Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 2. Ambrosius von Mailand
Читать онлайн книгу.Sünden dieses Fleisches hat er nicht angenommen.
Nicht wie jeder andere Mensch ist ja der Herr geworden; nein, er ist geboren vom heiligen Geiste aus der Jungfrau Maria, und so hatte er einen makellosen Leib empfangen, den nie eine Sünde befleckt hat, der auch in seinem Entstehen nicht von der leisesten Makel des Fleisches berührt ist. Alle Menschen werden sonst unter dem Gesetze der Sünde geboren, wie David gesagt hat: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich geboren meine Mutter.“ Deßhalb spricht Paulus von dem Leibe des Todes, wenn er sagt: „Wer wird mich retten aus dem Leibe dieses Todes?“ Christi schuldloses Fleisch hat also die Sünde verurtheilt, die bei der Geburt ihn nicht berührte, die er sterbend gekreuzigt hat, so daß nun in unserem Fleische die Rechtfertigung durch die Gnade war, während vorher der Augenblick unseres Werdens nicht ohne Schuld war.
Was anders sollen wir nun dazu sagen, als was der Apostel gesagt hat: „Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns? Er, der selbst seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat; wie sollte er uns nicht Alles mit ihm geschenkt haben? Wer wird die Auserwählten Gottes anklagen? Gott, der gerecht macht? Wer wird verurtheilen? Christus Jesus, der gestorben ist, ja, der auch auferstanden ist, der zur rechten Hand Gottes sitzet, der auch fürbittet für uns?“ Diejenigen, für welche Christus Fürbitte einlegt, klagt also Novatian an. Diejenigen, welche Christus zum Leben erlöst hat, die verurtheilt Novatian zum Tode. Denjenigen, zu welchen Jesus gesagt hat: „Nehmet mein Joch auf euch, und lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig,“ ruft Novatian zu: „Ich bin ohne Erbarmen, ohne Sanftmuth.“ Denjenigen, zu welchen Christus sagt: „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht,“ legt Novatian ein schweres und hartes Joch auf.
Cap. 4
Obgleich das Gesagte uns schon hinreichend belehrt, wie sehr der Herr Jesus zum Erbarmen geneigt ist, so möge er doch mit jenen Worten uns belehren, mit denen er uns dem Schreckenseindruck der Verfolgung gegenüber unterweisen wollte. „Fürchtet nicht diejenigen,“ sagt er, „welche den Leib tödten, die Seele aber nicht tödten können: fürchtet vielmehr denjenigen, der Leib und Seele zugleich in die Hölle stürzen kann.“ Und weiter: „Jeden, der mich bekennen wird vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor meinem Vater, der im Himmel ist. Wer aber mich vor den Menschen verleugnet hat, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater, der im Himmel ist.“
Wo er sagt: „Ich werde bekennen,“ da tritt er für Alle ein, da umfaßt er Alle; wo er sagt: „Ich werde verleugnen,“ da schließt er nicht Alle ein. Da er zuerst sagt: „Jeden, der mich bekennet, den werde ich bekennen,“ sollte man erwarten, daß er auch ferner sagte: „Jeder, der mich verleugnet.“ Damit es nicht den Anschein gewänne, als meine er auch hier Alle, so fügt er weniger bestimmt hinzu: „Wer aber mich verleugnet, den werde ich verleugnen.“ Die Gnade verspricht er Allen, aber er droht keineswegs Allen die Strafe an. Das Erbarmen dehnt er aus, das Rächen schränkt er ein.
Dabei ist zu bemerken, daß das nicht allein in dem Evangelium des heiligen Matthäus, sondern auch in dem des heiligen Lukas sich aufgezeichnet findet: wir sollen eben erkennen, daß beides nicht obenhin, ohne Grund gesagt ist.
Haben wir so das Wort der Schrift uns vorgeführt, so erfassen wir jetzt den Sinn der Worte! „Jeder, der mich bekennen wird,“ sagt er, d. h.: „In welchem Alter, in welcher Lebensstellung mich Jemand bekennen wird, der wird der Vergeltung, daß ich auch ihn bekenne, nicht entbehren.“ Wenn er sagt: „Jeder“, so wird Keiner von der Belohnung ausgeschlossen, der ihn bekannt hat. Dagegen wird keineswegs in gleicher Weise Jeder, der ihn verleugnet hat, auch wieder verleugnet; kann es ja doch geschehen, daß Jemand, überwältigt durch die Qualen, mit dem Munde ihn verleugnet, während er ihn im Herzen anbetet.
Ist denn die Sachlage ganz gleich bei demjenigen, der aus sich selbst, so ganz ohne äußere Veranlassung den Herrn verleugnet, und demjenigen, den die Qualen, nicht der eigene Wille zu diesem Verrathe gegen Gott gebracht haben? Wie unzulässig wäre das, wenn bei den Menschen milde Nachsicht im Kampfe gelten sollte, während Gott dem Herrn gleiche Milde abgesprochen wird? Pflegt doch oftmals das Volk bei den Gladiatorenkämpfen auch die Besiegten, wenn ihr Kampf Billigung fand, zugleich mit den Siegern mit dem Siegeskranze zu belohnen; zumal dann, wenn man erkannt, daß sie durch List oder Betrug des Sieges verlustig wurden. Wird denn nun Christus zugeben, daß seine treuen Kämpfer, die er unter wuchtigen Qualen für einen Augenblick erliegen sah, ganz ohne Verzeihung bleiben?
Sollte der Herr, der selbst die, welche er verstößt, nicht für ewig verstößt, ihr Mühen und Kämpfen denn nicht in Anschlag bringen? Sagt doch David: „Nicht ewiglich wird der Herr verstoßen“ und der Irrthum sagt dagegen: „Er wird doch ewiglich verstoßen?“ „Nicht für immer wird er sein Erbarmen zurückziehen von Geschlecht zu Geschlecht, nicht für immer wird Gott vergessen gnädig zu sein.“ So der königliche Sänger, und es gibt Menschen, die Gottes Erbarmen eindämmen wollen?
Cap. 5
Die Irrlehrer behaupten freilich, daß sie nur um deßwillen ihre Meinung aufrecht halten, damit sie den Schein vermeiden, Gott als wandelbar hinzustellen, sofern er nämlich denjenigen Verzeihung gewähre, denen er doch vorher gezürnt habe. Aber wie? sollen wir die ewigen Gottessprüche zurückweisen und den Meinungen dieser Menschen folgen? Gott ist doch nicht nach fremden Meinungen, sondern nach seinen eigenen Worten zu beurtheilen. Welches sprechendere Zeugniß seines Erbarmens können wir anführen, als daß er selbst beim Propheten Osee denen, welchen er in seinem Zorne Strafe androhte, alsbald wieder versöhnt Verzeihung ankündigt? Zuerst sagt er: „Was soll ich dir thun, Ephraim? was soll ich dir thun, Juda? da eure Liebe ist wie Morgengewölk und wie der Thau, der frühe davon geht.“ Dann aber sagt er später: „Wie könnte ich dich hingeben, Ephraim, dich preisgeben Israel? ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim.“ Mitten in seinem Zorne hält er inne, wie überwältigt von väterlichem Erbarmen, und erwägt, wie er den Irrenden zur Buße führen möchte. Wie sehr Juda auch schuldig ist, geht Gott doch mit sich selbst zu Rathe. Er sagt: „Ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim,“ wie jene Städte, welche, Sodoma benachbart, auch gleiches Schicksal, gleichen Untergang erlitten; aber er fügt alsbald hinzu: „Umgewandt hat in mir sich mein Herz, mit eins ist erregt mein Mitleiden. Nicht werde ich ausführen meines Zornes Gluth.“
Scheint es nicht, als ob der Herr Jesus uns sündigen Menschen nur deßhalb zürnt, um uns durch die Furcht vor seinem Zorne zu bekehren? So ist denn sein Unwille nicht die Ausführung seiner Rache, sondern vielmehr die Vorbereitung der Verzeihung: denn so hat er gesagt: „Wenn du umkehrest und in Reueschmerz seufzest, wirst du gerettet werden.“ Er erwartet unser Seufzen hier in der Zeit, damit er es in der Ewigkeit uns erlassen, er erwartet unsere Thränenströme, damit er seine Milde über uns ergießen kann. So hat er im Mitleid mit den Thränen jener verwittweten Mutter im Evangelium den Sohn derselben wieder erweckt. Er erwartet unsere Umkehr, damit er selbst sich wieder zur Gnade wende. In uns würde die Gnade dauernd bleiben, wenn kein Sündenfall sich in unsere Seele einschliche; da wir aber durch unsere Sünden ihn beleidigen, zeigt er sich unwillig, damit wir gedemüthigt werden. Wir werden aber gedemüthigt, damit wir mehr der Erbarmung als der Strafe würdig erscheinen.
Auch das Wort des Propheten Jeremias möge zur Belehrung dienen: „Nicht auf ewig verwirft der Herr; denn wenn er auch betrübet hat, so erbarmt er sich doch nach der Menge seiner Erbarmungen; nicht mit Lust demüthigt und verwirft er die Menschenkinder.“ Aus dem, was auf diese Worte folgt, dürfen wir dann schließen, daß gerade deßhalb der Herr „alle Gefangenen des Landes unter seine Füße erniedrigt“, damit wir seinem Strafurtheile entgehen. Wahrlich nicht freudig und mit Lust erniedrigt er den Sünder bis zur Erde, da er ja von der Erde aufrichtet den Schwachen und aus dem Staube erhebt den Armen. Nicht mit Lust erniedrigt derjenige, der sich die Verzeihung vorbehält.
Wenn er nun überhaupt nicht mit Lust den Sünder demüthigt, um wie viel mehr trifft das bei demjenigen zu, der gleichfalls nicht mit voller Herzenshingabe gesündigt hat! Wenn er von den Juden sagte: „Dieses Volk ehret mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt,“