Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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an den Turnieren der Ritter teil und gingen mit dem Landadel eheliche Verbindungen ein, waren ebenso hochmütig wie jener, wenn auch, besonders in späterer Zeit, zuweilen der Landadel dem Stadtadel die Ebenbürtigkeit absprach. Trotzdem bildete sich in den Städten allmählich ein neuer Stand, eine neue Kultur, die von der aristokratischen und klerikalen verschieden waren, der Stand und die Kultur des Bürgers. Insofern Gutsbesitzer, Kaufleute, Handwerker, Ackerbauer eine Stadt bewohnten, bildeten sie eine Gemeinschaft, die eine gemeinsame Aufgabe hatte, ihre Arbeit, ein gemeinsames Interesse, die Erhaltung von Frieden und Recht, die ihre Arbeit ermöglichte, einen gemeinsamen Gegensatz gegen die Fürsten und den Adel, die Frieden und Recht so häufig störten. Wie auch der in den Städten herrschende Stand, den man später Patrizier nannte, die Handwerker verachten mochte, Handwerk und Handel erzeugten den Wohlstand der Stadt durch Arbeit. Das Selbstgefühl des Bürgers beruhte nicht so sehr oder nicht allein auf dem Standesbewußtsein und auf dem Schwert, sondern auf der eigenen Kraft in der Arbeit, im Werk. Daß Stadtluft frei mache, konnte man nicht nur sagen, weil der Hörige, der in die Stadt zog, wenn er nach Verlauf eines Jahres von seinem Herrn nicht zurückgefordert war, frei wurde, sondern auch weil der Gedanke hier einen freieren Flug nahm. Im Wesen des Geldes liegt es, frei zu machen; unmittelbar, weil mit Geld den Bischöfen und Fürsten, die Geld gebrauchten und nicht hatten, ihre Rechte abgekauft werden konnten, mittelbar, weil auf der Grundlage des Besitzes Bildung erworben und Vorurteile überwunden werden können, und andererseits, weil durch die Beweglichkeit des Geldes ein rascher Wechsel von Reichtum und Armut möglich wird und dadurch der Unwert von Geld und äußerem Ansehen und der Wert der Persönlichkeit vor Augen geführt wird. Die wohltätige Macht des Geldes, die eigentümlichen Vorzüge der Stadt entfalteten sich am reichsten in den Jahrhunderten, wo die Städte zwar durch Mauern, aber nicht durch ihren Charakter entschieden vom Lande getrennt waren. Noch im 13. und 14., ja noch im 15. Jahrhundert glichen die Städte sehr dem Dorf. Es war nicht so, daß steinerne Häuser und steinernes Pflaster die Erde verdeckten: mitten in der Stadt rauschten die Eichen und dufteten die Linden, die Kühe trabten in ihre Ställe und die Schweine grunzten über die schmutzigen Straßen. Neben wenigen Häusern aus Stein standen strohgedeckte Hütten aus Lehm und Holz. Nicht selten kam es vor, daß Dörfer in die Städte einbezogen wurden, die noch lange dorfähnlich blieben. Draußen vor den Mauern erstreckten sich Gärten und Äcker, deren Besitzer Bürger waren, die sie bebauten. Ebenso wie der Bürger bäuerliche Art behielt, so behielt er auch ritterliche. Die Geschlechter waren beritten, die Handwerker kämpften zu Fuß, jeder hatte Wehr und Waffen und war darin geübt. Die Handwerker bildeten den Kern des städtischen Heeres, das der Bürgermeister anführte; sie waren kriegerisch, ungestüm, ja grausam im Kampf, wie irgendein Ritter. Der Unterschied war der, daß die Bürger, die im allgemeinen friedliebend waren, nur zur Verteidigung ihrer städtischen Freiheit Krieg führten. Die den Fürsten unterworfenen Landstädte bedangen sich, wenn sie unabhängig genug waren, aus, nur so weit Kriegsfolge leisten zu müssen, daß sie abends wieder hinter ihren Mauern sein konnten. Der Bürger wurde zu einem runderen, vielseitigeren Menschen, als die anderen waren; in ihm mündeten die vereinzelten Kulturströmungen, bis schließlich das Ideal des vollendeten, des humanen Menschen entstand, der frei aus den Schranken des Standes, der Nation, der Konfession hervortritt, aber doch gebunden bleibt durch das Gefühl und Bewußtsein der Menschlichkeit.

      Noch immer gab es Klöster im Reiche, die die Wissenschaft pflegten, und solche, die die Wildnis kulturfähig machten, Klöster, in denen die unverheirateten Töchter des Adels sich in die Geheimnisse Gottes versenkten, kunstvolle Stickereien ausführten, fromme Betrachtungen niederschrieben. Andere Klöster erregten durch Ausgelassenheit oder Faulheit Ärgernis, und auch die besten waren nicht mehr die einzigen Sterne, von denen Licht und Wärme ausgingen. Der Wanderer, der im 12. und 13. Jahrhundert durch das Reich pilgerte, fand Schutz und Herberge in den Städten. Zu den alten Römerstädten am Rhein und an der Donau, zu den von den Ottonen gegründeten Städten am Rande des Harzes waren viele neue gekommen. Nachdem die großen Städtegründer, die Zähringer und Heinrich der Löwe, das Beispiel gegeben hatten, als die Fürsten gesehen hatten, welche Vorteile sich aus verkehrsreichen Plätzen ziehen ließen, beeiferten sich alle, in ihrem Gebiet schon bestehende Ansiedelungen zu Städten zu erheben oder neue anzulegen. Die Städte waren sehr klein, manche nicht viel größer als ein einzelnes großes Kloster. Sie hatten etwa 3000 bis 4000 Einwohner, die größten nicht mehr als 15 000 oder 20 000. Manche bestanden aus einem alten Dorf, mit dem ein Markt verbunden wurde, manche aus mehreren Siedelungen, die allmählich durch Mauern zu einem Ganzen verbunden wurden. Die Stadt Braunschweig zum Beispiel bestand aus fünf Städten: der ursprünglich dörflichen Alten Wiek, der Altstadt, dem von Heinrich dem Löwen gegründeten Hagen, der Neustadt und dem Sack. Jede von ihnen hatte ihren Bürgermeister, ihr Rathaus, ihre Kirchen. Den Mittelpunkt aller Städte, wenn auch nicht immer den topographischen, bildete der Markt, ihr Herz, wo die Verkehrsadern ausgingen und mündeten. Dort wurden Lebensmittel und andere Waren zum Verkauf ausgelegt. Er war umrahmt vom Rathaus, von den vornehmsten Gildehäusern und den Häusern der reichen Kaufleute; zuweilen gliederte auch das Rathaus, mehr oder weniger in der Mitte liegend, den Platz. Der Rechtsschutz, der vom König den Kaufleuten, die den Markt besuchen wollten, verliehen wurde, stellte den Markt unter Königsfrieden, machte ihn zu einer Stätte, wo ohne Verzug Recht gesucht und gefunden werden konnte. Der rechtliche Charakter des Marktes wurde durch ein Kreuz bezeichnet, wie sich ein solches noch auf dem Markt in Trier befindet; es ist von einer Granitsäule getragen und zeigt in der Mitte das Gotteslamm. Später symbolisierten den Rechtsgedanken im Norden des Reichs die seltsamen Rolandsfiguren, die, sollten sie auch mit anderer Bedeutung entstanden sein, im höheren Mittelalter als Sinnbild der Rechtshoheit der Stadt angesehen wurden. Wenn ein Fürst sich eine freie Stadt unterwarf, pflegte er wohl den Roland zu zerschlagen, zum Zeichen, daß nur er, nicht mehr die Stadt, Gerichtsherr sei. Die steinernen Riesen in Zerbst, Halberstadt, Bremen, Ritter mit edlem lockigem Haupt, die das Schwert gerade aufgerichtet in der Hand halten, stammen aus dem 15. Jahrhundert und sind Nachbildungen älterer Figuren aus Holz, die bei einem Brand oder sonst zugrunde gegangen waren. Zuweilen fanden Hinrichtungen vor dem Rolandsbilde statt. Die Gerichtssitzungen wurden anfangs unter freiem Himmel abgehalten, später, als es Rathäuser gab, unter den offenen Lauben derselben und noch später in einem Saal im Innern des Hauses. Das älteste erhaltene Rathaus soll das der Unterstadt von Gelnhausen sein; es ist ein schlichter romanischer Bau, von dem man annimmt, daß er im Jahre 1170 entstanden ist. Während die Marktplätze der alten gewachsenen Städte sehr verschiedenartig, malerisch gegliedert sind, hat die Regelmäßigkeit der östlichen Kolonialstädte, die alle nach dem gleichen Muster angelegt sind, zuweilen etwas Ödes. Wie schön auch diese sein können, beweisen die Märkte von Breslau, imponierende saalartige Plätze, deren einer durch die fabelhafte Pracht des Rathauses belebt wird. Eine unerschöpfliche Erfindung hat im Norden, Süden, Osten und Westen des Reichs Rathäuser von verschiedenartigem Reiz aufgerichtet. Wie ein wohllautender Reim der Pfarrkirche Sankt Martin gegenüber umrandet das Braunschweiger Altstadt-Rathaus die Ecke des Platzes, zierlich und schnurrig ist das von Osterode am Harz, das von Michelstadt im Odenwalde, phantastisch prächtig sind die nordischen Ziegelbauten von Stralsund, von Tangermünde, bäuerlich behäbig die schwäbischen und fränkischen Fachwerkhäuser. Im Inneren führen schöngeschwungene Holztreppen zu den Sälen, wo die Ratsmänner tagen, wo bald die Täfelung der Wände wohnliche Stimmung, bald Malerei das Gefühl erhabener Feierlichkeit verbreitet. Die Rathäuser, deren Schönheit wir jetzt bewundern, sind ebenso wie fast alle die Wohnhäuser, die erhalten sind, erst um die Wende des 15. Jahrhunderts oder später errichtet. Im heroischen Zeitalter der Städte waren die meisten Häuser niedrig, eng, mit Stroh gedeckt, nur einige Reiche und Mächtige bauten sich steinerne, turmartige Häuser, in denen sie das Recht hatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, so daß das Wort galt: mein Haus ist meine Burg. Kunst und kostbare Ausstattung wurden verschwenderisch auf die Kirche verwendet, das Haus Gottes und das Haus aller Bürger. Die Pfarrkirche lag gewöhnlich etwas abseits vom Markte, aber so, daß die Türme den Platz beherrschen; der Lärm des Verkehrs soll die Andacht nicht verwirren. Schauerliches Schweigen, kühle Dämmerung, in die es glühend tropft aus den bunten Fenstern, umfängt den Beter. Von den Pfeilern blicken die großen Heiligen, die kämpften und litten und nun in ewiger Glorie wohnen, ringsherum liegen die Toten, Söhne der Stadt, ruhend von ihrer Arbeit. Hier beginnt das Drüben, wo alle Rätsel gelöst, alle Sünden getilgt, alle Tränen getrocknet werden. Vom Turm läutet die Glocke, die der städtische Meister gegossen hat;


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