Manipuliert. Teri Terry

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Manipuliert - Teri Terry


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man aus dem Land rauswill. Freiwillig kommt keiner her.

      Nachdem wir angelegt haben, scheint Bobby das Boot gar nicht verlassen zu wollen. Er verschwindet unter Deck, nach einer Weile gehe ich hinterher. Bobby ist in der Kabine, berührt alles, nimmt jedes Ding in die Hand und stellt es wieder weg.

      Als er mich bemerkt, dreht er sich um. »Wünschte, ich hätte das alles hier verbrannt«, murmelt er.

      »Dann wären wir jetzt nicht hier.«

      Schaudernd atmet er ein. »Nein. Und deshalb muss ich weitermachen.« Er öffnet eine Schublade, nimmt ein Schlüsselbund heraus und deutet zur Leiter. »Dann mal los.«

      Bobby klettert von Bord und wir laufen über den Pier zum Hafen. Er schaut nicht zurück. Außer den Wellen und ein paar Möwen ist alles ruhig. Nirgends Leute zu sehen.

      Hinter dem Anleger steuern wir einen Parkplatz an. »Der da.« Bobby zeigt auf einen Geländewagen und drückt auf seinen Schlüssel. Die Scheinwerfer leuchten auf und es piept. Als Bobby den Motor anwirft, sagt er kopfschüttelnd: »Kommt mir so seltsam vor, dass der Wagen noch da ist. Dass ich mich einfach reinsetzen und losfahren kann.«

      »Wann hast du ihn denn hier abgestellt?«

      »Ich habe den Überblick verloren. Vor ein paar Tagen vielleicht. Vor einem ganzen Leben, vor vier Leben. Innerhalb einer Minute vorbei.«

      Ich sage nichts. Darauf kann man nichts sagen.

      Wir fahren über eine verlassene Straße, außer uns ist hier niemand. Hin und wieder steht ein herrenloser Wagen auf der Straße und Bobby muss ausweichen. Die Ampeln sind tot. Ist der Strom ausgefallen? Wohin wir auch schauen, alles dunkel, still.

      Als wir an eine Kreuzung kommen, will Bobby links abbiegen, doch dann hält er auf einmal an, überlegt, setzt schließlich ein Stück zurück und fährt rechts herum. »Ich habe es mir anders überlegt«, meint er. »Wir fahren in den Pub.«

      »In den Pub?«

      »Heute ist Totenwache. Morgen kommt früh genug.«

      Er parkt vor einem alten Landgasthof. Draußen ist es kalt und finster. Die Sonne ist fast untergegangen. Wir steigen aus dem Wagen und gehen zur Eingangstür. Sie ist verschlossen. Ich linse durchs Fenster, doch in dem Schummerlicht sehe ich nichts.

      Bobby hebt einen Stein vom Boden auf, der wohl an schönen Tagen dazu diente, die Tür aufzuhalten. Achselzuckend klopft er an die Tür. »Gehört sich so, vorher anzuklopfen«, sagt er und schmeißt dann das Fenster ein.

      Ich helfe ihm, die Scheibe einzutreten, dann steigen wir ein. Drinnen ist es noch dunkler als draußen, wir warten, bis sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben.

      »Hier gibt es Teelichter. Die haben sie immer zum Abendessen angezündet.« Bobby tastet sich zu den Tischen durch, wir sammeln ein paar Kerzen zusammen und finden Streichhölzer in einer Schublade hinter dem Tresen. Bobby zündet ein Streichholz an. Ich sehe, dass die zarte Flamme flackert, weil er so zittert. Schließlich führe ich seine Hand zur Kerze und der Docht fängt Feuer.

      »Setz dich.« Ich drücke Bobby auf einen Barhocker und gehe hinter die Bar. »Was darf es denn sein?«

      Bei ein paar Bieren erzählt Bobby mir ihre Geschichte. Seine Stimme und auch seine Hände zittern kaum noch, als er insgesamt vier Kerzen entzündet. Eine für Sally, die er hier im Pub vor zwölf Jahren kennengelernt hat und die sein Leben für immer verändert hat. Eine für die älteste Tochter Erin, die wie ihre Mutter eine Tagträumerin war. Eine für Maddy, deren Mund nie stillstand und die für ihr Leben gern herumgerannt ist. Und eine für Jackson, der noch so klein war, dass sie ihn erst gerade kennenlernten.

      Und mir ist es ein Rätsel, wie er das schafft. Wie kann er nur so ruhig dasitzen? Warum brüllt er nicht vor Zorn? Am liebsten würde ich ihn schütteln, damit er die Wut in sich entdeckt, die ihm die Kraft gibt weiterzumachen.

      So wie mir.

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      Kai schläft schlecht. Muss ein Traum sein, aber kein guter. Er wälzt sich herum und zuckt. Warum kann ich ihn bloß nicht wecken!

      Wenn ich schlafen könnte, was würde ich wohl träumen? Hhmm. Schlimmer als das Hier und Jetzt können Albträume auch nicht sein.

      Ich verlasse Kai, verlasse Bobbys Haus. Noch sehe ich die Sonne nicht, doch der Himmel wird schon heller.

      Laut den Schildern sind wir hier in St. Andrews. Bobbys Haus ist gewaltig und ein zweites Auto, ein roter Sportwagen, gehört auch noch dazu und nicht zu vergessen das Segelboot. Bobby hatte lauter schöne Dinge und eine passende Familie und Ferien. Glückliche Gesichter lachen einem von den gerahmten Fotos an der Wand entgegen – in Badezeug am Sandstrand, in Skianzügen im Schnee.

      Der Krankheit ist es egal, wer du bist. Reich, arm, jung, alt, geliebt, verhasst, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast, kümmert sie nicht.

      Die komplette Stadt ist dunkel und leer. Kein Strom, kein Laut – keine Menschenlaute. Man hört Vögel, die Brandung und hin und wieder das Gebell streunender Hunde, mehr nicht.

      Die einzigen Menschen, die noch hier sind, sind still, tot.

      Meistens sind sie zu Hause, im Bett oder auf dem Sofa, zusammen oder allein. Manche sind schon länger tot als andere. Niemand kommt sie abholen und bringt sie zum Scheiterhaufen. Sie verrotten einfach dort, wo sie gestorben sind.

      Bloß für die vielen Häuser hier sind es eigentlich recht wenig Leute. Konnten manche fliehen?

      Und wo sind die Immunen wie Kai und Bobby? Neugierig wage ich mich näher an die Menschen heran, aber keiner rührt sich. In einer so großen Ortschaft sollte es doch ein paar Menschen geben, die immun sind, fünf Prozent, war es nicht so, haben sie das nicht in Newcastle gesagt?

      Wo sind die alle nur hin?

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      Ich renne. So schnell ich kann, aber ich bin nie schnell genug. Unentwegt höre ich Shay: Sie ruft, ich soll ihr helfen. Ihre Stimme ist in mir, außerhalb von mir, kommt aus allen Richtungen. Der Schmerz und die Angst zerreißen mir das Herz, nur mit Mühe kann ich meinen Schrei unterdrücken.

      Doch das ist nicht mal das Schlimmste.

      Ich renne nicht auf Shay zu, ich renne vor ihr weg.

      Ich stoße die schweißnassen Laken von mir. Die Vorhänge sind auf und die Sonne scheint durchs Fenster, ihre Strahlen haben mich wohl geweckt, zum Glück.

      Mein Herz schlägt wie wild, und ich bin so erschöpft, als wäre ich wirklich die ganze Nacht gerannt. Ich setze mich auf, stelle mich ans Fenster und starre hinaus.

      Der Traum lässt mich nicht los. Noch immer höre ich Shays Stimme, als wäre sie hier in meinem Kopf und würde mich um Hilfe anbetteln. Und ich fühle mich schlecht. Dabei ist sie doch gegangen. Sie hat mich ausgetrickst und zurückgelassen. Ich wollte nicht, dass sie sich ausliefert.

      Aber es war meine Aufgabe, sie zu beschützen, und das habe ich nicht getan. Ich habe das Gefühl, sie trotz allem im Stich gelassen zu haben, so wie im Traum, wo ich weggerannt bin.

      Wo ist Shay? In mir steigt Panik auf. Callie konnte ich nicht mehr helfen. Ich muss Shay finden, bevor ich wieder zu spät bin.

      Unten höre ich was. Bobby muss aufgestanden sein. Gestern Abend bin ich hierher gefahren, habe ihm ins Haus geholfen. Nach oben wollte er nicht, nachdem er mir gesagt hat, wo das Gästezimmer ist, hat er sich aufs Sofa gehauen.

      Ich gehe nach unten. Bobby macht sich gerade in der Garage zu schaffen, holt einen Karton vom Regal.

      Er schaut mich kurz an und öffnet die Kiste.

      »Gut geschlafen, mein Junge?«

      »Nicht so toll.«


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