Manipuliert. Teri Terry
Читать онлайн книгу.doch um Krebs, keine Ahnung. Jedenfalls ist dieser Wirkstoff nach draußen gelangt und tötet jetzt Menschen und …«
»Kai, ich kenne die Theorie. So ein Quatsch würde doch nie im Leben funktionieren, und selbst wenn, würde es garantiert nicht vertuscht werden. Das glaube ich einfach nicht. Die klügsten Köpfe der Welt sind an der Sache dran, überlass es denen.«
»Die täuschen sich. Du täuschst dich. Glaub doch nicht immer alles, was man dir sagt, verdammt!«
»Selbst wenn sie Shay irgendwohin gebracht haben, was hast du davon, wenn du es weißt? Ihr könnt nicht zusammen sein, Kai. Sie ist Trägerin. Komm nach Hause.«
Kurze Stille, ich habe das Gefühl, keiner von uns spricht aus, was er wirklich denkt.
»Ich melde mich wieder«, sage ich schließlich.
»Bitte komm nach Hause. Ich besorge dir einen guten Anwalt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die wollen hier, dass ich weiterarbeite. Um dich würden sie sich auch kümmern.«
Ich reibe mir die Hand. »Hast du auch ein Immunitätstattoo?«, frage ich.
Zögernd antwortet sie: »Ja.«
Die geschickten Hände meiner Mum, so entstellt wie meine.
Auf der Treppe sind Schritte zu hören. Ich lege auf und sause mit Bobbys Tablet zu einem Stuhl. Ein Typ und ein Mädchen kommen rein, nicken mir kurz zu und verschwinden in ihrem Zimmer.
Das war knapp, aber ich denke nicht, dass sie mitgekriegt haben, dass ich telefoniert habe. Jedenfalls haben sie sich nichts anmerken lassen.
Mum glaubt also weder mir noch Iona. Das heißt, dass die Ursache der Epidemie noch nicht durch die Regierungskanäle gedrungen ist. Ein richtig schlechtes Zeichen. Mum würde mich nicht anlügen, vielleicht ausweichend antworten, aber nicht nach Strich und Faden belügen.
Sie lassen also nicht nur die breite Masse im Unklaren, sondern auch die Wissenschaftler und Ärzte, die doch versuchen, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Wie soll das gehen, wenn ihnen die Fakten fehlen?
Oder die laufen mit Scheuklappen herum, genau wie Mum, die nicht mal ihrem eigenen Sohn glaubt!
Unten läutet es zum Abendbrot, bloß nachdem ich vorhin im Café gegessen habe, bin ich nicht hungrig. Ich gehe noch eine weitere Treppe nach oben. Vom Flur gelangt man durch eine Tür auf einen Balkon. Ich setze mich auf einen Metallstuhl, über mir die Sterne, fische den Code heraus, den ich mir vorhin aufgeschrieben habe, und teste, ob das WLAN-Netz hier draußen auch funktioniert. Tut es.
Wenn Iona schon nicht herausgefunden hat, wo sie Überleben de hinbringen, dann habe ich sicher erst recht keine Chance. Aber ich muss es wenigstens versuchen.
Ich gebe »Royal Airforce Stützpunkte« ein und gehe als Erstes auf die offizielle Regierungsseite. Da erscheint eine ellenlange Liste. Die sind praktisch überall stationiert. Nur die geheimen Orte würden sie sicher nicht aufführen, ist ja klar. Es sei denn, sie verbergen es hinter etwas anderem.
Als Nächstes suche ich nach »geheime Royal Airforce Stützpunkte«. Lauter Seiten mit Unsinn tauchen auf, paranoides Gelaber von seltsamen Leuten. Das ist ja eher Ionas Terrain, wenn sie nicht fündig geworden ist, habe ich erst recht keine Chance.
Am Ende gebe ich noch einen Suchbefehl ein, den ich mir bis zuletzt aufgespart habe, weil ich vor dem Ergebnis Angst habe: »Aberdeen-Grippe Überlebende«.
Kaum interessante Treffer.
Es gibt eine Seite der Regierung, auf der man Leute melden kann, die man verdächtigt, Überlebende zu sein. Man soll sich ihnen ja nicht nähern, weil sie angeblich gefährlich sind.
Shay und gefährlich? Ihre Augen, wenn sie einen so interessiert anschaut. Ihr tiefes kehliges Lachen – sie hat keine Ahnung, wie sexy das ist. Shay ist so zart und filigran und gleichzeitig so stark; sanft und aufregend. Wie kann sie gefährlich sein? Dennoch weiß ich auch, wozu sie fähig ist. Mit dem Soldaten, der sie erschießen wollte, hat sie irgendwas angestellt, dass er auf der Stelle zusammengebrochen ist, als hätte er einen Herzinfarkt. Sie ist vielleicht gefährlich, aber nur für jemanden, der sie umbringen will.
Doch davon ist ja gar nicht die Rede, es geht denen ja darum, dass Überlebende die Krankheit verbreiten. Oder ist das nur die halbe Wahrheit? Vielleicht haben sie im Grunde Angst vor den anderen Dingen, zu denen Überlebende in der Lage sind.
Ich seufze. In einem Punkt hat Mum recht, selbst wenn ich Shay finde, bringt es mir nichts. Sie dürfte niemals dort draußen leben. Menschen würden sterben.
Trotzdem muss ich sie finden.
Ich muss wenigstens wissen, dass es ihr gut geht. Alles andere will ich mir nicht vorstellen. Auch wenn sie mich reingelegt hat, richtig übel reingelegt – ich meine, sie ist mit mir ins Bett gestiegen, nur um dann zu verschwinden. In mir kocht wieder diese Wut hoch, diese unbändige Enttäuschung, und gleichzeitig kann ich nicht anders: Ich muss an ihre Küsse denken, ihre Hände in meinem Haar, mir schießt das Blut …
Stopp. Konzentrier dich.
Ich scrolle durch die Trefferliste. Auf einer Webseite kann man melden, wenn man Überlebende gesichtet hat; eine enthält eine Liste von bekannten Überlebenden. Eine besonders gut organisierte Gruppe, die sich Wachposten nennt, bittet um Hinweise. Offenbar kann hier jeder jeden beschuldigen und schon geht die Hetzjagd los. Als ich einen Bericht auf einer Nachrichtenseite lese, wird mir ganz anders: Dort ist von einem vermeintlichen Überlebenden die Rede, der in eine Scheune getrieben wurde, die dann verrammelt und in Brand gesteckt wurde.
Das Thema Überlebende löst gleich eine Massenhysterie aus, vor allem der Ton ist verstörend. Als würden Menschen, die diese schlimme Krankheit überlebt haben, andere absichtlich krank machen. Als wären es böse Dämonen. Oder Hexen.
Unbehagen und Widerwillen machen sich in mir breit, je mehr ich lese, aber trotzdem kämpfe ich mich durch die Seiten. Vielleicht gibt es doch einen, wenn auch noch so kleinen, Hinweis darauf, wohin Shay verschleppt worden sein könnte.
Als ich ungefähr die halbe Trefferliste durchgeklickt habe, stoße ich auf den Link zu einer Videoplattform. Ein Kanal nennt sich: Alles Lügen.
Zögernd klicke ich drauf.
Erst ist alles ganz wacklig und verschwommen, eine Hand streckt sich ins Bild und es wird klar.
»Ihr müsst mir zuhören.« Eine verzweifelte, stahlharte Stimme, die so gar nicht zu der Sprecherin mit ihren fast weißblonden Haaren und der hellen Haut passt. Sie sieht skandinavisch aus, vielleicht dänisch, unglaublich gesund und hübsch, dabei hat sie einen Londoner Akzent.
»Überlebende sind keine Träger. Sie lügen, alle lügen. Hört auf, ihren Lügen zu glauben. Ich bin eine Überlebende. Ich bin in Nordengland erkrankt, aber nicht gestorben. Ich bin seit ein paar Wochen wieder in London, bin mit unzähligen Menschen zusammengekommen, die unmöglich alle immun sein können. Und keiner hat sich bei mir angesteckt. Nicht einer. Alles Lügen. Glaubt den Lügen nicht.«
Nachdem ich eine Weile zugesehen habe, wie Kai Sachen im Internet liest, ist mir schon bald langweilig, und ich wandere durchs Hostel, dann gehe ich ein Stück die Straße entlang spazieren.
Jetzt am frühen Abend ist alles ruhig. Die meisten Läden sind zu, nur ein alter, abgeranzter Pub hat geöffnet und ein Tante-Emma-Laden. Im Pub sitzen die Leute und trinken; im Laden kaufen sie Krimskrams. Und nirgends trägt jemand einen Schutzanzug.
Ich versuche, daran zu denken, niemandem zu nahe zu kommen.
Ein paar Häuser vom Hostel entfernt halten zwei schwarze Lieferwagen. Darin sind lauter Uniformierte, zwar tragen sie eigentlich nur unscheinbare schwarze Kleidung, aber daran, wie sie sich bewegen und miteinander reden, sehe ich gleich, dass es Soldaten sind. Sie steigen aus.
Und dann marschieren sie zum Hostel.