Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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durch die fanatisierte Massen in Bewegung gesetzt wurden. Ein gelegentlicher Ausspruch, man solle doch die Feinde Christi im Lande bekämpfen, anstatt nach Palästina zu reisen, wurde wiederholt und fand Beifall in den unteren Schichten des Volkes, vollends das Wort eines angesehenen Führers, des Herzogs von Niederlothringen, Gottfried von Bouillon: er wolle das Blut des Erlösers am Blute Israels rächen und nichts übriglassen von allen, die den Namen der Juden trügen. Von den Judengemeinden in Frankreich trafen Warnungen ein vor den aufgeregten Scharen französischer, englischer und lothringischer Kreuzfahrer, die von dort nach Deutschland vordrangen, so daß sich Calonymus, der Vorsteher der Judengemeinde in Mainz, mit der Bitte um Schutz an Heinrich IV. wendete, der damals in Italien war. Dem Gesuch willfahrend, befahl der Kaiser allen Bischöfen, Fürsten und Grafen des Reichs, auch Gottfried von Bouillon, die Juden zu beschützen, ihnen beizustehen und Zuflucht zu gewähren, damit keiner sie anrühre, ihnen Böses zu tun. Alle gehorchten, ohne doch das nahende Unheil aufhalten zu können. Die Juden fühlten sich offenbar im Schutze des Kaisers und in der durchaus nicht unfreundlichen Gesinnung der Bürger so sicher, daß sie von der Wut des Überfalls wehrlos überrascht wurden. Es kam vor, daß Juden erschlagen wurden, die friedlich in ihrem Weinberg arbeiteten. In Speyer allerdings, wo die Kreuzfahrer zuerst einbrachen, verhinderte der Bischof Johannes, ein treuer Anhänger des Kaisers, durch strenges Eingreifen großes Unglück: den Bürgern, die sich an den Gewalttaten der Fremden beteiligt hatten, ließ er die Hände abhauen. Nur elf Juden wurden in Speyer getötet. In Worms dagegen, wo der Bischof untätig blieb, sollen an 800 niedergemacht sein, noch mehr in Mainz, wo Erzbischof Ruthard eine nicht ganz aufgeklärte, zweideutige Rolle spielte. Er versprach denen, die dem Blutbade entronnen waren, dem Vorsteher Calonymus und 53 Gefährten, Schutz in seiner Pfalz, wollte aber nachträglich sein gegebenes Wort nur gelten lassen, wenn sie sich taufen ließen. Die Juden, edler gesinnt als der Bischof, zogen vor zu sterben. In Köln verbargen sich die Juden in den Häusern ihrer christlichen Freunde, ein Beweis für das gute Einvernehmen zwischen Juden und Bürgern, und erhielten dadurch ihr Leben, während ihre Häuser geplündert wurden. Um sie noch besser schützen zu können, brachte sie dann der Erzbischof in Burgen auf dem Lande unter; aber diese augenscheinlich in guter Meinung vollzogene Maßnahme erwies sich als unglücklich, denn ein Teil wurde dort von den Verfolgern aufgespürt und getötet. Daß dieser Angriff auf die Juden nicht etwa durch Abneigung gegen die Rasse, sondern durch erhitzten Glaubenseifer verursacht war, geht daraus hervor, daß denjenigen Juden, die sich taufen ließen, nichts zuleide getan wurde. Zum Glaubenshaß kam die Raublust der armen und bereits verwilderten Banden; Raublust war vermutlich auch die Triebfeder der Stadtbewohner, die mit jenen gemeinsame Sache machten. Das waren aber nur einzelne, im allgemeinen standen die Bürger wie die Fürsten auf seiten der Angegriffenen. Der Kaiser ging so weit, den Juden zu gestatten, daß die Zwangstaufe, die an verschiedenen vollzogen war, nicht gelten solle, sondern daß sie wieder nach dem Gesetz leben dürften, ein Zugeständnis, das den Papst erzürnte. Als Heinrich gegen das Ende seines Lebens in Mainz einen Landfrieden beschwören ließ, zählte er die Juden unter denen auf, die besonderen Schutz genießen sollten. Beim nächsten Kreuzzug, den Bernhard von Clairvaux anregte, ging die Gefahr für die Juden wiederum von den unteren Schichten aus. Ein Mönch, namens Radull, hetzte zum Judenmord auf und hätte mit Hilfe räuberischen Pöbels ein großes Blutvergießen angerichtet, wenn ihm nicht Bernhard entgegengetreten wäre. Er hielt aufklärende Predigten und erließ ein Rundschreiben, in dem er auseinandersetzte, wie sich Christen gegen Juden zu verhalten hätten. Man dürfe, sagte er, die Juden weder töten noch vertreiben; denn, dies setzte er aus eigener Auffassung hinzu, sie würden sich beim Herannahen des Jüngsten Gerichtes bekehren. Den Wucher der Juden erwähnte er nicht ohne hinzuzusetzen, daß die Christen da, wo es keine Juden gäbe, den Wucher noch ärger trieben. Infolge der hochherzigen Bemühungen unterblieben die Verfolgungen, so daß die Vorkehrungen der jeweiligen Stadtherren zum Schutze der Bedrohten sich als überflüssig erwiesen.

      Damals, zur Zeit des zweiten Kreuzzuges, in der Mitte des zwölften Jahrhunderts, hatten die Juden sich bereits vorzugsweise dem Geschäft der Geldleihe zugewendet, und die Tatsache, daß es viele Menschen gab, die den Juden verschuldet waren, konnte den Antrieb bilden, Gläubiger unter dem Vorwande, sie seien Feinde Christi, zu ermorden, womit man seine Verhältnisse geordnet und sich zugleich ein Verdienst bei Gott und den Menschen erworben hätte. Dies Motiv trat aber in jener Zeit noch nicht sehr hervor, teilweise deshalb nicht, weil diejenigen Kreise, die den Kredit der Juden benützten, sie eher zu schützen suchten als mordeten, hauptsächlich aber, weil die Haltung eines Volkes immer von denjenigen bestimmt wird, die an der Spitze stehen. Ob es sich um eine Schule, eine Stadtgemeinde, eine Kirchengemeinde oder ein Land handelt, die Großmut oder Niedrigkeit, die Überlegenheit oder Beschränktheit des Führers wird den Charakter der Gruppe, des Landes bestimmen. Die Päpste des zwölften Jahrhunderts hielten immer noch, trotz ihrer veränderten Stellung zum Kaisertum, an den Bestimmungen Gregors I. über das Verhalten gegen die Juden fest, ja sie übertrafen ihren großen Vorgänger zuweilen noch an Milde. Sie blieben dabei, daß die Juden nicht zwangsweise getauft, nicht verwundet oder beraubt werden, keine Veränderung ihrer guten Gewohnheiten erleiden sollten. Man solle sie, verordneten sie, bei ihren Festen nicht stören, ihre Begräbnisplätze nicht beschädigen. Es versteht sich, daß die Päpste von den Juden stets mit scharfer Abneigung als von den Feinden des christlichen Glaubens sprachen, aber das hinderte sie nicht, bei Verfolgungen sich nachdrücklich für sie einzusetzen, wie sie es auch nicht, sowenig wie alle anderen Kirchenfürsten, hinderte, sich in Geldgeschäfte mit ihnen einzulassen. Von Gregor VII., dem großen Gegner Heinrichs IV., ist behauptet worden, ohne daß es im geringsten bewiesen werden könnte, er stamme von Juden ab; jedenfalls hat er sich von der jüdischen Familie Pierleone in Geldangelegenheiten beistehen lassen, derselben Familie, aus welcher der Papst Anaklet hervorging. Der Getaufte durfte Papst sein, ohne daß jemand daran Anstoß genommen hätte; nicht das Blut, nur der Glaube wurde bekämpft. Ebenso wie die Päpste und noch eindeutiger gaben die Hohenstaufenkaiser das Beispiel der Duldung. Friedrich I. erneuerte das Privileg Heinrichs IV. für die Juden in Worms, wodurch sie reichsunmittelbar wurden, und Friedrich II. dehnte es auf alle Juden im Reich aus; doch ist anzunehmen, daß schon sein Großvater es in diesem Sinne auffaßte. Als der alte Kaiser den Kreuzzug beschloß, fürchteten die Juden, in Erinnerung an die früheren Kreuzzüge, Angriffe auf Freiheit und Leben; allein auf dem großen Reichstage zu Mainz, wo die Judenfrage besprochen wurde, trafen Friedrich I. und sein Sohn Heinrich, der spätere Kaiser, Anordnungen zu ihrem Schutze. Mit strengen Strafen wurden alle bedroht, die sich an einem Juden vergreifen sollten; wer einen verwunde, dem sollte die Hand abgehauen werden, wer einen umbringe, sollte umgebracht werden. In einem Privileg Friedrichs für die Regensburger Juden stehen die schönen Worte: »Es ist die Pflicht der kaiserlichen Majestät, vom Recht wird es gebilligt und von der Vernunft gefordert, daß sie jedem unserer Getreuen, nicht nur den Vertretern der christlichen Religion, sondern auch denen, die, von unserem Glauben abweichend, nach den von ihren Vätern überlieferten Gebräuchen leben, das, was ihnen zukommt, nach Maßgabe der Billigkeit erhalten, ihren Gewohnheiten Dauer, ihren Personen und Gütern Frieden gewähren.« Dem Vorwurf, der in dieser Zeit zuweilen gegen die Juden erhoben wurde, als töteten sie christliche Kinder, um sich ihres Blutes bei gewissen religiösen Riten zu bedienen, standen sowohl Päpste wie Kaiser mißtrauisch gegenüber. Sie durchschauten den Vorwand blutgierigen oder leichtgläubigen Pöbels, und es ist bemerkenswert, daß der Papst sich nicht bewegen ließ, den kleinen Werner von Bacharach, der in dieser Weise ums Leben gekommen sein sollte, und dessen Gedächtnis eine in ihren Resten noch immer den Beschauer entzückende Kirche gewidmet wurde, heiligzusprechen. Friedrich II. ließ es sich nicht nehmen, einen Ritualmord, der in Fulda vorgekommen sein sollte, gründlich zu untersuchen. Der Leichnam des angeblich von Juden getöteten Kindes wurde nach Hagenau gebracht, wo der Kaiser sich eben aufhielt. Um die Frage grundsätzlich zu lösen, bat er die Könige Westeuropas, ihm getaufte Juden zu schicken, die des Gesetzes kundig wären, von denen er annahm, daß sie ihn ohne Vorurteil unterrichten würden. Sie wiesen auf die Vorschriften des Talmud hin, wonach den Juden sogar die Befleckung mit Tierblut verboten sei, und lehnten damit die Beschuldigung ab. Daraufhin sprachen die Reichsfürsten auf einem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1236 die Juden von Fulda und andere Juden völlig frei; die Urkunde über das Urteil wurde den Juden zugestellt. Ein Jahrzehnt später erklärte Papst Innocenz IV. in einem Sendschreiben die Beschuldigung des Ritualmordes für verleumderisch, für einen Vorwand zu Gelderpressungen, und wies die deutschen


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