Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo
Читать онлайн книгу.er durch Glück verdorben wird. Doch zeigt Gott oft auch bei Verteilung von Gütern und Übeln sein Eingreifen ziemlich deutlich. Denn wenn jede Sünde offensichtliche Strafe träfe hienieden, so würde man meinen, es würde nichts für das jüngste Gericht aufgespart; wenn sich aber hinwiederum gar keiner Sünde gegenüber die Gottheit strafend offenbarte hienieden, so würde man glauben, es gebe keine göttliche Vorsehung. Und ähnlich das Glück: Schenkte es Gott nicht manchem auf seine Bitten mit augenscheinlichster Freigebigkeit, so würden wir sagen, er habe damit nichts zu schaffen; gäbe er es anderseits allen, die ihn darum bitten, so würden wir zu der Meinung kommen, man brauche ihm nur um solcher Belohnungen willen zu dienen, ein Dienst, der uns nicht fromm, sondern vielmehr begehrlich und habsüchtig machen würde. Da es sich nun so verhält[28] , so wird der Unterschied zwischen Guten und Bösen, wenn beide Teile in gleicher Weise heimgesucht werden, deshalb nicht aufgehoben, weil sich kein Unterschied in den Leiden zeigt, die sie getroffen haben. Denn die Ungleichheit der Leidenden bleibt auch bei Gleichheit der Leiden bestehen, und wenn auch der gleichen Marter unterworfen, ist Tugend und Laster doch nicht das gleiche. Denn wie im gleichen Feuer das Gold glänzt, der Schaum rußt und in der gleichen Dreschmaschine das Stroh zerstoßen, das Getreide gesäubert wird und wie sich die Ölhefe mit dem Öl nicht vermengt, obwohl sie durch den Druck der gleichen Kelter ausgepreßt wird, so erprobt, reinigt und klärt ein und dasselbe Geschick die Guten und verdammt, vernichtet und verscheucht die Bösen. Daher die Erscheinung, daß in der gleichen Heimsuchung die Bösen Gott verwünschen und lästern, die Guten ihn anrufen und preisen. So sehr kommt es darauf an, nicht welcher Art die Leiden, sondern welcher Art die Dulder sind. Der gleiche Lufthauch streicht über den Unflat und er entsendet schreckliche Dünste, streicht über das Salböl und es spendet liebliche Düfte.
9. Warum werden die Guten und die Bösen gleicherweise von harten Prüfungen heimgesucht?
Haben also die Christen bei jener großen Verwüstung irgend etwas erduldet, was ihnen nicht vielmehr, wenn sie es mit gläubigem Sinn betrachten, zu Nutz und Frommen gereichte? Einmal insofern sie sich in demütigem Hinblick auf die Sünden, um deren willen ja gerade Gott in seinem Zorn die Welt mit solchem Unglück überschüttet hat, doch nicht, so groß auch die Kluft ist, die sie von Übeltätern, Schandbuben und Gottlosen trennt, so frei von jeder Schuld erachten, daß sie nicht wenigstens zeitliches Übel dafür verdient zu haben glaubten. Denn abgesehen davon, daß jeder auch beim tadellosesten Wandel in manchen Dingen dem Begehren des niederen Menschen nachgibt, wenn auch nicht zu ungeheuerlichen Übeltaten und zu unentrinnbaren Schändlichkeiten und zu gräuelhafter Gottlosigkeit, so doch zu einigen Sünden, sei es nur selten oder um so häufiger je geringer sie sind — davon also abgesehen, wo wäre schließlich leicht einer zu finden, der gegen jene, wegen deren schrecklicher Hoffart, Ausschweifung, Habsucht und abscheulicher Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit gemäß seiner drohenden Vorhersage Gott die Länder zernichtet, den Standpunkt einnimmt, den man einnehmen soll? so mit ihnen verkehrt, wie man mit solchen verkehren soll? Denn statt sie zu belehren und zu mahnen, bisweilen auch zurechtzuweisen und zu tadeln, drückt man zumeist sündhaft die Augen zu, entweder wenn uns die Mühe verdrießt oder wenn wir uns scheuen, sie ins Angesicht zu tadeln, oder wenn wir dadurch ihre Feindschaft vermeiden, damit sie sich nicht hinderlich und schädigend erweisen in zeitlichen Dingen, die unsere Begehrlichkeit noch zu erreichen strebt oder unsere Schwachheit zu verlieren sich scheut. Obgleich also die Guten das Leben der Bösen mißbilligen und darum nicht mit ihnen der Verdammnis anheimfallen, die nach dem irdischen Leben solche Menschen erwartet, so werden sie doch, weil sie aus derlei Gründen deren verdammungswürdige Sünden schonen und durch diese Furcht selbst Sünden begehen, wenn auch nur leichte und verzeihliche, mit Recht zusammen mit ihnen von zeitlicher Züchtigung betroffen, jedoch nicht auf ewig gestraft. Mit Recht empfinden sie, wenn sie mit den Bösen zugleich heimgesucht werden, das irdische Leben als Bitterkeit, das ihnen so süß vorkam, daß sie aus Liebe zu ihm keine Bitterkeit zeigen wollten, als jene sündigten.
Denn wenn man etwa deshalb mit der schuldigen Zurechtweisung und Abmahnung der Bösewichte zurückhält, weil man auf eine gelegenere Zeit paßt oder weil man für sie selbst fürchtet, sie möchten dadurch nur noch schlimmer werden oder anderen Schwachen in ihrer Heranbildung zu einem guten und frommen Leben Hindernisse bereiten, sie bedrücken, vom Glauben abwendig machen, so liegt solcher Zurückhaltung offenbar nicht Begehrlichkeit, sondern eine von der Liebe eingegebene Überlegung zugrunde. Nur das ist sträflich, wenn die, die anders leben und die Werke der Bösen verabscheuen, fremder Sünden, die sie bereden und zurechtweisen sollten, gleichwohl schonen, um nicht anzustoßen, aus Furcht, es könnte ihnen daraus Schaden erwachsen in Dingen, die die Guten erlaubterweise und ohne Sünde, jedoch [in diesem Fall] begehrlicher in Dienst nehmen, als es sein sollte bei solchen, die als Fremdlinge auf Erden weilen und sich zur Hoffnung auf ein himmlisches Vaterland bekennen. Denn nicht allein Schwächere, Leute im ehelichen Stande mit Kindern oder nach Kindern trachtend, mit Haus und Dienerschaft [solche, an die sich der Apostel[29] in den heiligen Versammlungen wendet mit Lehre und Mahnung, wie sie leben sollen, die Frauen mit ihren Männern und die Männer mit ihren Frauen, die Kinder mit ihren Eltern und die Eltern mit ihren Kindern, die Knechte mit ihren Herren und die Herren mit ihren Knechten], nicht nur sie haben eine Freude daran, viel vergängliches irdisches Gut zu gewinnen und empfinden schwer dessen Verlust und wagen es daher nicht, Leute zu tadeln, deren schandbares und ruchloses Leben ihnen mißfällt, sondern auch solche, die auf einer höheren Stufe der Lebensführung stehen und nicht in eheliche Bande verstrickt sind und mit geringer Nahrung und Kleidung vorlieb nehmen, hüten sich meist, die Bösen zu tadeln, da sie deren Nachstellungen und Anfeindungen im Interesse ihres Rufes und ihrer Sicherheit fürchten; geht auch ihre Furcht nicht so weit, daß sie irgend welchen Einschüchterungen und Ungerechtigkeiten nachgäben zu ähnlichen Untaten, so wollen sie doch zumeist die Untaten auch nicht bereden, die sie mit ihnen nicht gemein haben möchten — während sie vielleicht durch Beredung manche bessern könnten —, damit nicht im Fall des Mißlingens ihr Ruf und ihre Sicherheit gefährdet werde oder verloren gehe; und das nicht etwa mit Rücksicht darauf, daß ihr Ruf und ihre Sicherheit notwendig ist, um durch Unterricht Nutzen zu stiften, sondern vielmehr aus Schwäche, aus Wohlgefallen an der Schmeichelzunge und am irdischen Dasein und aus Furcht vor dem Urteil der Menge und vor Folter und Tod des Leibes, d. h. wegen gewisser Bande der Weltlust, nicht wegen der Pflicht der Liebe.
Das also scheint mir nicht unwesentlich Schuld zu sein, wenn mit den Bösen auch die Guten Züchtigung erleiden, da es Gott eben gefällt, auch mit zeitlichen Strafen Sittenverderbnis heimzusuchen. Sie erleiden nämlich zumal Züchtigung, nicht weil sie zumal ein schlechtes Leben führen, sondern weil sie zumal am zeitlichen Leben hängen, zwar nicht in gleicher Weise, aber doch eben auch, während die Guten es gering achten sollten, damit die andern sich eines bessern besännen und das ewige Leben erlangten oder, falls sie sich nicht anschließen wollten in diesem Streben, als Feinde ertragen und geliebt würden, da es ja, so lang sie leben, stets unsicher ist, ob sie nicht ihre Gesinnung zum bessern kehren. In dieser Hinsicht haben nicht etwa nur den gleichen, sondern einen viel dringenderen Anlaß die, denen die Worte des Propheten gelten: „Der zwar wird in seiner Sünde sterben, aber sein Blut werde ich fordern von des Wächters Hand“[30] . Denn dazu sind Wächter d. i. Vorgesetzte des Volkes aufgestellt in den Kirchen, daß sie es nicht fehlen lassen an der Rüge der Sünden. Gleichwohl ist aber deshalb von solcher Schuld der nicht ganz frei, der, wenn auch nicht Vorgesetzter, doch denen gegenüber, mit welchen er durch notwendige Beziehungen dieses Lebens verbunden ist, es immer wieder unterläßt, ihre ihm wohlbekannten Sünden zu bereden und zu rügen, weil er bei ihnen nicht anstoßen will im Hinblick auf Dinge, an denen er in diesem Leben zwar sich erlaubtermaßen letzen darf, aber über die Massen hängt. Sodann gibt es noch einen anderen Grund, weshalb die Guten von zeitlichen Übeln heimgesucht werden, der Grund, der für Job galt, damit nämlich die Gesinnung des Menschen sich erprobe und sich darüber klar werde, mit welcher Energie der Hingabe sie Gott uneigennützig liebe.
10. Die Einbuße zeitlicher Güter ist für die Heiligen kein Verlust.