte, da dies noch die einzigen drei Personen gewesen waren, und nun zog sich alles zurück. Ich erwähne dies als den Grund, warum der Steward (nur vorübergehend, wie wir damals glaubten) von seinem Weibe getrennt wurde. Wir waren noch keine fünf Minuten von dem Schiffe ab gekommen, als wir in unserem Boote die Entdeckung machten, dass wir kaum gegen Wind und Wellen ankämpfen konnten, die uns mehr und mehr nach den nahen Riffen hinuntertrieben. Die Lansche, die ein schwerruderndes Boot und tief beladen war, konnte sich ohnehin nicht wehren, und in einer Viertelstunde waren wir Zeugen des Jammers, wie sie mit ihrer Mannschaft und mit unserem sämtlichen Mund- und Wasservorrate von der Brandung verschlungen wurde. Ich will’s nicht versuchen, den Schmerz der Stewards-Frau zu schildern, als sie ihren Mann vor ihren Augen ertrinken sah. Sie war ohnmächtig, und es stand geraume Zeit an, bis sie wieder zu sich kam, denn niemand konnte sein Ruder auch nur für eine Minute verlassen, um ihr beizustehen, da wir für unser Leben arbeiten mussten. Endlich kam sie wieder zur Besinnung. Das arme Geschöpf — ich fühlte für sie. Gegen Abend lullte der Wind ein, und es gewann den Anschein, dass wir schön Wetter kriegen würden; aber wir hatten nichts zu essen, nur ein einziges Fässchen Wasser in dem Boote und waren von der Anstrengung völlig erschöpft.
„‚Wir wussten, dass wir nordwärts rudern mussten, um die Bahama-Inseln oder vielleicht eine der kleinen Quaies im Süden derselben zu erreichen, wo wir Schildkröten und möglicherweise auch Wasser erhalten konnten. Sobald sich daher die See gelegt hatte, was sehr bald geschah, steuerten wir den Schnabel unseres Bootes in die gedachte Richtung und ruderten die ganze Nacht hindurch. Mit Tagesanbruch waren die andern Boote nicht mehr zu sehen. Eine völlige Windstille lag auf der See, die noch immer lange Wellen warf, und wir teilten unser Wasser aus, um nach einer Ruhe bis zum Abend aufs neue unsere Arbeit aufzunehmen.
„‚Wir ruderten hart bis zum Morgen, aber die aufgehende Sonne brachte uns die heisse Glut eines fast tropischen Himmelsstriches. Es war unmöglich, unsere Ruder fortzuführen, ohne zu trinken, und da niemand das Kommando übernommen hatte, so war all’ unser Wasser aufgezehrt, obgleich wir noch keine fünfzig Meilen nordwärts gekommen waren. Am dritten Morgen legten wir uns erschöpft auf den Boden des Fahrzeuges nieder; viele starben nicht nur vor Durst, sondern auch vor Hunger dahin. Wir hatten uns vorgenommen, bei Nacht wieder zu den Rudern zu greifen, aber einige wollten, andere konnten nicht arbeiten, so dass endlich diejenigen, welche sich willig gezeigt hatten, gleichfalls ihr Vorhaben aufgaben.
„‚Die Stewards-Frau sang zuweilen Psalmen und wechselte mit Weinen ab. Sie hatte eine sehr schöne Stimme, aber ihre Lippen waren bald aus Mangel an Wasser wie zusammengeleimt und sie konnte nicht länger singen.
„‚Als die Sonne am vierten Tage aufging, liess sich noch immer kein Schiff blicken. Einige rasten nach Wasser, und andere kauerten sich aus Verzweiflung unter die Bootsdosten. Gegen Abend umwölkte sich endlich der Himmel und es fiel ein schwerer Regen, der uns erfrischte. Wir zogen der Stewards-Frau einen Rock ab, breiteten ihn aus und fingen das Wasser auf; dann tranken wir alle, bis unser Durst gelöscht war, saugten sogar an unsern nassen Jacken, um uns zu laben — aber immer noch fühlten wir uns von nagendem Hunger gequält. Wir schliefen in jener Nacht, aber am nächsten Morgen blitzten die Augen eines jeden, und wir alle machten Gesichter, als ob wir einander aufzehren könnten. In dem Buge des Bootes begann ein Flüstern, und ein Neger, der bei uns war, zog sein Messer heraus und wetzte es an dem Schanddecke des Bootes. Niemand fragte ihn nach dem Grunde. Wir sprachen nicht, machten uns aber unsere Gedanken. Es war schrecklich, unsere hohlen Wangen — unsere tief eingesunkenen, wie glühende Kohlen leuchtenden Augen — unsere langen Bärte und die hageren Gesichter anzusehen. Jeder war bereit, seine Hand gegen den andern zu erheben. Das arme Weib beklagte sich nie oder sprach auch nur ein Wort, seit es zu singen aufgehört hatte — seine Gedanken waren augenscheinlich anderswo. Sie sass stundenlang regungslos da, die Augen auf das stille, blaue Wasser geheftet, als wollten sie bis in die Tiefe dringen.
„‚Endlich kam der Neger nach dem Hinterschiffe, und jeder von uns war auf der Hut, als er vorbeiging, denn wir hatten ihn das Messer wetzen sehen. Er begab sich nach den Sternschooten, wo das arme Weib sass; wir alle wussten, was er beabsichtigte, denn er handelte nur nach unsern eigenen Gedanken. Sie hing noch immer über dem Schanddeck, die Augen abwärts gerichtet, und achtete nicht auf seine Annäherung. Er ergriff sie am Haare und zerrte ihren Kopf gegen sich hin. Sie breitete nun ihre Arme gegen mich aus und rief mit matter Stimme meinen Namen. Aber ich — o der Schande — blieb auf dem Hinterdost sitzen. Der Neger stiess sein Messer gerade unterm Ohr in ihren Hals, und sobald die Arterie zertrennt war, heftete er seine dicken Lippen auf die klaffende Wunde, um ihr Blut aufzusaugen.
„Als die That geschehen war, erhoben sich auch andere, um ihren Anteil zu holen; aber der Neger hielt seine blitzenden Augen auf sie gerichtet und streckte, sobald er seinen Durst gestillt hatte, den einen Arm mit dem Messer aus, während er mit dem andern ihren Leib umfing und die sterbende Gestalt unterstützte. Die Haltung war die der Zärtlichkeit, während die That — Mord war. Es hatte den Anschein, als ob er sie liebkose, während das Blut ihres Lebens durch seine Kehle hinunterfloss. Endlich zogen wir alle unsere Messer, der Neger erkannte, dass er endlich seinen Raub oder sein Leben aufgeben musste. Er liess das Weib los, und es fiel, mit dem Gesicht nach vorne, zu meinen Füssen nieder. Die Frau war tot, und dann — stillten wir unsern Hunger.
„‚Noch drei Tage entschwanden, und abermals hetzte uns der Mangel an Wasser in Wahnsinn — als wir endlich eines Schiffes ansichtig wurden. Wir jubelten, drückten uns die Hände, warfen unsere Ruder aus und arbeiteten darauf los, als ob die Not unsere Kräfte nicht hätte beeinträchtigen können. Noch immer herrschte Windstille, und als wir uns dem Schiffe näherten, warfen wir die Überreste des armen Weibes in die See, den Haifischen zum Frasse. Wir kamen mit einander überein, nichts von ihr zu sagen, denn wir schämten uns vor uns selbst.
„‚Ihr seht, ich habe keinen Mord begangen, ihn aber auch nicht verhindert, aber seitdem verfolgt mich stets die Spukgestalt dieses armen Weibes. Ohne Unterlass sehe ich sie und den Neger vor mir und denke dabei an den schauderhaften Vorfall. Ich fühle, dass ich sie hätte retten sollen — sie streckt stets ihre Arme gegen mich aus, ich höre ihren matten Ruf: ‚Charles‘! — dann lese ich meine Bibel — sie verschwindet und es ist mir, als habe ich Vergebung gefunden. — Sagt mir, was haltet Ihr davon, Kamerad?‘
„‚Je nun‘, versetzte ich, ‚Umstände zwingen uns oft zu Handlungen, die wir sonst nie für möglich halten würden. Ich war nie in einer solchen Lage und kann daher nicht sagen, wie weit sich Leute verlockt fühlen können — aber sagt mir, Kamerad, wie hiess der Mann jener armen Frau?‘
„‚Der Mann hiess Ben Rivers.‘
„‚Rivers, sagt Ihr?‘ versetzte ich in höchster Bestürzung.
„‚Ja‘, antwortete er; ‚so hiess sie. Sie war aus dieser Stadt — doch was liegt an dem Namen — sagt mir, was Ihr von der Sache haltet, Kamerad!‘
„‚Nun‘, erwiderte ich, denn ich war