Ausgewählte Erzählungen - Band 2. Bjørnstjerne Bjørnson

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Ausgewählte Erzählungen - Band 2 - Bjørnstjerne Bjørnson


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und Flammen.

      „Der Hof brennt, Lars! Jetzt holen wir dich heraus!“ Es war Knud Aakre.

      Als Lars wieder zur Besinnung kam, lag er draußen, in dem scharfen Wind, der seine Glieder erstarren ließ. Kein Mensch war bei ihm. Zu seiner Linken sah er den Hof brennen, um ihn her weidete und brüllte sein Vieh, die Schafe drückten sich furchtsam aneinander. Überall lag Hausrat verstreut, und als er genauer hinsah, saß dicht bei ihm auf einem Erdhügel noch jemand und weinte. Es war seine Frau. Er rief ihren Namen. Sie fuhr zusammen.

      „Herrn Jesu sei Dank, du lebst!“ Sie kam zu ihm und setzte sich, oder richtiger gesagt: sank vor ihm nieder. „O Gott, o Gott! Nun haben wir endlich genug von der Eisenbahn!“

      „Eisenbahn?“ fragte er. Aber er hatte das Wort noch nicht ausgesprochen, als er schaudernd begriff. Natürlich, von der Lokomotive waren Funken in die Hobelspäne vor der neuen Seitenwand gefallen. Stumm und in sich gekehrt, blieb er sitzen, die Frau wagte kein Wort von sich zu geben. Sie suchte nach Kleidungsstücken für ihn, da das, was sie über ihn gebreitet hatte, als er lag, nun heruntergeglitten war. Er nahm ihre Fürsorge schweigend hin, als sie jedoch vor ihm kniete, um seine Beine wieder zu bedecken, legte er ihr die Hand auf den Kopf. Sofort barg sie ihr Gesicht in seinem Schoß und weinte laut. Endlich hatte er sie bemerkt.

      Lars aber verstand sie und sagte: „Du bist der einzige Freund, den ich habe.“

      Auch wenn es erst den Hof hatte kosten müssen, bevor sie diese Worte zu hören bekam, ihr war es gleich. Sie wurde so froh, daß sie Mut faßte, und während sie aufstand und ihn demütig ansah, sagte sie: „Denn kein anderer als ich versteht dich.“

      Da schmolz ein hartes Herz. Er hielt seine Frau bei der Hand, und Tränen rannen ihm über die Wangen.

      Nun hielt er mit ihr Zwiesprache wie mit seiner Seele. Und nun bekam er auch ihre Meinung zu hören. Sie sprachen auch darüber, wie dies alles zugegangen war, oder vielmehr: er schwieg, und sie berichtete. Knud Aakre hatte als erster das Feuer entdeckt, er hatte seine Leute geweckt, die Mägde ins Dorf geschickt, während er mit seinen Knechten und Pferden zur Brandstätte geeilt war, wo alle schliefen. Er hatte auch die Lösch- und Rettungsarbeiten geleitet und Lars selber aus dem brennenden Zimmer geholt und nach der linken Seite gebracht, woher der Wind kam – hierher auf den Friedhof.

      Und wie sie so darüber sprachen, kam ein Wagen in rascher Fahrt den Weg entlang, bog zum Friedhof ab, wo der Kutscher abstieg. Es war Knud, der seinen Kirchwagen von zu Hause geholt hatte, mit dem sie so manches Mal zusammen zu Gemeinderatssitzungen und wieder zurück gefahren waren. Nun sollte sich Lars zu ihm auf den Wagen setzen und mit ihm nach Hause fahren. Sie reichten sich die Hand, Lars auf dem Hügel sitzend, der andere stehend.

      „Jetzt kommst du mit!“ sagte Knud.

      Ohne eine Antwort stand der andere auf, Seite an Seite gingen sie zum Wagen hinüber, man half Lars hinauf, Knud setzte sich zu ihm. Worüber sie während der Fahrt oder in der kleinen Kammer auf Aakre sprachen, wo sie sich bis zum nächsten Morgen aufhielten, ist nicht bekannt geworden. Aber von diesem Tag an waren sie wieder ebenso unzertrennlich wie früher.

      Erst wenn ein Mann vom Unglück betroffen wird, begreifen alle, was er wert ist. Deshalb übernahm es die Gemeinde, Lars Høgstads Hof wieder aufzubauen, er wurde größer und stattlicher als irgendein anderer im Tal. Lars wurde auch wieder Vorsitzender im Gemeinderat, aber mit Knud Aakre an seiner Seite. Knuds Geist und Sinnesart wurden nie übersehen, und von diesem Tag an schlug nichts mehr fehl.

Das Fischermädchen

      Erstes Kapitel

      Wo es den Hering lange Zeit immer wieder hingezogen hat, entsteht, wenn auch sonst die Bedingungen dafür günstig sind, eine Stadt. Von solchen Städten kann man nicht nur sagen, das Meer habe sie ausgespien, sondern sie sehen von weitem auch tatsächlich aus wie ein Haufen von Schwemmholz und angetriebenen Wrackteilen oder wie eine Ansammlung bauchiger Boote, die die Fischer in einer Sturmnacht schützend über sich gezogen haben. Beim Näherkommen erkennt man dann, wie zufällig das Ganze entstanden ist. Mitten auf dem Fahrdamm liegen Felsblöcke, oder der Ort wird durch das Wasser drei-, viermal geteilt, während sich die Gassen winden und wenden. Nur eines ist all diesen Orten gemein: In ihrem Hafen finden selbst die größten Schiffe Schutz. Dort ist es so still wie in einer Konservendose, und deshalb stehen diese Schlupfwinkel auch bei jenen Schiffen hoch im Kurs, die sich mit zerfetzten Segeln und zerschlagenem Schanzkleid von hoher See hier hereinretten, um Atem zu schöpfen.

      In einer solchen kleinen Stadt ist es still. Alles Lärmende ist auf die Landungsbrücken verwiesen, wo sich die Boote der Bauern festgebissen haben und die Schiffe gelöscht und beladen werden. Längs der Anlegestellen zieht sich die einzige Straße unseres Städtchens hin. Ihr folgen auf der gegenüberliegenden Seite weiß- und rotgestrichene ein- oder zweistöckige Häuser, aber nicht Wand an Wand, sondern mit hübschen Gärtchen dazwischen. Es ist also eine lange, breite Straße, die übrigens bei auflandigem Wind nach dem riecht, was auf den Landungsbrücken liegt. In dieser Straße ist es still, nicht aus Angst vor der Polizei – in der Regel gibt es hier gar keine –, sondern aus Angst vor dem Gerede, denn hier kennen sich alle. Geht man die Straße hinab, muß man zu jedem Fenster hinüber grüßen, wo auch meistens eine alte Frau sitzt, die den Gruß erwidert. Außerdem muß man jeden grüßen, der einem begegnet. All diese stillen Menschen denken nämlich an nichts anderes, als was sich im allgemeinen und für jeden von ihnen im besonderen schickt. Wer die Grenzen überschreitet, die seinem Stand oder seiner Stellung gesetzt sind, verliert seinen guten Ruf, denn man kennt nicht nur ihn, sondern auch seinen Vater und den Vater seines Vaters und findet schon heraus, wo sich bereits früher in der Familie ein Hang zum Ungehörigen gezeigt hat.

      In dieser stillen Stadt ließ sich vor vielen Jahren Per Olsen, ein geachteter Mann, nieder. Er kam vom Lande, wo er sich durch Kramhandel und Geigenspiel seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Nun eröffnete er hier in der Stadt für seine alten Kunden einen Laden, wo er außer Kramwaren auch Branntwein und Brot verkaufte. Man hörte ihn im „Hinterzimmer“ des Ladens auf und ab gehen und Springtänze und Brautmärsche spielen. Wenn er an der Ladentür vorbeikam, blickte er jedesmal durch ein verglastes Guckloch, und wenn ein Kunde erschienen war, schloß er sein Spiel mit einem Tremolo ab und ging zu ihm hinein. Das Geschäft entwickelte sich prächtig, er heiratete und bekam einen Sohn, den er nach sich nannte, aber nicht Per, sondern Peter. Der kleine Peter sollte das werden, was, wie Per fühlte, er selber nicht war – ein gebildeter Mensch, weshalb der Junge auf die Lateinschule geschickt wurde. Wenn ihn nun jene, die seine Kameraden sein sollten, von ihren Spielen nach Hause prügelten, weil er Per Olsens Sohn war, prügelte ihn dieser wieder zu ihnen hinaus, denn sonst konnte der Junge ja nicht gebildet werden. Die Folge davon war, daß sich der kleine Peter in der Schule verlassen vorkam und faul wurde, und mit der Zeit war ihm alles so gleichgültig, daß ihn die Hiebe des Vaters weder zum Lachen noch zum Weinen bringen konnten. Da gab Per das Prügeln auf und nahm ihn zu sich in den Laden. Doch wie wunderte er sich, als er hier sah, daß der Junge einem jeden gab, was er verlangte, ohne auch nur ein Körnchen zuviel zu geben oder je eine Backpflaume selber zu essen. Er sah ihn abwiegen, abzählen und abfüllen, ohne daß er dabei eine Miene verzog und meistens auch ohne ein Wort – alles sehr langsam, dafür aber mit unbestechlicher Genauigkeit. Der Vater faßte wieder Hoffnung und schickte ihn mit einer Heringsschute nach Hamburg, damit er eine Handelsschule besuche und feine Manieren lerne. Peter war acht Monate fort, und das mußte doch wohl genügen. Bei seiner Rückkehr hatte er sich sechs neue Anzüge zugelegt, die er, als er an Land ging, übereinandergezogen hatte, denn was man auf dem Leib trägt, kann nicht verzollt werden. Von diesem Umfang abgesehen, machte er jedoch, als er am Tag darauf auf der Straße erschien, ungefähr noch dieselbe Figur. Er ging steif wie ein Stock, mit unbeweglich herabhängenden Armen, er grüßte mit einem plötzlichen Ruck, verbeugte sich, als wäre er gliederlos, um sofort wieder stocksteif zu werden. Er war die Höflichkeit selbst, doch er tat alles hastig und mit einer gewissen Scheu und ohne ein Wort zu sagen. Er schrieb sich nicht länger Olsen, sondern Ohlsen, was dem Spaßvogel der Stadt Gelegenheit zu der folgenden Frage bot: „Wie weit ist Peter Olsen in Hamburg gekommen?“ Antwort: „Bis zum ersten Buchstaben.“ Er spielte auch mit dem Gedanken, sich „Pedro“ zu nennen, da er aber schon wegen des H’s


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