Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles
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ist auch das Zitherspiel, aber dies als besonders gelungenes. Ist dem nun so, so ergibt sich folgendes. Wir verstehen als Aufgabe des Menschen eine gewisse Art der Lebensführung, und zwar die von Vernunftgründen geleitete geistige Betätigung und Handlungsweise, und als die Aufgabe des hervorragend Tüchtigen wieder eben dies, aber im Sinne einer trefflichen und hervorragenden Leistung. Besteht nun die treffliche Leistung darin, daß sie im Sinne jedesmal der eigentümlichen Gaben und Vorzüge vollbracht wird, so wird das höchste Gut für den Menschen die im Sinne wertvoller Beschaffenheit geübte geistige Betätigung sein, und gibt es eine Mehrheit von solchen wertvollen Beschaffenheiten, so wird es die geistige Betätigung im Sinne der höchsten und vollkommensten unter allen diesen wertvollen Eigenschaften sein, dies aber ein ganzes Leben von normaler Dauer hindurch. Denn eine Schwalbe macht keinen Frühling, und auch nicht ein Tag. So macht denn auch ein Tag und eine kurze Zeit nicht den seligen noch den glücklichen Menschen.
Dies nun mag als ungefährer Umriß des Begriffes des höchsten Gutes gelten. Es ist zweckmäßig, den Begriff zunächst in grober Untermalung zu entwerfen und sich die genauere Durchführung für später vorzubehalten. Man darf sich dann der Meinung hingeben, daß jedermann die Sache weiterzuführen und die richtig gezeichneten Umrisse im Detail auszuführen vermag, und daß auch die Zeit bei einer solchen Aufgabe als Erfinderin oder Mitarbeiterin an die Hand geht. In der Tat hat sich der Aufschwung der Künste und Wissenschaften in dieser Weise vollzogen; denn was noch mangelt zu ergänzen ist jeder aufgefordert.
Zugleich aber müssen wir im Gedächtnis behalten, was wir vorher ausgeführt haben: wir dürfen nicht die gleiche Genauigkeit auf allen Gebieten anstreben, sondern in jedem einzelnen Fall der Natur des vorliegenden Materials gemäß die Strenge nur so weit treiben, wie es der besonderen Disziplin angemessen ist. So bemüht sich um den rechten Winkel der Zimmermann wieder Mathematiker, und doch beide in sehr verschiedener Weise. Der eine begnügt sich bei dem, was für seine Arbeit dienlich ist, der andere sucht das Wesen und die genaue Beschaffenheit zu erfassen. Denn das eben ist sein Fach, sich nach der reinen Wahrheit umzusehen. In derselben Weise muß man auch bei anderen Objekten verfahren, damit nicht die Hauptsache von dem Beiwerk überwuchert werde. Nicht einmal die Frage nach der Begründung darf man auf allen Gebieten gleichmäßig aufwerfen. Bei manchen Gegenständen ist schon genug damit geleistet, wenn nur der tatsächliche Bestand richtig aufgezeigt worden ist, so auch was die Prinzipien als Ausgangspunkt und Anfang anbetrifft. Die Tatsache ist das Erste und der Ausgangspunkt. Die Prinzipien werden teils auf dem Wege der Induktion, teils auf dem der Anschauung, teils vermittels einer Art von eingewöhntem Takt ergriffen, die einen auf diese, die anderen auf andere Weise. Da muß man nun versuchen, zu ihnen jedesmal auf dem Wege zu gelangen, der ihrer Natur entspricht, und dann alle Mühe darauf verwenden, sie richtig zu bestimmen; denn sie sind für das Abgeleitete von ausschlaggebender Bedeutung. Der Anfang ist nach dem Sprichwort mehr als die Hälfte des ganzen Werkes, und schon vermittels des Prinzips, von dem man ausgeht, tritt manches von dem in den Gesichtskreis, was man zu erkunden sucht.
Wenn wir das Prinzip bestimmen wollen, so dürfen wir uns nicht auf unser Ergebnis und auf seine Begründung beschränken; wir werden gut tun, auch das zu berücksichtigen, was darüber im Munde der Leute ist. Denn mit der Wahrheit stehen alle Tatsachen im Einklang, mit dem Irrtum aber gerät die Wirklichkeit alsobald in Widerstreit.
Man teilt die Güter in drei Klassen ein: in die äußeren Güter, die Güter der Seele und die des Leibes, und nennt die, welche der Seele zugehören, Güter im eigentlichsten und höchsten Sinne; die Betätigungsweisen und Wirksamkeiten der seelischen Vermögen aber rechnet man zu dem, was der Seele zugehört. Insofern darf man, was dieser altüberlieferten und von den Denkern einmütig geteilten Auffassung entspricht, zutreffend bemerkt finden, und zutreffend ist es auch, wenn als der Endzweck gewisse Betätigungsweisen und Wirksamkeiten bezeichnet werden; denn so kommt der Endzweck in die Klasse der geistigen, nicht der äußeren Güter zu stehen. Auch das stimmt zu unserer Auffassung, daß der, dem die Eudämonie eignet, ein erfreuliches Leben führt und es gut hat; denn als ein Leben im rechten Sinne und als subjektives Wohlbefinden ist die Eudämonie wohl von je aufgefaßt worden. Aber auch alles das, was man als Bestandteil der Eudämonie verlangt, ist augenscheinlich in unserer Bestimmung des Begriffes mit enthalten. Die einen fassen sie als Trefflichkeit überhaupt auf, die anderen heben Einsicht, wieder andere hohe geistige Bildung als herrschenden Zug hervor; diese Eigenschaften oder eine von ihnen denkt man sich in Verbindung mit der Lustempfindung oder doch nicht ohne sie, und manche wieder ziehen auch die äußeren Glücksumstände mit hinein. Einige dieser Bestimmungen stammen aus alten und weit verbreiteten Ansichten, andere wieder werden von wenigen, aber hervorragenden Autoritäten vertreten. Da ist es doch wohl anzunehmen, daß niemand von ihnen in allen Punkten irrt, sondern daß sie wenigstens in einem Punkte oder auch in den meisten recht behalten werden.
Wenn man die Eudämonie als Trefflichkeit eines Menschen überhaupt oder doch als eine Seite derselben bezeichnet, so ist unsere Begriffsbestimmung ganz damit einverstanden; denn es gehört ja dazu auch die solcher Trefflichkeit entsprechende Betätigung. Allerdings macht es einen nicht unbedeutenden Unterschied, ob man das Höchste und Beste in den bloßen Besitz oder in die tätige Bewährung setzt, also in eine innere Fertigkeit oder in die äußere Ausübung. Denn wo bloß die Fertigkeit vorhanden ist, da ist es doch immer möglich, daß sie nichts Gutes wirklich zustande bringt; so, wenn einer im Schlafe liegt oder sonst auf andere Weise untätig bleibt. Das nun ist völlig ausgeschlossen, sobald man in den Begriff die wirkliche Betätigung gleich mit hineinzieht. Denn da ergibt sich die Ausübung als notwendiges Zubehör, und zwar eine Ausübung im rechten Sinn. Wie man in Olympia nicht die schönsten und stärksten bekränzt, sondern diejenigen, die wirklich in den Wettkampf eintreten, / denn unter diesen befinden sich die, die den Sieg erringen, / so werden auch in dem praktischen Leben diejenigen des Guten und Schönen teilhaftig, die im rechten Sinne tätig sind. Ihr Leben ist denn auch schon an sich ein Leben voll innerer Befriedigung. Denn Freude ist ein seelischer Affekt, und jeder hat seine Freude an dem, wofür er Zuneigung hegt. Wer Pferde liebt, freut sich an Pferden, und wer Schauspiele liebt, an Schauspielen. Auf dieselbe Weise hat der Freund der Gerechtigkeit seine Freude am Gerechten, und überhaupt der Freund des Guten und Rechten an dem, was guter und rechter Gesinnung entspricht. Allerdings, was dem großen Haufen als vergnüglich gilt, das liegt miteinander im Streite, weil das nicht seiner Natur nach geeignet ist, Freude zu gewähren; denen dagegen, die das Edle lieben, macht dasjenige Freude, was seiner Natur nach erfreulich ist. Dahin nun gehört die Tätigkeit im Sinne des Guten und Rechten, und diese ist deshalb zugleich an sich erfreulich und den so Gesinnten erfreulich. Darum bedarf auch ihre Lebensführung keiner weiteren Quelle des Lustgefühls wie eines äußerlichen Anhängsels; vielmehr trägt es seine Freude in sich. Von unserem Satze gilt dann auch die Umkehrung. Wer nicht an edler Betätigung seine Freude hat der ist auch kein edelgesinnter Mensch. Niemand wird denjenigen gerecht nennen, der sich nicht am gerechten Handeln, noch hochgesinnt den, der sich nicht an hochsinnigen Handlungen freut. Und das gleiche gilt auch von allem sonstigen. Ist dem aber so, dann gewähren auch die von edler Gesinnung zeugenden Betätigungen an und für sich Befriedigung. Ebenso sind aber auch die Handlungen, und zwar jede im höchsten Sinne, gut und edel dann, falls ein edelgesinnter Mensch über sie das richtige Urteil hat; das hat er aber, wie wir oben bemerkt haben. Es ist also die Eudämonie, wie das Beste und Herrlichste, so auch zugleich das Lustvollste; das läßt sich nicht so voneinander trennen, wie es in der bekannten Delischen Inschrift geschieht:
Wie das Gerechteste auch das Schönste, das Beste Gesundheit,
So ist das Süßeste dies, wird einem das, was er liebt.
Denn in den edelsten Arten der Betätigung findet sich das alles beisammen, und diese, oder falls eine von ihnen die alleredelste ist, diese eine verstehen wir unter der Eudämonie.
Gleichwohl sieht man ein, daß sie, wie wir schon bemerkt haben, auch der äußeren Güter nicht wohl entbehren kann. Denn wo man nicht mit den nötigen Mitteln ausgestattet ist, ist es unmöglich oder doch nicht leicht, edle Handlungen zu vollbringen. Es gibt so vielerlei, zu dessen Bewerkstelligung man der Freunde, des Reichtums und des politischen Einflusses gleichsam als Werkzeuges bedarf. Manche Güter sind überdies derart, daß beim Mangel derselben das Glück doch nur ein getrübtes bleibt, wie edle Abkunft, wohlgeratene Kinder, stattliches Aussehen. Denn ein Mensch, der überaus