Big Ideas. Das Geschichts-Buch. Филип Уилкинсон

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Big Ideas. Das Geschichts-Buch - Филип Уилкинсон


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berücksichtigte dabei auch allerlei Mythen, doch Thukydides’ Darstellung des Peloponnesischen Krieges und seiner Vorgeschichte kommt den wichtigsten Kriterien moderner Geschichtsschreibung schon recht nahe. Er stützt sich auf Augenzeugenberichte über den Konflikt und führt die Ereignisse auf menschliches Handeln statt auf das Eingreifen von Göttern zurück.

      Thukydides’ Form der Geschichtsdarstellung sollte lange Bestand haben: die detaillierte Schilderung von Kriegen und politischen Konflikten, Diplomatie und Entscheidungen. Der Aufstieg Roms zur zentralen Macht im Mittelmeerraum führte Historiker zu der Fragestellung, »wie wir wurden, was wir sind«. Der griechische Historiker Polybios (200–118 v. Chr.) und sein römischer Kollege Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) verfassten Werke über den Aufstieg Roms, die helfen sollten, die Ereignisse als langfristige Entwicklungen zu verstehen. Auch wenn sie sich auf Rom beschränkten, lag darin der Anfang einer »Universalgeschichte«, die den Versuch unternimmt, den Fortschritt aus frühesten Anfängen bis in die Gegenwart als Geschichte zu beschreiben und so der Vergangenheit eine Richtung zu geben.

      Etwa zeitgleich zeichnete in China der Historiker Sima Qian (um 145–86 v. Chr.) die jahrtausendealte chinesische Geschichte auf – vom legendären Gelben Kaiser (um 2697 v. Chr.) bis zur Han-Dynastie unter Kaiser Wu (um 109 v. Chr.).

       Lehren aus der Geschichte

      Antike Historiker interpretierten die Ereignisse mithilfe ihrer Erzählweise und etablierten die Ansicht, Geschichte sei eine Quelle von Morallehren und Lebenserfahrungen. Die Werke eines Livius oder Tacitus (56 – um 120 n. Chr.) sollten das Verhalten der Helden und Bösewichte untersuchen, über Stärken und Schwächen der Charaktere von Herrschern und Heerführern Aufschluss geben und so Beispiele zur Nachahmung oder Vermeidung liefern. Diese Auffassung von Geschichte blieb lange bestehen. Der französische Chronist Jean Froissart (1337–1405) schrieb über Ritter und ihre Kämpfe im Hundertjährigen Krieg, »damit mutige Männer ihrem Beispiel folgen«. Bücher über Lincoln, Churchill, Gandhi oder Martin Luther King jr. haben heute dieselbe Funktion.

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       Mittelalter

      Der Aufstieg des Christentums im 4. Jh. führte zu einem veränderten Konzept von Geschichte. Christen führten zwar antike Traditionen fort, sahen aber in historischen Ereignissen auch die Resultate göttlichen Wirkens. So standen Berichte, die explizit im Stile eines Thukydides verfasst wurden, neben Heiligen- und Wundergeschichten, für die die religiöse Aussage zählte. Am byzantinischen Hof wurden historische Werke nach antikem Vorbild verfasst. Im westlichen Europa entwickelte sich seit Karl dem Großen eine mittelalterliche Geschichtsschreibung. Die muslimische Welt übernahm viele griechische Ansätze; der arabische Historiker Ibn Chaldun (1332–1406) wandte sich gegen die blinde, unkritische Übernahme fantasiereicher Erzählungen von Ereignissen, die sich nicht beweisen ließen. Doch weder christliche noch muslimische Historiker lieferten so umfangreiche Werke wie die chinesische Chronik von 1085 aus der Song-Dynastie: In 294 Bänden wurde darin die chinesische Geschichte von beinahe 1400 Jahren erzählt.

       Renaissance

      Ohne die Errungenschaften anderer Zivilisationen und ihrer Geschichtstraditionen zu schmälern, lässt sich festhalten, dass Westeuropa die moderne Geschichtsschreibung hervorbrachte. Die Renaissance, die im 15. Jh. in Italien ihren Anfang nahm und sich bis zum Ende des 16. Jh. über ganz Europa verbreitete, drehte sich um die Wiederentdeckung der Vergangenheit. Ihre Denker fanden in der klassischen Antike eine Quelle der Inspiration – und zwar in Architektur und Philosophie ebenso wie in politischen und militärtaktischen Fragen. Die humanistischen Gelehrten der Renaissance erklärten die Geschichte zum Hauptfach des neuen Bildungscurriculums, und der Antiquar, der in antiken Ruinen nach alten Münzen und Schriften suchte, wurde zur vertrauten Figur. Der Buchdruck ermöglichte die Verbreitung von Geschichtswerken in bis dahin unbekanntem Ausmaß.

      »Mit Menschen früherer Zeit zu leben bedeutet, in fremde Länder zu reisen.«

      René Descartes Abhandlung über die Methode (1637)

       Aufklärung

      Im 18. Jh. hatte die europäische Geschichtsschreibung eine bestimmte Methodik etabliert; sie bestand vor allem darin, durch die Untersuchung und den Vergleich historischer Quellen Fakten zu ermitteln. Europäische Denker waren sich über die Epocheneinteilung der Vergangenheit in Antike, Mittelalter und Neuzeit einig. Diese Periodisierung kam einer Bewertung gleich – und sah im durch die Kirche beherrschten Mittelalter eine Periode der Irrationalität und Barbarei, die die ehrwürdige Welt der antiken Zivilisationen vom neu emporsteigenden rationalen Universum des modernen Europa trennte. In ihren Werken machten sich die Philosophen der Aufklärung über die Dummheiten der Vergangenheit lustig.

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       Romantik

      Im Gegensatz dazu entdeckte die Romantik, die sich seit dem Ende des 18. Jh. in ganz Europa verbreitete, in der Differenz zwischen Vergangenheit und Gegenwart einen eigenen Wert. Die Romantiker ließen sich vom Mittelalter inspirieren – und anstatt die Vergangenheit als Vorstufe der Gegenwart zu betrachten, übten sie sich darin, den Geist der Vergangenheit erneut lebendig zu machen. Vieles davon verband sich mit Nationalismus. So suchte Johann Gottfried Herder (1744–1803) in der Geschichte nach Wurzeln einer nationalen Identität und einem »deutschen Geist«. Als im 19. Jh. in Europa die Nationalstaaten entstanden, feierte die Geschichtsschreibung Ursprünge und Charakter der Nationen und ihre Helden. Jedes Land mit einer Flagge und einer Hymne beanspruchte auch seine eigene heroische Geschichte.

       Die »große Erzählung«

      Im 19. Jh. wurde Geschichte immer bedeutsamer und bald als Schicksal betrachtet. Die europäische Zivilisation sah sich selbst als Ziel aller geschichtlichen Entwicklungen und schuf entsprechende Narrative. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) beschrieb die Geschichte als logische Entwicklung, die schließlich im preußischen Staat kulminierte. Karl Marx (1818–1883) übernahm Hegels Konzept in seine Theorie vom Historischen Materialismus, nach der der ökonomische Fortschritt den Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Klassen erzeuge und am Ende unweigerlich dazu führen würde, dass das Proletariat die Macht übernehmen und das kapitalistische System an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen werde.

      »Geschichte ist nicht viel mehr als eine Aufzählung der Verbrechen, Narrheiten und Unglücksfälle der Menschheit.«

      Edward Gibbon Verfall und Untergang des Römischen Reiches (1776)

      Wie andere Wissensgebiete wurde auch die Geschichtswissenschaft im 19. Jh. professioneller und schließlich zur akademischen Disziplin, deren erklärtes Ziel die Sammlung von »Fakten« wurde. Die Kluft zwischen einer »ernsten« Geschichtswissenschaft und literarischen Werken populärer Historiker wie die eines Jules Michelet (1798–1874) und eines Thomas Macaulay (1800–1859) wurde immer größer.

       Aufstieg der Sozialgeschichte

      Im 20. Jh. wurde die Thematik der Geschichtswissenschaft, die bis dato vor allem Könige und Königinnen, Premierminister, Präsidenten und Generäle betrachtete, erweitert. Auch die breite Bevölkerung und ihre Lebensumstände wurden nun zunehmend erforscht. Einige Historiker ließen (zunächst in Frankreich) die »Ereignisgeschichte« vollkommen außer Acht und wandten sich stattdessen der Erforschung gesellschaftlicher Strukturen und Alltagsmodelle, der Glaubens- und Denkmuster der gewöhnlichen Menschen in den verschiedenen Epochen zu.

      


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