Kooperatives Lernen im Englischunterricht. Andreas Bonnet

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Kooperatives Lernen im Englischunterricht - Andreas Bonnet


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Verständnis der Bildungsgangforschung, die Unterricht als Ort der Vermittlung zwischen subjektiven Entwicklungsbedürfnissen und objektiven gesellschaftlichen Anforderungen versteht und diese Vermittlung mit den Konzepten der Entwicklungsaufgabe bzw. der Sinnkonstruktion konzeptualisiert (vgl. Meyer 2006; Trautmann 2004; Hericks/Spörlein 2001; Hericks 2004). Schließlich taucht dieses Spannungsverhältnis auch – im Anschluss an die Kantsche Frage der Kultivierung der Freiheit bei dem Zwange – als Autonomie-Antinomie (Helsper 1996) auf und weist das beschriebene Spannungsverhältnis als für Schule konstitutiv und unhintergehbar aus. In letzter Zeit geraten zudem zunehmend Fragen der Fachlichkeit von Unterricht in den Horizont schulpädagogischer Forschung; sie belegen, dass die hier diskutierten Spannungsverhältnisse auch in der Sachantinomie bedeutungsvoll sind (Helsper 2016; Bonnet 2019).

      Folgt man der Bildungstheorie Peukerts, so haben sich die Pole dieser dialektischen, dualen bzw. antinomischen Struktur in der Postmoderne verändert. Durch zunehmend weniger zu kontrollierende Technologiefolgen und Raubbau an den globalen Ressourcen in der „Risikogesellschaft“ (Beck 2015 [1986]), die Relativierung universaler Normen durch das „Ende“ der traditionellen „großen Erzählungen“ (Lyotard 1994 [1979]) sowie die Flexibilisierung und Pluralisierung von Lebenspraxen im Zuge globaler Migration mache die nachwachsende Generation verstärkt Fremdheitserfahrungen mit den an sie herangetragenen kulturellen Deutungsmustern und Sinnangeboten. Sie sei „angesichts radikaler Widerspruchs- und Kontingenzerfahrungen“ (Peukert 1998, 22) zu besonderen Vermittlungsleistungen herausgefordert.

      Betrachtet man diese Situation nicht aus der Perspektive der Schüler*innen, sondern aus der Perspektive der erwachsenen Generation, so erwächst daraus auch ein Problem für Unterricht. Eine zentrale Problematik ist sein Technologiedefizit, also das ungewisse Verhältnis von Lehren und Lernen. Im Sinne des erweiterten Didaktikbegriffs nach Klafki könnte man es auch als methodisches Kontingenzproblem bezeichnen. Im Lichte der oben referierten Gegenwartsanalyse lässt sich aber ein zweites Kontingenzproblem beschreiben. Es ergibt sich daraus, dass unterrichtliche Ziele und (Fach-)Inhalte in der reflexiven Moderne verstärkt zur Disposition stehen; man könnte hier von einem didaktischen Kontingenzproblem sprechen. Damit ist gemeint, dass Lehrer*innen zunehmend mit dem Problem konfrontiert sind, die Auswahl unterrichtlicher Inhalte begründen bzw. rechtfertigen zu müssen – dies gilt auch und gerade für scheinbar kanonisierte Inhalte. Damit lässt sich feststellen, dass Unterricht angesichts seiner doppelten Kontingenzproblematik nicht nur für die Lernenden, sondern auch für die Lehrenden eine stetige Herausforderung darstellt und auf beiden Seiten mit Erfahrungen der Ungewissheit und Fremdheit verbunden ist. Wer die damit verbundenen Konflikte durch disziplinierende Machtausübung über Noten oder Techniken des classroom management zu überspielen versucht, läuft Gefahr, die innovative Funktion von Schule zu verfehlen. Um diese Funktion zu erhalten und in ihrer – angesichts immer kürzer werdender Innovationsintervalle in Technik und Gesellschaft – gestiegenen Bedeutung zu intensivieren, bedarf es einer intergenerationellen Kommunikation, die, mit Peukert gesprochen, „auf der Basis einer elementaren Solidarität Spielräume für die Selbsterprobung in alternativen Weisen des Umgangs mit Realität freigeben oder paradigmatisch vorführen“ (Peukert 1998, 25; Herv. i. Orig.).

      Wie an anderer Stelle (Hericks 2007, 2008; Bonnet/Breidbach 2007) dargelegt, stellt die pädagogische Kommunikation über die Sache – sprich: der Fachunterricht – selbst den strukturellen Ort einer solchen Solidarität in der Schule dar. Der Ansatzpunkt hierfür ist die Experten-Laien-Differenz, aus der ein spezifisches Anerkennungsverhältnis zwischen Lehrperson und Schüler*innen erwächst. Indem das in der Experten-Laien-Differenz enthaltene Kommunikations- und Kooperationsproblem explizit zum Gegenstand der Unterrichtskommunikation wird, erfahren die Schüler*innen zugleich Anerkennung als diejenigen, die sich der Auseinandersetzung mit einer für sie zunächst unbekannten Sache und den mit dieser Auseinandersetzung verbundenen Fremdheitszumutungen stellen und dabei eigene, teils originelle und überraschende Fragen und Anschlüsse zu dieser Kommunikation beisteuern können. In einer auf Partizipation angelegten Fachvermittlung ist somit die Anerkennung der Lernenden als grundsätzlich partizipationsfähige Andere immer schon enthalten. Auf diese Weise kann die von Peukert beschriebene elementare Solidariät des intergenerationellen Verhältnisses in eine praktische Solidarität zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen überführt werden. Dies betrifft nicht nur die inhaltlich-curricularen Aspekte des Unterrichts, sondern darüber hinaus auch den interaktionalen und organisational-institutionalen Rahmen der Inszenierungsformen und Notengebung. Wir werden auf diesen Aspekt am Schluss unserer Untersuchung umfassend zurückkommen (Kap. 6 und Kap. 7).

      Nachdem die Pädagogizität des Unterrichts als Gleichzeitigkeit oder Dialektik konservativer und innovativer Absichten sowie eines gelenkten und selbstläufigen Geschehens bestimmt wurde, stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie sich daraus die spezifische Interaktionsstruktur des Unterrichts bestimmen lässt. Was also macht die Sozialität von Unterricht aus? Auf der Mikroebene finden sich unterschiedliche Ansätze, je nachdem welcher der beiden Pole betont wird. So kann Unterricht von seiner gleichsam konservativen Funktion her bestimmt und dann als Interaktionsform des Zeigens definiert werden (Strobel-Eisele 2011). Diese pädagogische Mikroperspektive geht davon aus, dass die Gestaltung der unterrichtlichen Sache vom Wissensvorsprung des Lehrenden ausgeht. Dies ist aber nicht mit Belehrung gleichzusetzen. Den Lehrenden kommt vielmehr die anspruchsvolle Aufgabe zu, die unterschiedlichen Dimensionen des repräsentativen Zeigens „in eine synchronisierende Handlungsabfolge und damit ‚in Bewegung‘ [zu] bringen“ (ebd., 73), wobei keinesfalls von einer kausalen Folge von Zeigen und Lernen ausgegangen wird (ebd., 74). In dieser Sichtweise werden nur solche Interaktionen als für Unterricht typisch angesehen, die eine immanent zeigende Struktur aufweisen. Andere Sprachspiele wie Forschung oder Beratung werden bewusst nicht als Unterricht aufgefasst (ebd., 75ff.), jedoch sehr wohl als für Schule sinnvoll erachtet. Damit wird die innovative Funktion von Schule auf der Ebene des Unterrichts eingeschränkt, denn diese ist darin immer nur als eine Neuerung denkbar, die die Lehrperson bereits kennt, oder für deren Erschließung sie inhaltlich den Ausgangspunkt vorgegeben hat. Ein Geschehen, in dem für beide Seiten Neues emergiert, ist damit begrifflich vom Unterricht ausgeschlossen.

      Derartige Prozesse werden hingegen von solchen Ansätzen erfasst, die neben dem Zeigen und dem dafür konstitutiven Wissensgefälle zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen andere Interaktionsmodi betonen. Dies ist besonders dezidiert bei Dewey der Fall, der, so Meyer (2006, 96), die Schule als „Experiment der Gesellschaft mit der nachwachsenden Generation“ verstehe. Dementsprechend habe die Interaktion zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen in der unmittelbaren Unterrichtsgestaltung weniger direkt zeigenden als vielmehr vermittelnden Charakter. Aufgabe der Lehrer*innen sei es nicht, erklärend oder gar belehrend tätig zu werden, sondern vielmehr einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, in dem die Schüler*innen occupations nachgehen, an deren Planung und Ausgestaltung sie in hohem Maße mitwirken. Ein über das Zeigen hinausgehendes Verständnis von Unterricht ist aber auch im strukturtheoretischen Ansatz verwirklicht (Combe 1996). Man kann daher festhalten, dass es als erster Eigenschaft einer für Unterricht besonderen Sozialität bedarf: Einer auf Aneignung bzw. Vermittlung gerichteten, gemeinsam-prozesshaft von Schüler*innen und Lehrer*innen hervorgebrachten, „den Gegenstand konstituierenden Interaktionsbedeutung“ (ebd., 277). Dieses Geschehen steht im Spannungsfeld objektiver gesellschaftlicher und individueller Deutungen.

      Kaum formuliert, muss man diese Festschreibung allerdings bereits relativieren. Für die Sozialität von Unterricht scheint nämlich paradoxerweise konstitutiv zu sein, dass sich die aus seiner Pädagogizität ableitende Absicht der Bezugnahme auf eine Sache gar nicht erfüllen muss. Der Begiff der „Routine“, dem im strukturtheoretischen Modell der Begriff der „Krise“ dialektisch gegenübergestellt wird (Oevermann 1991)1, verweist auf habitualisierte und sich wiederholende Interaktionsmuster, wie sie die Diskursanalyse mit dem IRE-Schema gefunden hat (Meseth et al. 2011). Es ist das Verdienst der ethnographischen Unterrichtsforschung (Breidenstein 2006), gezeigt zu haben, wie inhaltliches Lernen bzw. Bildung aus dem Blick geraten, wenn Lehrpersonen und Schüler*innen in erster Linie Geschäftigkeit inszenieren. Die praxistheoretische Forschung hat diesem „Schülerjob“ eine weitere Facette hinzugefügt, indem sie zeigt, wie auch die Inszenierung von Reflexivität und individueller Sinnkonstruktion an die Stelle inhaltlicher Arbeit treten können


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