Manipuliert. Teri Terry

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Manipuliert - Teri Terry


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Größe habe ich wohl in etwa richtig eingeschätzt.« Die Soldatin zeigt mir, wie ich in den Anzug komme. Als er sich über meinem Kopf schließt, sträubt sich alles in mir. Der Helm rastet ein und verschließt sich automatisch. Die Frau erklärt mir, wie der Anzug zu bedienen ist und wie man darin atmet. Die gefilterte Luft schmeckt fade, nicht nach Insel.

      Gemeinsam laufen wir den Hügel hinab. Ich komme mir tollpatschig vor, als wäre der Boden unter meinen Füßen meilenweit weg.

      Als wäre ich für immer und für alle Zeit von der Erde getrennt.

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      Als Kai bei meiner Rückkehr nicht im Haus ist, gerate ich in Panik. Hat er sich aus dem Staub gemacht, während ich nach Shay gesucht habe? Haben sie mich beide im Stich gelassen?

      Aber nach kurzer Zeit entdecke ich ihn hinterm Haus. Er blickt von der Klippe hinunter aufs Meer. Mit verschränkten Armen steht er wie versteinert da. Er schaut nach unten, wo sich die Wellen an den Felsen brechen, als wollte er ihnen Gesellschaft leisten.

      Ich habe Angst.

      Lass mich nicht auch noch allein, Kai. Ich brauche dich. Ich murmele die Worte, auch wenn er mich natürlich nicht hören kann. Das konnte nur Shay und die ist jetzt weg.

      Schützend stelle ich mich vor Kai an den Rand der Klippe. Wenn ich versuche, mich an ihn zu kuscheln, spüre ich wie immer nur diesen Widerstand. Ob nun Mensch, Fels oder Tür, für mich fühlt sich alles gleich an. Ich schaue Kai in die Augen. Hellbraun sind sie, in der Sonne fast grün, und sie blitzen vor Zorn und Schmerz. Er ist mein Bruder und ich kann nichts für ihn tun. Nichts, was ihn davon abhalten würde, sich von der Klippe zu stürzen. Klar könnte ich mit ihm in die Tiefe fliegen, zusehen, wie er auf die Felsen schlägt und zerschellt, blutet und stirbt, aber ich würde einfach weiterleben. Stirbt sich nicht so leicht, wenn man schon tot ist.

      Und trotzdem leide ich. Shay hat uns beide im Stich gelassen. Das würde ich Kai gerne sagen. Vor lauter Wut, dass mich keiner mehr sieht und hört, heule ich auf und drohe dem Meer mit der Faust.

      Kai sieht mich verwundert an. Hat er mich gehört?

      Als ich die Laboranten im unterirdischen Labor angeschrien habe, weil sie meine Asche weggesaugt haben, sind sie auch zusammengezuckt. Später hat dann einer von ihnen das Lied gepfiffen, das ich gesungen habe. Ob Kai mich auch hört?

      Kai! Hier bin ich! Ich brülle, so laut ich kann.

      Kai runzelt die Stirn und wendet sich kopfschüttelnd ab, geht zurück ins Haus.

      Vielleicht spürt er mich, wenigstens ein klein wenig, aber er glaubt nicht dran. Zumindest habe ich ihn in seinen Gedanken unterbrochen, als er aufs Meer und die Felsen gestarrt hat. Im Haus tigert er auf und ab. Aus der Hosentasche zieht er einen völlig zerknitterten Brief, der aussieht, als hätte er ihn schon tausendmal zerknüllt und wieder glatt gestrichen. Kai schaut auf das Blatt Papier, aber seine Bewegungen sind zu schnell, als dass ich mitlesen könnte. Dann steckt er den Brief wieder ein und lässt sich auf die Couch fallen.

      »Callie, bist du da?«

      Hier bin ich! Hier bin ich! Kaum höre ich seine Stimme, kaum sagt er Callie, möchte ich weinen.

      »Shay ist fort. Und sie hat dich nicht mitgenommen, weil du lieber bei mir bleiben wolltest. Dass ich mit dir reden soll, hat sie gemeint.« Kai schlingt die Arme um sich, als wollte er etwas festhalten.

      »Sie geht zum Stützpunkt der Royal Airforce und liefert sich aus. Sie will denen sagen, dass sie Trägerin ist und dass die Epidemie hier auf den Shetlandinseln begonnen hat. Falls … falls das schiefgeht, sollen wir ihr lieber nicht folgen. Wir sollen die Insel verlassen, zurück aufs Festland. Und allen erzählen, was wir über die Krankheit wissen. Nicht zulassen, dass alles vertuscht wird. Ich soll dir sagen, dass es ihr leidtut.« Kai klingt verbittert. »Als ob es das besser machen würde!« Wütend schießt er hoch, doch im nächsten Moment sackt er wieder in sich zusammen. »Shay, wie konntest du mir das antun?«, raunt er. Ich sehe, dass er gegen seine Gefühle ankämpft, sie niederdrücken will, aber seine Schultern zucken.

      Und … und … dann weint er. Mein großer Bruder Kai weint?

      Das ist schräg. Mir dreht sich der Magen um, ich möchte mitweinen, aber ich habe keine Tränen mehr. Und ein noch viel schlimmeres Gefühl macht sich in mir breit.

      Ist es nicht meine Schuld?

      Es ist meine Schuld, dass Shay gegangen ist. Denn sie hält sich für ansteckend und glaubt, dass alle, auch ihre Mutter, ihretwegen krank geworden und gestorben sind. Ich habe sie in dem Glauben gelassen. Ich habe ihr nicht die Wahrheit gesagt.

      Ich habe verschwiegen, dass eigentlich ich die Trägerin bin. Ihr ist das nicht in den Sinn gekommen, weil ich ja tot bin. Wer hat schon mal von einem ansteckenden Geist gehört? Aber in allen Epidemiezentren, angefangen bei den Shetlandinseln über Aberdeen, Edinburgh und Newcastle, bin ich gewesen. Die Epidemie brach immer kurz nach meinem Eintreffen aus, also muss es an mir liegen. Als Shay später krank geworden ist, konnte sie mich sehen und hören. Außer den Sterbenden ist Shay damit die Einzige. Anschließend folgte ihr die Krankheit auf Schritt und Tritt, aber bloß, weil ich immer dabei war. In Aberdeen und Newcastle ist Shay nie gewesen. Ihrer Erklärung nach muss es dort andere Überlebende gegeben haben, aber ich habe dort niemanden getroffen.

      Hätte ich ihr doch bloß die Wahrheit gesagt, dann hätte sie uns nie verlassen, aber … Nein! Ich kann nichts dafür. Für gar nichts. Dr. 1, der ist schuld. Der hat mir das angetan. Er hat mich im unterirdischen Labor mit der Krankheit infiziert. Als ich sie überlebt habe, hat er mich im Feuer geheilt und mich in das verwandelt, was ich jetzt bin.

      Alles seine Schuld.

      Ich habe Kai und Shay nur auf die Insel gelotst, um an Dr. 1 ranzukommen. Das war von Anfang an mein Plan.

      Aber ich wollte Shay nie verlieren, ich wollte mit ihr mitgehen, sodass ich dabei bin, wenn Dr. 1 gefunden wird. Deshalb habe ich ihr verschwiegen, dass ich die Trägerin bin, sonst hätte sie ja keinen Grund gehabt, sich an die Soldaten zu wenden.

      Doch nun ist sie ohne mich gegangen.

      Warum? Warum hat sie mich nicht mitgenommen?

      Kai weint immer noch. In mir wächst die Wut wie ein Feuerball – eine Wut, die imstande ist, die Welt zu verschlingen.

      Dr. 1 soll für alles büßen.

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      Bevor ich den Anzug endlich wieder ablegen darf, sperrt man mich in eine hermetisch abgeriegelte Kammer. Das Gefühl von Enge bleibt, auch hier kann ich nicht richtig durchatmen. Eine Wand besteht aus Glas, sehr dickem Glas.

      Auf der anderen Seite der Glaswand steht Dr. Morgan mit zwei Männern, nicht denen von vorhin, sondern älteren. Alle drei tragen Uniformen. Von ihrer Unterhaltung verstehe ich nichts.

      Ich klopfe an die Scheibe. Erst reden sie noch weiter, doch dann greift Dr. Morgan nach einer Fernbedienung und ich höre sie auf einmal laut und deutlich.

      »Hallo, Shay. Tut mir leid wegen der Trennwand. Fühlst du dich wohler ohne diesen Anzug?«

      Ich zucke mit den Achseln. »Ja, schon.«

      Dr. Morgan lächelt, aber es wirkt befangen.

      »Also, Shay, wir haben ein paar Informationen über dich eingeholt.« In den Händen hält sie ein Tablet. »Du wirst in einem Mordfall gesucht. Und hier steht auch, dass du als immun registriert bist.«

      »Ich habe niemanden umgebracht!« In dem Moment wird mir klar, dass das ja nicht stimmt. Sind meinetwegen nicht viele, sehr viele Menschen gestorben? Seufzend verschränke ich die Arme vor der Brust. »Ich habe den Jungen nicht erschossen, wollte ich damit sagen.«

      Dr. Morgan nickt. Sie hat ihre Gesichtszüge sorgsam


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