Tibor (zweite Serie) 1: Die Spinnengöttin. Thomas Knip
Читать онлайн книгу.Antwort zeigte sich ein Dutzend mit Speeren bewaffneter schwarzer Krieger am Rand der Grube, der gut sechs Meter über ihm lag. Zwei der Eingeborenen halfen ihrem Stammesbruder und zogen ihn zu sich her.
»Versuche nicht, deine Tiere zu rufen, Tibor!«, rief einer der Krieger mit erregter Stimme. »Wir müssten dich sonst töten!«
Tibor sah sich mit einem schnellen Blick nach seinen Freunden um. Erleichtert stellte er fest, dass Kerak den Sturz wie die beiden Äffchen, die auf seinen Schultern saßen, anscheinend unbeschadet überstanden hatte.
Er blickte nach oben. »Was wollt ihr von mir? Wer seid ihr?« Es fiel ihm schwer, seinen Ärger zu unterdrücken. Wobei er nicht sagen konnte, ob er wütend auf die Eingeborenen war, die ihm die Falle gestellt hatten, oder auf sich selbst, dass er so unbedacht vorgegangen war.
»Wir gehören zum Stamm der O’gogos«, antwortete der Eingeborene. »Wir haben schon viel von dir gehört.«
»Ja, und immer nur Gutes!«, ergänzte ein anderer. »Wir brauchen deine Hilfe!«
Tibor musste an sich halten, um nicht aufzulachen. »Ich muss schon sagen, ihr habt eine seltsame Art, um Hilfe zu rufen …«
»Verzeih uns, mächtiger Tibor«, antwortete der Krieger. In seiner Stimme klang eine Unsicherheit mit, als sei ihm selbst nicht recht, was sie getan hatten. »Aber wir wollten dir zeigen, dass wir entschlossen sind, dich zu töten, wenn du unsere Bitte ablehnst.«
Wie um die Worte zu unterstreichen, richteten sich mehrere Speere auf ihn.
Tibor atmete tief durch. »Ihr seid deutlich …«, entgegnete er. Seine Gesichtszüge verhärteten sich. »Was also soll ich für euch tun?«
Der Eingeborene senkte den Kopf und zögerte mit der Antwort. »Wir wissen, dass du verborgene Stellen im Dschungel kennst, an denen viele Diamanten zu finden sind. Wir brauchen viele davon, und zwar schnell!«, eröffnete er schließlich.
Tibor runzelte die Stirn. »Wozu wollt ihr die Edelsteine haben?«
»Darauf dürfen wir dir keine Antwort geben«, erwiderte ein anderer, der ebenfalls zögerte. »Wenn du zusagst, ist es gut. Ansonsten … sprechen unsere Speere das letzte Wort!«
»Wie lautet also deine Antwort?«, fragte ein weiterer, dessen Stimme angespannt klang.
Tibor wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb. Die Speerspitzen machten deutlich, dass die Eingeborenen ihre Drohung wahrmachen würden. Und er war nicht bereit, das Leben von Kerak, Pip oder Pop zu gefährden.
»Ich muss schon sagen …«, schallte seine Stimme aus der Grube. »Ihr bittet mich, euch zu helfen, und stellt mir eine derart niederträchtige Falle! Ihr habt vorgetäuscht, ein Mensch befände sich in höchster Lebensgefahr …«
»Wir wussten uns keinen anderen Rat«, unterbrach ihn der Eingeborene, der der Anführer der Gruppe zu sein schien. »Und wenn man unser Verhalten im rechten Licht betrachtet … nicht nur einer von uns befindet sich in Lebensgefahr.« Er unterbrach sich, bevor er weitersprach. »Unser gesamter Stamm ist verloren, wenn du uns nicht hilfst!«
»Wir haben schon zu viel geredet«, fiel ihm ein anderer ins Wort. »Verschaffst du uns die Diamanten oder nicht?«, richtete er sich mit hastiger Stimme an den Sohn des Dschungels. »Wenn du ablehnst, töten wir dich auf der Stelle«, drohte er noch einmal.
Tibor bedachte ihn mit einem unbeeindruckten Blick.
»Ihr wisst, dass dann keiner von euch den Dschungel lebend verlassen wird. Meine Tiere kennen keine Gnade, wenn mir etwas zustößt!«
»Das wissen wir! Aber … wenn du ablehnst, sind wir ohnehin des Todes!«
Tibor erkannte die Verzweiflung der Eingeborenen, die ihnen offen ins Gesicht geschrieben stand. Aber er sah auch deren Entschlossenheit.
»Ihr lasst mir keine andere Wahl. Einverstanden, ich hole die Diamanten«, entgegnete er. Er streckte den Arm in die Höhe. »Helft uns aus der Grube!«
Ein Seil wurde herabgelassen, und Tibor griff danach.
»Nur dir!«, machte der Krieger klar. »Der Gorilla und die beiden Äffchen bleiben unten! Wir wissen, wie sehr du an deinen Freunden hängst. Sie bleiben so lange unter der Bedrohung unserer Speere, bis du uns die Diamanten übergeben hast!«
Tibor antwortete nichts darauf, sondern ließ sich nur stumm von den Eingeborenen aus der Grube helfen. Er zog sich über den Rand und erhob sich, umgeben von Speerspitzen, die auf ihn gerichtet waren.
»He, was wird aus uns?«, rief ihm Kerak aus der Grube zu, der die Unterhaltung der Menschen mitverfolgt hatte, ohne deren Sinn zu verstehen. Auch Pip und Pop reckten ihm ihre kleinen Arme entgegen.
»Ihr müsst leider in der Grube bleiben, bis ich zurückkomme«, konnte Tibor mit gutturalen Lauten nur antworten, bevor ihn die Krieger mit sich zogen. Er verfolgte, wie sie sich tuschelnd unterhielten, und dann lösten sich zwei aus der Gruppe.
»Wir begleiten dich«, erklärte einer von ihnen, während der andere seinen Speer stoßbereit hielt. Tibor sah nur kurz auf die Klinge und richtete seine Augen kühl auf das angespannte Gesicht des Kriegers.
»Wie ihr wollt«, antwortete er und ging los. Die beiden Krieger beeilten sich, dicht hinter ihm zu bleiben. Binnen einer Minute waren sie so tief in den Dschungel eingetaucht, dass von den übrigen Männern auf der Lichtung nichts mehr zu sehen war.
»Alleine käme ich schneller voran …«, meinte er zu seinen Bewachern und blieb kurz stehen.
»Das spielt keine Rolle. Wenn wir bei dir sind, kannst du uns nicht überlisten«, antwortete einer der beiden und wies Tibor mit seinem Speer an, weiterzugehen.
»Ich habe versprochen, euch die Diamanten zu geben – und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch«, antwortete der Sohn des Dschungels.
»Gilt das auch für ein Versprechen, das dir abgezwungen wurde?«, meinte der Krieger.
Tibor verzog die Lippen. »Ihr seid wirklich zu misstrauisch. Aber ich gebe zu, dass ich euch lieber helfen würde, wenn ihr mich darum gebeten hättet. Andererseits …«, dieser Gedanke beschäftigte ihn schon die ganze Zeit, »… müsst ihr in großer Bedrängnis sein, sonst hättet ihr diesen Gewaltstreich nicht gewagt.« Er blickte die Eingeborenen über die Schulter an. »Wollt ihr mir nicht doch sagen, wozu ihr die Diamanten so dringend haben müsst?«, hoffte er, die Männer zum Einlenken bewegen zu können.
»Nein!«
»Das dürfen wir nicht!«, kam die gepresste Antwort.
»Vertraut euch mir an!«, beharrte Tibor. »Ich meine es wirklich ehrlich mit euch.«
Einer der Männer senkte den Kopf, sah ihn dann aber wieder entschlossen an. »Das mag sein … aber wir verlassen uns doch lieber auf unsere Speere.«
»Wenn ihr euch darauf verlasst, seid ihr verlassen …«, antwortete Tibor düster.
»Wie … wie meinst du das?«, fragte der zweite Eingeborene. Er sah sich hastig um, als rechne er mit einem Angriff aus dem Unterholz, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Blitzschnell ließ sich Tibor nach hinten fallen. Er machte eine Rolle rückwärts über das Gras, noch bevor die Eingeborenen reagieren konnten, und stieß die Beine in die Höhe. Seine Füße trafen die Hände der O’gogos. Schmerzerfüllt schrien die Männer auf, stolperten zu Boden und ließen die Speere fallen.
Tibor wusste, dass er keine Sekunde verlieren durfte. Schon griff einer seiner Bewacher nach dem Speer im Gras, als ihn Tibor zurückstieß.
»Nicht doch … die beiden Speere nehme ich an mich!« Er packte die Waffen und hielt sie mit ausgestreckten Armen von sich. »Zurück!«, forderte er die Eingeborenen auf, die sich wieder erheben wollten, und schlug ihnen den Speerschaft gegen die Brust. Benommen sackten die Männer ins Gras.
»Ihr armen Narren!« Tibor schüttelte den Kopf. »Habt ihr geglaubt, mich in meinem Dschungel unter Druck setzen zu können?«