Lacroix und der Bäcker von Saint-Germain. Alex Lépic

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Lacroix und der Bäcker von Saint-Germain - Alex Lépic


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cafés, ohne die Frau aus den Augen zu lassen, die er zweifellos für verrückt hielt.

      Der Commissaire nahm seine Tasse, rührte mit dem kleinen Löffel darin herum und ließ ihr die Zeit, die sie brauchte, um zu verstehen, was er ihr da gerade gesagt hat. Erst nach einigen Minuten kam Madame Lefèvre an den Tisch zurück, blieb noch einen Moment abgewandt stehen, dann setzte sie sich.

      »Ich habe ihn nicht nach Hause kommen hören.«

      »Ist Monsieur …«, begann Lacroix, doch sie unterbrach ihn gleich wieder mit einer wegwerfenden Geste, ihre Augen richteten sich auf ihn, als sei sie aus einem Traum erwacht.

      »Das ist nicht ungewöhnlich, das wollte ich damit nicht sagen. Überhaupt nicht. Er war oft nächtelang in der Bäckerei. Und dass er gestern geblieben ist, nach seinem Triumph, hat mich nicht überrascht.«

      »Sie meinen die Wahl zum besten Baguette der Stadt? Ich habe es vorhin in der Zeitung gelesen.«

      Sie lächelte in sich hinein und nickte sanft. »Niemand hat es für möglich gehalten, außer ihm. Aber er hat es tatsächlich geschafft und den Titel verteidigt.«

      Lacroix nahm einen Schluck von seinem café, tatsächlich erstaunt. »Ist das denn so ungewöhnlich?«

      Sie nickte stolz. »Das gab es noch nie, Commissaire. Noch nie. Es gibt einen Bäcker, der den Titel zweimal geholt hat, aber nicht in aufeinanderfolgenden Jahren. Aber mein Maurice hat es geschafft. Er wird damit in die Geschichte eingehen.«

      Lacroix war selten sprachlos, jetzt aber brauchte er einen Moment, um sich zu sammeln. Er hatte dem Wettbewerb keine große Bedeutung beigemessen, ganz anders als Madame Lefèvre. Seine Gedanken rasten. Der Sieger lag wenige Stunden nach der Verkündung erschlagen in seiner Backstube – das konnte doch kein Zufall sein.

      »Was hat Ihr Mann nachts in der Boulangerie gemacht?«

      »Was meinen Sie denn, Commissaire? Er trank sicher keinen Champagner und feierte sich selbst. Maurice war ganz anders, er ruhte nicht, nein, er wird die ganze Nacht dort gesessen und über Rezepten gebrütet haben. Er tüftelte immer an neuen Broten und Torten, vor allem aber wollte er die Rezeptur des Baguettes perfektionieren – auch wenn das natürlich totaler Blödsinn ist, wenn man erwiesenermaßen das beste Baguette der Stadt produziert. Aber sei’s drum, das war seine Mission. Zwischendurch putzte er die Maschinen, und wenn er zufrieden war mit seinem Werk, dann genehmigte er sich einen sehr alten Cognac. Das war sein Ritual.«

      Das Stimmgewirr um sie herum schwoll an, der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee lag in der Luft. An der Bar zapfte der Wirt die ersten Biere des Tages. Nun, um kurz vor zehn, kamen die, die am Morgen schwer geschuftet hatten, Marktleute, Postboten, Reinigungskräfte. Lacroix sehnte sich nach dem Chai.

      »Das klingt, als hätten Sie Ihrem Mann häufiger in der Backstube Gesellschaft geleistet«, sagte der Commissaire.

      »Früher, ja«, sagte sie und lächelte in sich hinein. Ihre Wangen waren nun noch rosiger, sie wirkte auf einmal viel offener. »Aber Sie wissen ja, wie das ist, Monsieur le Commissaire, all die Pflichten und Verpflichtungen. Wir sind uns nach wie vor sehr nah, aber die Verantwortung für den Laden und die Mitarbeiter zwingt uns, mehr Geschäftspartner als ein Ehepaar zu sein.«

      Sie hielt einen Moment inne, betrachtete ein junges Paar am Nebentisch, das Händchen hielt. Einen Augenblick später sah sie betroffen zu Boden.

      »Ihr Verlust tut mir sehr leid«, sagte Lacroix. »Haben Sie eine Idee, wer Ihrem Mann etwas antun wollte? Ich weiß, es ist eine plumpe Frage, aber: Hatte er Feinde? Neider?«

      »Wissen Sie, Monsieur le Commissaire, in diesem Land gibt es an jeder Ecke einen guten Bäcker – auch wenn es leider immer weniger werden. Als Handwerker, und so verstehen wir uns, sind Sie immer einer unter vielen. Wenn Sie dann diese Auszeichnung erhalten, ist alles anders. Die Kunden rennen Ihnen die Bude ein, aber die Kollegen beginnen, sich abzuwenden, reden mit ihren Kunden schlecht über Sie: ›Ach, beim Lefèvre, da sind ja mittlerweile alle abgehoben, da geben sie sich keine Mühe mehr, die ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus.‹ So ist das. Damit sollte Ihre Frage beantwortet sein. Neider gibt es viele.«

      »Aber jemand, der Ihrem Mann wirklich nach dem Leben trachtete?«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Nicht dass ich wüsste.«

      »Wie viele Angestellte haben Sie? Und wie viele von ihnen haben einen Schlüssel?«

      »Es sind elf Angestellte. Einen Schlüssel haben die vier Bäcker und die Verkäuferinnen der Frühschicht. Ich mache Ihnen eine Liste und schicke sie in Ihr Kommissariat, d’accord

      »Das wäre sehr freundlich. Hören Sie, Madame Lefèvre, wir haben Ihren Mann eindeutig identifiziert, deshalb ist es nicht nötig, dass Sie das tun. Aber wenn Sie ihn noch mal sehen und sich verabschieden möchten, ist das natürlich möglich. Wir haben ihn ins Institut der Gerichtsmedizin am Quai de la Rapée gebracht. Er ist … nun ja, man hat ihn mit großer Wucht erschlagen, und das führt mich zu der Annahme, dass es einen Streit gegeben hat. Der Täter muss sehr wütend gewesen sein. Oft ist es im ersten Schock schwierig, aber wenn Ihnen noch jemand einfällt, an den Sie jetzt noch nicht gedacht haben, bitte ich Sie, mich sofort anzurufen.«

      »Natürlich, Commissaire.«

      »Werden Sie den Laden nun erst mal schließen?«

      Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind, öffnen wir wieder. Die Pariser sollen ihr bestes Baguette bekommen, Maurice hätte es nicht anders gewollt.«

      4

      Die Pfeife glühte den ganzen Weg über hellrot. Lacroix hatte einen Umweg genommen, um Zeit zu schinden. Er war noch einmal auf den Boulevard gegangen, hatte sich nach links gewandt, war in die große Kirche Saint-Germain-des-Prés gegangen und hatte sich auf einen der wackligen Holzstühle gesetzt. Die Abtei war düster und ruhig gewesen, nur erhellt vom flackernden Licht der Kerzen. Ein majestätisches Schiff, in dem er sich beschützt fühlte. Nach einer Weile war er wieder hinausgegangen, zurück in die schmalen Gassen.

      Saint-Germain war eines der bekanntesten Quartiere von Paris. Heimat der Dichter und Denker. Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir hatten im Café de Flore und im Deux-Magots geschrieben, hier war das Institut de France mit all den Akademien der Kunst und Wissenschaft. Wohnungen in den feinen Stadthäusern waren unerschwinglich geworden, tagtäglich schoben sich Tausende Touristen durch die Straßen. Doch Saint-Germain war eben auch nur eines der vielen Dörfer, aus denen Paris bestand. Ein Quartier inmitten dieser riesigen Stadt, in dem immer noch alte Pariser wohnten, die seit Generationen Wohnungen mit Bestandsschutz hatten. Die seit Jahrzehnten zu demselben Bäcker gingen, zu demselben Fleischer, zu demselben Kiosk auf dem Boulevard. Ein Ort zum Leben. Und nun war einer aus ihrer Mitte tot.

      Die Place de Furstenberg, der hübsche kleine Platz mit den Trompetenbäumen und der alten Laterne in der Mitte, lag still da. An Orten wie diesen fühlte sich Lacroix wie in einem Dorf. Der Boulevard war ganz nah, und dennoch war hier nichts vom Verkehr, von dem Hupen und Brummen der Busse zu hören. Ein magischer Platz. Vor dem Schaufenster eines teuren Einrichtungsladens blieb er stehen. Dominique wünschte sich seit Langem neue Vorhänge für die Fenster zur Rue Cler.

      Die letzten Meter bis zum Chai schlich er beinahe, weil er noch nicht fertig war, sich all die Bilder einzuprägen. Doch dann siegten die Kälte und der Hunger, und er beschleunigte seine Schritte, öffnete die Tür und ließ seinen Blick durch das volle Bistro schweifen, nahm nur vage die eng nebeneinanderstehenden Holztische und die rotbespannten Lederbänke wahr, die goldenen Verzierungen und Handläufe, die Fenster hinaus zur Rue de Buci. Sofort stellte sich ein Gefühl der Entspannung ein.

      »Bonjour, mon Commissaire«, rief Yvonne hinter der Theke, während sie sich umdrehte, um die Kaffeemaschine zu bedienen.

      Lacroix trat näher und blickte über den Tresen. Kaum dass er den Stammgast seines Frauchens sah, raste Idefix um die Theke herum. Der braune Yorkshire suchte sich ganz genau aus, von wem er gestreichelt werden wollte. Der Commissaire würde viel dafür geben, mehr Kollegen


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