Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Verwandtschaft mit seiner Frau von Gewissensbissen gefoltert, ins Heilige Land gezogen und habe dort 28 Jahre lang gebüßt. Herzog Rudolf von Sachsen, der Waldemar persönlich gekannt hatte, erklärte, ihn wiederzuerkennen, worauf auch der Erzbischof von Magdeburg sich für seine Echtheit verbürgte. Es ist anzunehmen, daß Herzog Rudolf einen Mann, der sich durch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen dazu empfahl, auf Grund seiner persönlichen Bekanntschaft mit demselben für die zu spielende Rolle abgerichtet hatte. Der Zweck der Komödie war nicht nur die Beseitigung des Markgrafen Ludwig, sondern die Teilung Brandenburgs unter die Verschworenen nach des falschen Waldemars Tode. Nachdem eine Kommission den Prätendenten als echten Waldemar bestätigt und Karl ihn feierlich belehnt hatte, trat der Wiedererstandene ihm sofort die Lausitz ab. Überall freudig empfangen, durchzog der alte Büßer die Mark, durch reichliche Zuwendungen die Städte an sich fesselnd.

      Graf Günther von Schwarzburg, der wohl als ein rechtlicher Mann bekannt, aber doch ein zu kleiner Herr war, um seinem Gegner, dem König von Böhmen, gewachsen zu sein, trug immerhin einen nicht zu unterschätzenden Erfolg davon: die Stadt Frankfurt erkannte ihn an und öffnete ihm im Februar 1349 die Tore. Er konnte auf dem Römerberg die Huldigung entgegennehmen. Karl hielt sich in der Nähe auf und beschäftigte sich damit, dem Nebenbuhler seine Anhänger abspenstig zu machen. Es traf sich, daß kurz zuvor seine Frau gestorben war, so daß er sich um die Hand der Tochter des Pfalzgrafen Rupprecht, der zwanzigjährigen schönen Anna, bewerben und dadurch diesen Wittelsbacher auf seine Seite bringen konnte. Eilig wurde in Bacharach die Hochzeit gefeiert. Dann handelte es sich darum, die Wähler zu bezahlen, die noch sich Zurückhaltenden zu gewinnen. Wie sollte er alle die ungeheuren Ansprüche befriedigen, da er sich doch nur einmal gleichzeitig verheiraten konnte? Vielleicht in Bacharach, irgendwo vielleicht am Rhein, während er seinen Phantasien nachhing und mit den Augen, die das Schöne liebten, dem Lauf des edlen Stromes folgte, kam ihm ein feiner, ein grauenvoller Gedanke. An den Ufern des Rheines zuckten die Flammen, in denen die Juden verbrannten; das ließ sich verwerten. Er, der Kaiser, war der Herr der Juden, ihm zahlten sie Abgaben dafür, daß er ihnen die Niederlassung erlaubte und sie beschützte, ihm gehörten die nachgelassenen Güter der Getöteten, ihm die Bußgelder der wegen des widerrechtlichen Mordes Gestraften. Je mehr Juden ermordet wurden, desto vorteilhafter für ihn; man konnte den Regierungen zu verstehen geben, daß sie nicht in seinem Interesse handelten, wenn sie den Judenmord verhinderten. Seinem Großoheim, dem Erzbischof Baldewin, der am meisten für die Wahl getan hatte und die größte Entschädigung erwartete, schenkte er das hinterlassene Gut aller der bei der Verfolgung im Elsaß erschlagenen Juden, die dem Kaiser zustehenden Bußgelder derer, die die Juden ermordet und beraubt hatten, schließlich die Güter der Juden, die etwa noch erschlagen werden würden. Dem Grafen von Hohenstein schenkte er die Güter der in den Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen erschlagenen Juden und erlaubte ihm, die Schuldforderungen der Ermordeten einzutreiben. Eine Edelfrau in Hirschhorn bekam das Haus eines reichen Juden in Heilbronn, den Bischöfen von Bamberg und Würzburg versprach er die Güter der Juden, die etwa in ihren Bistümern ermordet werden würden. Die Städte St. Gallen und Nördlingen wurden von der Verantwortung wegen der bei ihnen erschlagenen Juden befreit. Als Markgraf Ludwig von Brandenburg erkannte, daß sein Gegenkönig, Graf Günther von Schwarzburg, sich nicht würde halten können und sich geneigt zeigte, Karl anzuerkennen, erlaubte ihm Karl, sich in Nürnberg bei der voraussichtlich bald dort stattfindenden Judenverfolgung drei der besten Judenhäuser auszusuchen.

      Damit war aber der vom Kaiser aus den Judenverfolgungen zu ziehende Vorteil noch nicht erschöpft. Die Regierenden hatten fast durchweg, wenn man von einigen fanatischen Fürsten absieht, die Juden zu beschützen versucht, zum Teil weil sie ihnen nützlich waren, zum Teil wohl auch aus Gerechtigkeits- und Ordnungsliebe. Der Herzog von Braunschweig-Lüneburg zum Beispiel, die Städte Goslar und Regensburg hatten keine Verfolgung aufkommen lassen, König Karl selbst hatte sie in seinem Erblande Luxemburg zu unterdrücken gewußt. Diejenigen, die die Ausrottung und Vertreibung der Juden nicht hatten verhindern können, wünschten sehr bald wieder welche zu haben. Karl konnte sich also wieder Landesherren und Städte verpflichten, indem er ihnen erlaubte, Juden zuzulassen oder ihnen den künftigen Judenschutz bald verpfändete, bald schenkte. Merkwürdig und fast grauenhaft ist es, daß schon nach kurzer Zeit Juden wieder um Aufnahme nachsuchten, obwohl die Bedingungen um vieles härter geworden waren; erst jetzt wurden sie in besondere Quartiere abgesondert.

      Als der unglückliche Graf Günther, der ohnehin krank war, sich von allen verlassen sah, brauste er im Zorn gegen die treulosen Wähler auf; aber wehren konnte der Sterbende sich nicht mehr. Auch der Erzbischof von Mainz verließ ihn; Karl hatte zwar versprochen, zwischen den beiden Erzbischöfen neutral zu bleiben, schwur aber bald danach auf das Evangelium, daß er den vom Papst ernannten Gerlach gegen Heinrich beschützen werde. Günther entsagte dem Thron und entband die Bürger Frankfurts von dem Treueid, den sie ihm geleistet hatten. Dann starb er. Drei Tage später, am 17. Juni, zog Karl in Frankfurt ein, am 19. wurde die Leiche des betrogenen Kaisers aus dem Johanniterkloster, wo er gestorben war, in den Dom überführt. Karl selbst folgte dem Sarge, den zwanzig in Trauer gekleidete Grafen trugen; er liebte altherkömmliche, feierliche Gebräuche. Der Stadt Frankfurt verzieh er ihre Anhänglichkeit an den Verstorbenen, machte beim Rat eine Anleihe und versprach, ihn nicht zur Rechenschaft zu ziehen, wenn etwa die Frankfurter Juden sollten ermordet oder vertrieben werden, sondern ihm ihre Güter zu überlassen, damit er sich daran schadlos hielte. Nur wenn der Erlös die geliehene Summe überstiege, sollte der Überschuß dem König zustehen.

      Mitten durch Blut und Brandgeruch rückte der nun anerkannte Kaiser nach Aachen vor. In Bonn erhielt er die Meldung, die Krönungsstadt sei so von Geißlern erfüllt, daß kein Platz für einen festlichen Einzug sei, und er entschloß sich zu warten. Die Geißler waren zuerst nach der Pest in Österreich aufgetreten als eine Bruderschaft, die durch Bußübungen den zürnenden Gott versöhnen wollten. Wer sich ihnen anschloß, mußte sich verpflichten, die 33 Tage der Geißelfahrt mitzumachen und dem Führer gehorsam zu sein. Die öffentliche Geißelung wurde nach bestimmten Regeln in bestimmter Reihenfolge ausgeführt, nirgends blieben sie länger als einen Tag und eine Nacht. Allmählich sammelte sich allerlei verzweifeltes Gesindel zu den Geißlern, und sie entarteten. Daß sie sich der Geistlichkeit feindlich zeigten, machte sie beim niederen Volke beliebt, mit dem sie auch in der Wut auf die Juden übereinstimmten. Papst und Kaiser erkannten, daß die Bewegung die schon gelockerte Ordnung noch mehr auflöste, und unterdrückten sie durch Bann und Verfolgung. Sowie die Geißler Aachen verlassen hatten, zog Karl ein und ließ sich krönen.

      Es war die Stadt Karls des Großen, das alte Gepränge, ein Kaiser, der den den Deutschen heiligen Namen trug und sich gern mit überlieferten Formen umgab; aber der Geist der großen Kaiserzeit erfüllte sie nicht mehr. In den letzten Ereignissen hatte sich kraß offenbart, daß die Führenden nicht mehr aus überlegener Größe handelten, sondern daß wilde, dumpfe und gemeine Leidenschaften, wie sie in den Tiefen eines jeden Volkes verborgen sind, der Herrschenden Herr geworden waren. Es war so weit gekommen, daß, während das Volk die Juden verbrannte, weil sie Wucher trieben, die ersten Fürsten des Reiches ihre Stimmen verkauften und das Gewissen der Großen um Geld feil war. Oft weiß man nicht, ob man von Fürsten spricht oder von Gaunern, die sich gegenseitig übers Ohr hauen, ob man einen Kaiser vor sich hat oder einen Mörder, der sich nicht selbst die Hände blutig macht, aber durch ein Augenblinzeln die Totschläger ermuntert. Es ist kaum eine Milderung dieser Tatsache, daß derselbe Kaiser ein tüchtiger Regent war, nicht nur in seinem angestammten Lande Böhmen, sondern auch im Reich, soweit die Verhältnisse ihm dort ein Eingreifen ermöglichten.

       Inhaltsverzeichnis

      Es gab Dinge, in deren Verfolgung Ludwig der Bayer zielbewußte Beharrlichkeit entfalten konnte; das war alles, was die Begründung einer Hausmacht anging. Je mehr das Reichsgut zusammenschmolz, desto mehr suchten sich die Kaiser durch Ausdehnung ihrer fürstlichen Macht die notwendige Grundlage zu gewinnen. Beim Aussterben der Babenberger hoffte Friedrich II. sich durch Erwerbung Österreichs einen festen Punkt in Deutschland zu schaffen, was dann Rudolf von Habsburg gelang; Adolf von Nassau kämpfte vergeblich um Thüringen. Als zur Zeit Ludwigs mit dem großen Markgrafen


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