Tropenkoller. Georges Simenon

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Tropenkoller - Georges  Simenon


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den Staub heraus und hängte sie über den Stuhl.

      Timar wagte nicht, sich zu erheben. Sein Bett roch nach Schweiß. In der Schüssel stand noch schmutziges Wasser, seinem Kamm fehlten mehrere Zinken.

      Und doch wollte er nicht, dass diese Frau im schwarzen Seidenkleid, die ihm sanft und zugleich ironisch zulächelte, fortging.

      »Ich bin hier, um Sie zu fragen, was Sie möchten. Kaffee? Tee? Schokolade? Hat Ihre Mutter Sie geweckt, in Europa?«

      Sie hatte das Moskitonetz gelüftet und bespöttelte ihn. Sie neckte ihn, mit spitzen Zähnen, als hätte sie Lust, ihn anzubeißen.

      Ihn anzubeißen, weil er anders war als die Kolonisten, weil er nach Bett und gepflegter Jugendlichkeit duftete.

      Sie war nicht aufreizend. Sie war auch nicht mütterlich. Und doch hatte sie von beidem etwas. Aber vor allem strahlte diese füllige fünfunddreißigjährige Frau von Kopf bis Fuß eine dumpfe Sinnlichkeit aus.

      War sie nicht nackt unter ihrem schwarzen Seidenkleid? Trotz seiner Verlegenheit stellte sich Timar die Frage.

      Dabei ergriff ihn ein heftiges Verlangen, verstärkt durch Dinge, die gar nichts damit zu tun hatten. Die Muster von Licht und Schatten, die animalische Feuchtigkeit des Bettes, sein unruhiger Schlaf in der zurückliegenden Nacht, unterbrochen von unwillkürlichem Aufschrecken und blindem Herumtasten im Dunkel.

      »Ach je, Sie sind ja gestochen worden.«

      Auf dem Bettrand sitzend, legte sie einen Finger auf seine nackte Brust, ein wenig oberhalb der Warze, berührte einen kleinen roten Fleck und blickte Timar in die Augen.

      Das also war passiert, das Folgende ging dann sehr schnell, sehr wirr und unbeholfen. Sie war darüber ebenso erstaunt gewesen wie er, gewiss irritiert, und während sie vor dem Spiegel ihr Haar in Ordnung brachte, hatte sie gesagt:

      »Thomas wird Ihnen Ihren Kaffee bringen.«

      Thomas war der Boy. Für Timar bloß ein Schwarzer, denn er war noch nicht lang genug in Afrika, um die Schwarzen voneinander unterscheiden zu können.

      Als er eine Stunde später hinuntergegangen war, hatte die Wirtin mit einer Häkelarbeit aus grellrosa Seide hinter der Bar gesessen. Von dem wilden, leidenschaftlichen Rausch zuvor war ihr nichts mehr anzumerken. Gelassen und heiter lächelte sie wie sonst.

      »Wann wollen Sie zu Mittag essen?«

      Nicht einmal ihren Namen kannte er! Seine Sinne waren überreizt. Er spürte noch ihre Wärme, die zarte Haut, den nicht sehr festen, aber köstlichen Körper.

      Eine kleine Schwarze brachte Fische, die Wirtin wählte wortlos die schönsten aus und warf einige Geldstücke in den Korb.

      Aus dem Keller tauchte der Ehemann auf, zunächst der Oberkörper, dann der starke, aber müde Rest. Er war ein Koloss mit trägen Bewegungen, mürrisch verzogenem Mund und galligem Blick.

      »Sie waren hier?«

      Und Timar errötete wie ein dummer Junge. So ging das nun schon seit drei Tagen. Nur stieg sie morgens nicht mehr hinauf in sein Zimmer. Von seinem Bett aus hörte er, wie sie unten im Lokal hin und her ging, Thomas Anweisungen gab und den Schwarzen Waren abkaufte.

      Von früh bis spät trug sie dasselbe schwarzseidene Kleid, unter dem sie, wie er jetzt wusste, nackt war. Das verwirrte ihn so sehr, dass er oft den Blick abwenden musste.

      Draußen gab es für ihn nichts zu tun. Er verbrachte fast den ganzen Tag im Hotel, trank irgendetwas, blätterte durch drei Wochen alte Zeitungen oder spielte für sich allein Billard.

      Sie häkelte und bediente Leute, die sich für einen Moment an die Theke stellten und die Ellbogen aufstützten. Der Mann kümmerte sich um sein Bier und seine Flaschen, rückte die Tische zurecht, und hin und wieder forderte er Timar auf, sich in eine andere Ecke zu setzen. Er schien ihn wie einen störenden Gegenstand zu betrachten.

      Das Ganze hatte etwas Gereiztes, Verbissenes und trotz der Sonne Düsteres, besonders in den drückend heißen Stunden, wo einem der Schweiß schon ausbrach, wenn man nur den Arm hob.

      Mittags und abends kamen die Stammgäste zum Essen und zum Billardspiel. Timar kannte sie nicht. Sie musterten ihn neugierig, ohne Wohlwollen oder Abneigung. Und er wagte nicht, sie anzusprechen.

      Schließlich hatte das Fest stattgefunden. Es war auf seinem Höhepunkt. In einer Stunde würden alle betrunken sein, selbst Timar, der ganz allein seinen Champagner trank.

      Der Künstler hieß Manuelo. Er musste angekommen sein, als Timar noch schlief oder ausgegangen war. Gegen elf Uhr am Vormittag jedenfalls war Timar im Hotel auf ihn gestoßen. Lächelnd, mit allem vertraut, schon ganz zu Hause, klebte der Künstler Plakate an die Säulen des Lokals. Sie kündigten Manuelo an, die größte spanische Tänzerin.

      Ein geschmeidiger und charmanter kleiner Mann. Er verstand sich bereits sehr gut mit der Wirtin. Nicht so, wie sich ein Mann und eine Frau, sondern wie sich Frauen untereinander verstehen.

      Schon am Mittag waren die Tische umgestellt worden, damit mehr Platz für Manuelos Tänze entstand. Man hatte bunte Papiergirlanden gespannt und das Grammophon ausprobiert.

      Stundenlang hatte der Spanier im Zimmer seine Nummern geübt, so heftig auf den Boden stampfend, dass die Decke wackelte.

      War Joseph Timar deshalb verstimmt, weil der Rhythmus, an den er sich gewöhnt hatte, gestört worden war? Trotz der Sonne war er ausgegangen und hatte gespürt, wie sein Schädel unter dem Tropenhelm heiß wurde. Schwarze Frauen hatten ihn lachend angesehen.

      Ebenfalls wegen des Festes war den Stammgästen ihr Essen in aller Eile serviert worden. Dann waren Leute von draußen gekommen, Weiße, die Timar noch nie gesehen hatte, weiße Männer und Frauen, Frauen im Abendkleid und zwei Engländer im Smoking.

      An allen Tischen wurde Champagner getrunken. Draußen im Dunkel, hinter den Türen und Fenstern, standen plötzlich Hunderte schweigsame Schwarze.

      Manuelo tanzte wie eine Frau, so sehr, dass es umso zweideutiger wirkte. Die Wirtin war an der Bar. Timar kannte jetzt ihren Namen: Adèle. Alle nannten sie so. Die meisten der Gäste duzten sie. Er schien der Einzige zu sein, der sie mit Madame anredete. Wie immer in Schwarz und wie immer nackt unter der Seide, war sie auf ihn zugekommen.

      »Champagner? Es stört Sie doch nicht, einen Piper zu nehmen? Ich habe nur noch wenige Flaschen Mumm, und die Engländer trinken nichts anderes.«

      Das hatte ihn gefreut, ihm sogar gutgetan. Aber warum verzerrte sich Minuten später sein Gesicht?

      Manuelo hatte ein paar Tänze vorgeführt. Der Wirt – auch ihn duzten alle und nannten ihn Eugène – hatte sich in eine Ecke neben das Grammophon gesetzt und wirkte mürrischer denn je. Trotzdem beobachtete er alles, hörte alles, rief die Boys herbei.

      »Siehst du nicht, Idiot, dass die Leute dort was zu trinken haben wollen?«

      Mit unvermuteter Sanftheit wechselte er dann die Grammophonnadel. Auch Timar spitzte die Ohren, fing Satzfetzen auf und versuchte zu verstehen. Aber das war fast unmöglich. Den großen, ziemlich gewöhnlichen jungen Mann am Nebentisch, der aussah wie ein Student im dritten Semester und schon bei seinem zehnten Whisky war, zum Beispiel, nannte man Herr Staatsanwalt. Holzfäller erzählten:

      »… solange es keine Spuren gibt, ist es ungefährlich. Aber die lassen sich leicht vermeiden: Du tust ihm ein nasses Handtuch auf den Rücken. Dann kannst du loslegen. Die Nilpferdpeitsche hinterlässt keine Striemen.«

      Auf dem Rücken des Schwarzen natürlich!

      Hatte Timar schon eine ganze Flasche getrunken? Man brachte ihm eine neue und füllte sein Glas. Er sah einen Teil der Küche, und genau in diesem Augenblick schlug die Wirtin Thomas mit der Faust ins Gesicht. Was bedeutete das? Der Schwarze zuckte nicht mit der Wimper, nahm die Schläge bewegungslos, mit starrem Blick hin.

      Dieselben Platten wurden zehnmal gespielt. Einige Paare tanzten. Die meisten der männlichen Gäste hatten sich ihrer Jacketts entledigt.


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