Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles
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trägt und in jeder gegebenen Lage jedesmal das tut, was das Verdienstlichste ist, geradeso wie ein tüchtiger General das ihm anvertraute Heer zum Kriegszweck aufs angemessenste verwendet, oder wie ein Schuhmacher aus dem Leder das ihm zu Gebote steht, Schuhzeug von möglichster Vollendung bereitet, oder wie die anderen Gewerbtätigen, die es jeder in seinem Fache ebenso machen. Ist dem aber so, so kann der Glückliche zwar niemals elend werden; aber allerdings kann er auch kein Beglückter bleiben, wenn ihn ein Geschick wie das des Priamus träfe. Ist er doch nicht unstät noch von wandelbarem Sinne. Er wird nicht leicht aus dem Besitze der Eudämonie vertrieben werden können, auch nicht durch Unglücksfälle von beliebiger Art, die ihn treffen, sondern höchstens nur durch eine lange Reihe von sehr schweren Unglücksfällen. Und andererseits wird er nicht in kurzer Zeit aus solchem Unglück wieder zur Eudämonie gelangen, sondern wenn überhaupt, dann erst nach langem und beträchtlichem Zeitverlauf, wenn er während desselben bedeutsamer und herrlicher Gaben teilhaftig geworden ist.
Was hindert also, denjenigen glücklich zu nennen, der in vollkommen edler Gesinnung tätig und mit äußeren Gütern hinlänglich ausgestattet ist, und das nicht während einer beliebigen Dauer, sondern in einem ganzen vollen Leben? Oder muß man noch hinzufügen, daß er in diesem Zustande auch künftig weiterleben und ein dem entsprechendes Lebensende finden muß, weil uns doch das Zukünftige nicht durchschaubar ist, und wir unter der Eudämonie den letzten Gipfel und das in jeder Beziehung durchaus Vollkommene verstehen? Ist dem nun so, so werden wir diejenigen unter den Lebenden als Beglückte bezeichnen, die das oben Bezeichnete jetzt besitzen und künftig besitzen werden, als Beglückte aber allerdings so weit, wie Menschen beglückt sein können. / Damit mag die Erörterung dieses Gegenstandes abgeschlossen sein.
Daß aber das Geschick der Nachkommenschaft und befreundeter Menschen im allgemeinen zur Eudämonie nicht das geringste beitragen sollte, das ist offenbar eine überaus herzlose und der unter Menschen herrschenden Empfindungsweise zuwiderlaufende Ansicht. Die Geschicke, die die Menschen betreffen können, sind so zahlreich und zeigen so sehr alle möglichen Unterschiede; sie berühren zudem die Menschen so mannigfach, teils näher, teils weniger nahe, daß es umständlich und undurchführbar erscheint, jeden einzelnen Fall für sich besonders ins Auge zu fassen, und man es als ausreichend ansehen darf, einige allgemeine Betrachtungen darüber nur im Umriß mitzuteilen. Wenn, wie es für die eigenen unglücklichen Erlebnisse gilt, die einen für den Lebensgang von Gewicht und Bedeutung sind, die anderen leichter genommen werden können, und das gleiche auch für die Erlebnisse aller uns nahestehenden Menschen gilt; wenn ferner der Unterschied, den es macht, ob ein Leid, es sei welches es wolle, jemanden während seiner Lebzeiten oder nach seinem Tode trifft, viel größer ist als der Unterschied, den es in einer Tragödie ausmacht, ob Freveltaten und furchtbare Geschicke der Handlung vorausliegen oder während derselben sich vollziehen: so muß man auch diesen Unterschied mit in Betracht ziehen, und vielleicht ist es in noch höherem Grade erforderlich, die Frage in betreff der Abgeschiedenen zu untersuchen, ob sie denn überhaupt noch von irgend etwas Erfreulichem oder dem Gegenteil wirklich berührt werden. Wenigstens möchte man nach dem, was wir eben bemerkt haben, annehmen, daß, gesetzt selbst es gelangte irgend etwas derartiges, es sei nun etwas Gutes oder das Gegenteil, bis an sie heran, es doch entweder an sich oder mit Bezug auf sie immer nur von schwacher und geringfügiger Wirkung bleiben wird, und wenn das nicht, daß es doch keinenfalls eine solche Größe und Beschaffenheit besitzen wird, um entweder diejenigen, die es nicht sind, glücklich machen, oder denjenigen, die es sind, ihren Glückszustand entreißen zu können. Es ist also wohl anzunehmen, daß das günstige Schicksal der ihnen nahestehenden Menschen ebensowohl wie das Mißgeschick derselben die Abgeschiedenen zwar irgendwie berühren, aber sie doch nur in der Weise und mit der Bedeutung berühren wird, daß sie weder aus glücklichen nicht-glückliche zu machen, noch sonst eine ähnliche Wirkung zu üben imstande sind.
Nachdem wir diesen Gegenstand erledigt haben, wollen wir die Frage ins Auge fassen, ob die Eudämonie in die Reihe der bloß schätzbaren Dinge oder vielmehr in die der Dinge von unbedingtem Werte zu stellen ist. Zunächst, das eine ist klar, daß sie kein Zustand bloßen Vermögens ist; zugleich aber leuchtet ein, daß alles bloß Schätzbare deshalb geschätzt wird, weil es gewisse Eigenschaften hat und zu anderem in gewissen Beziehungen steht. So schätzt man den Gerechten, den Mutigen, überhaupt den Tüchtigen und die entsprechende Beschaffenheit wegen der von ihnen ausgehenden Wirkungsweisen und Leistungen; wir schätzen den Starken, den Behenden und so auch jeden sonst deshalb, weil er eine gewisse Eigenschaft von Natur besitzt und dadurch zu guten und wertvollen Leistungen irgendwie geeignet ist. Man ersieht das schon aus den Lobpreisungen, die den Göttern dargebracht werden. Hier erscheint es lächerlich, wenn man sie auf unser Niveau herunterziehen wollte; und das kommt daher, weil Lobpreisungen, wie wir gezeigt haben, ihre Begründung in der Wirksamkeit für etwas anderes finden. Begründet sich aber die Lobpreisung auf solche Leistung, so ist offenbar, daß das was dem Herrlichsten gebührt, nicht eine Lobeserhebung von dieser Art, sondern etwas Größeres und Erhabeneres ist, und das wird ihm denn auch wirklich erwiesen. Denn die Götter preisen wir selig und glücklich, und unter den Menschen ebenso diejenigen, die am meisten gottähnlich sind. Das gleiche gilt in Bezug auf die Güter. Die Seligkeit schätzt man nicht wie etwa das Gerechte, sondern man preist sie als etwas Gottähnlicheres und Erhabeneres.
In diesem Sinne ist auch Eudoxos, wie man wohl sagen darf, als geschickter Anwalt für die Lustempfindung als des höchsten Preises wert eingetreten. Denn daß sie so wenig mit Lobeserhebungen bedacht wird, während sie doch zu den Gütern gehört, das, meinte er, zeige gerade an, daß sie etwas besseres sei als das, was sich Lob gewinnt. Von solcher Art nun sei Gott und das Gute, und nach diesem werde auch alles andere beurteilt. Denn Lobpreisung kommt hohen Vorzügen zu; durch diese wird man in den Stand gesetzt, edle Handlungen zu vollbringen; die Lobeserhebungen aber gelten den Leistungen, ebensowohl denen des Leibes wie denen der Seele.
Indessen, darüber in genauere Einzelheiten einzugehen, ist wohl mehr die Sache derjenigen, die sich fachmäßig mit der Ausarbeitung von Lobreden abgeben. Uns wird aus dem Ausgeführten klar geworden sein, daß die Eudämonie zu den Dingen gehört, die unbedingten und uneingeschränkten Wert haben. Daß sie dazu gehört, wird schon dadurch wahrscheinlich, daß sie Prinzip des Handelns ist; denn sie ist es, die jedermann in allem seinem Handeln als Ziel im Auge hat. Was aber Prinzip und Grund der Güter ist, das gilt uns als etwas unbedingt Wertvolles und Göttliches.
I. Teil. Die sittliche Anforderung
1. Kennzeichen der sittlichen Beschaffenheit und ihrer Betätigung
1. Die Trefflichkeit eines Menschen
3. Verstandesbildung und Fertigkeit
1. Die Trefflichkeit eines Menschen
Die Eudämonie ist die innerer Trefflichkeit entsprechende geistige Wirksamkeit. Wir haben also zunächst diese innere Trefflichkeit zu betrachten; dadurch werden wir dann auch wohl das Wesen der Eudämonie besser verstehen lernen. Auch der Staatsmann, der es im wahren Sinne ist, hat sich von je um sie vielleicht mehr als um alles andere bekümmert; denn seine Absicht ist gerade die, in den Staatsangehörigen Tüchtigkeit und Gehorsam gegen die Gesetze groß zu ziehen. Ein Muster dafür haben wir an den Gesetzgebern der Kreter und Lakedämonier und an denen,