Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.unbeweglicher als sonst war. Die Erzbischöfe musterten etwas besorgt das rotgedunsene Gesicht mit den schlaff hängenden Backen unter dem Kurhute, an dem der Schweiß hinunterzulaufen begann, während der Herzog ihn unnachsichtig den Kniefall wiederholen ließ, bis es ohne Anstoß gelungen wäre. Es habe nichts auf sich, sagte der Herzog, wenn der Kurfürst sich etwas langsam und unanstellig gebärde, nur dürfe er weder lachen noch greinen oder das Maul hängen lassen, ebensowenig taumeln oder stolpern oder schnaufen, was alles der fürstlichen Majestät Abbruch tue, vor allen Dingen aber beim Niederknien nicht wie ein voller Sack zu Boden plumpsen, sondern sich gelinde und gleichsam aus freien Stücken niederlassen und wieder aufstehen. Schließlich kamen die Fürsten überein, daß es besser wäre, dem Kurfürsten zwei Knappen beizugeben, die ihm beim Niederknien und Wiederaufstehen unter die Arme griffen, da man sonst doch sich eines Unfalls besorgen müsse.
Der Kurfürst, den das häufige Proben etwas verdrossen hatte, gewann bei dem sich daranschließenden Gelage seine gute Laune wieder, übernahm sich aber im Trinken so sehr, daß er am folgenden Morgen, als die Belehnung vorgenommen werden sollte, gänzlich unfähig und seiner nicht mächtig war und dadurch die Fürsten in nicht geringen Schrecken versetzte. Sie sollten ihm einen Humpen voll zu trinken geben, sagte Christian übellaunig zu ihnen, die ihn vorwurfsvoll umstanden, dann werde er alles ordentlich ausrichten, erst müßte er allemal den Schlaf, der ihm wie Blei in den Gliedern liege, mit einem Frühtrunk fortspülen. Dem widersetzte sich anfangs der Herzog von Braunschweig, da es erstens der Güldenen Bulle nicht gemäß sei und zweitens auch gefährlich, indem der Kurfürst sich wieder übernehmen und dadurch alles zum Scheitern bringen könne; allein auf Zureden der anderen, daß Christian in einer mäßigen Trunkenheit besser figurieren könne als nüchtern, ließ ihm der Herzog einen Krug Bier verabreichen, worauf er sich erholte und die Zeremonie unter großem Gepränge und Zulauf vorgenommen wurde und auch leidlich abging. Das Gesicht des Kaisers blickte fahl und traurig aus dem starrenden Ornat, mit dem er behangen war; er hatte sich in der letzten Zeit von den gemeinsamen Zusammenkünften zurückgezogen, da die Fürsten allmählich abreisen und vorher dasjenige Geschäft erledigen wollten, das ihm widerwärtig war, nämlich die Aussöhnung mit Matthias.
Auch dieser wollte anfangs nichts davon hören, aber der Herzog von Braunschweig, der unverdrossen nach Wien reiste, um ihn zu bearbeiten, brachte ihn dahin, daß er die Waffen niederzulegen versprach, wenn der Kaiser das Kriegsvolk entließe, das er im Bistum Passau geworben hatte und das gegen ihn bestimmt sei. Darauf wollte Rudolf jedoch nicht eingehen: das Passauer Kriegsvolk, sagte er, gehöre seinem Neffen Leopold und solle in der Jülicher Fehde verwendet werden; er habe nichts damit gegen Matthias im Sinne, aber er und seine übrigen Brüder und Neffen, mit Ausnahme Leopolds, wären ein vatermörderisches Geschlecht und wollten ihn wehrlos machen, um ihn desto besser ausplündern zu können. Die Fürsten waren über Rudolfs seltsame Geisteskonstellation etwas betreten, ließen aber nicht nach, auf ihn einzureden, bis er einwilligte, die Passauer zu entlassen und die Abbitte der schuldigen Verwandten entgegenzunehmen, nur Matthias wolle er nicht sehen. Es wurde also ausgemacht, daß anstatt seiner die Erzherzöge Maximilian und Ferdinand vor ihm erscheinen sollten; aber eine neue Schwierigkeit entstand dadurch, daß der Kaiser die Bedingung stellte, sie müßten die Abbitte kniend vortragen, wozu sich wohl Ferdinand, aber nicht Maximilian verstehen wollte. Als dem Kaiser endlich mitgeteilt werden konnte, daß sein Bruder in Hinsicht auf den Kniefall nachgegeben habe, fing er an zu weinen und sagte, er wolle nun und nimmermehr einen Habsburger auf den Knien sehen, sondern werde Maximilian aufheben, sobald er die Knie zu beugen begonnen haben werde. Dies führte er auch aus, reichte beiden Erzherzögen die Hand und sprach sie freundlich an, indem er sich nach Ferdinands Frau und Kindern erkundigte.
Nachdem diese Angelegenheit erledigt war, besprach sich der Kaiser mit den Fürsten noch über die Nachfolge im Reich, die er keineswegs Matthias, sondern seinem Neffen Leopold zuwenden wollte. Die Kurfürsten widersprachen ihm nicht, sondern erklärten sich bereit, Leopold die Stimme zu geben; Trier und Köln wollten Matthias wegen seiner Anzettelungen mit den Protestanten nicht wohl und waren es deswegen zufrieden, ihn zu übergehen. Um die Stimmen der protestantischen Kurfürsten zu gewinnen, knüpfte Rudolf eingehende Verhandlungen mit Pfalz an, wobei er sich auf den Majestätsbrief berief und auch im Reiche den Forderungen der Evangelischen Rechnung zu tragen verhieß. Indessen wurde diese Übereinkunft durch den Tod des Pfalzgrafen, der im September desselben Jahres 1610 erfolgte, abgerissen.
Nachdem die Festung Jülich von den Unierten erobert war, kehrte Leopold ruhmlos nach Prag zurück, doppelt auf große Unternehmungen erpicht, durch die er seine Niederlage wettmachen wollte. Er flößte seinem Oheim Mut ein, mit den in Passau geworbenen Truppen Matthias Ungarn und Österreich wieder abzunehmen, was denn auch in geheimer Übereinkunft beschlossen wurde. Als nun Matthias, der inzwischen sein Heer, dem gegebenen Versprechen gemäß, entlassen hatte, auf die Entlassung der Passauer drang und der Herzog von Braunschweig deswegen beim Kaiser vorstellig wurde, entschuldigte sich dieser, er habe kein Geld, den Passauern ihren Sold, nämlich 400 000 Gulden, auszuzahlen, ohne welchen sie nicht auseinandergehen wollten. Der Sold müsse aufgebracht werden, sagte der Herzog eifrig, er mache sich dazu anheischig, wenn es nicht anders sei. Die Sache wurde nämlich dadurch dringender und gefährlicher, daß die Passauer erklärten, das Bistum sei jetzt gänzlich erschöpft und ernähre sie nicht mehr, sie müßten wohl oder übel nach Böhmen ziehen und sich dort erholen. Die Angst vor diesem Heuschreckenschwarm bewog die böhmischen Stände, dem Herzoge, der sie darum anging, 300 000 Gulden zu versprechen, worauf er einige vermögende Prager Bürger überredete, das übrige dazuzusteuern. Froh über das Erreichte, erbot sich der Herzog selbst, nach Passau zu eilen und die Entlohnung des Heeres zu betreiben, das mit dem Einfall in Böhmen drohte; das Geld versprach der Kaiser, sowie es flüssig gemacht wäre, nebst einer Vollmacht dem Herzog durch einen Zahlmeister nachzuschicken.
Es war ein kalter Nachmittag im Dezember, als der Wagen des Herzogs, sich der Bischofsstadt nähernd, plötzlich angehalten wurde. Als der Herzog, um zu sehen, was es gäbe, sich aus dem Kutschenfenster beugte, erblickte er einen Haufen zerlumpter Männer, die Almosen heischten, und er erkannte nun wohl, daß er mitten in das Lager der Passauer geraten war. Viele von den Leuten glichen mehr Bettlern als Soldaten, hatten Weiberröcke und Tücher umgebunden, um sich vor der Kälte zu schützen, und die bloßen Füße, auf denen sie mühsam forthinkten, in alte Flicken gewickelt. Verdutzt und erschreckt über diesen erbärmlichen Anblick, verteilte der Herzog, was er an Münze bei sich hatte, und fragte, ob kein Leutnant oder Hauptmann da sei; denn diesem dachte er zu eröffnen, wer er sei, und ihn mit der baldigen Ankunft des Soldes zu vertrösten. Der Leutnant liege besoffen in seinem Zelte, wurde ihm mitgeteilt, er habe mit drei oder vier Soldaten einen Auszug in die nächsten Dörfer unternommen und ein Fäßlein Wein heimgebracht, jetzt müsse er den Rausch ausschlafen.
Hie und da brannte ein Holzfeuer, von dem feiner, bläulicher Rauch steil in die graue Schneeluft hinaufkletterte. Über einen großen, von Weiden und Erlen umstandenen Sumpf hatte sich eine Frosthaut gezogen, unter der es leise gluckste und polterte. Nachdem er sich aufmerksam umgesehen hatte, gab der Herzog dem Kutscher ein Zeichen, schnell weiterzufahren und sich durchaus nicht von den Heischenden oder Drohenden aufhalten zu lassen. In der bischöflichen Residenz fand er den Erzherzog Leopold mit den anderen hohen Offizieren, nämlich den Grafen Sulz und Althan, den Herren Trauttmansdorff und Ramée, die ihn höflich aufnahmen und bewirteten. Er hätte nicht gedacht, sagte der Herzog, daß es so böse im Lager aussehe; er könne den elenden Anblick nicht aus den Gedanken schlagen und sei froh, daß er das nahe Ende dieses kläglichen Zustandes ankündigen könne. Der Zahlmeister des Kaisers kam jedoch weder am nächsten noch an den folgenden Tagen, worauf der Erzherzog mit Sulz, Althan und Trauttmansdorff nach Prag abreiste, um, wie er sagte, sich nach dem Verbleib des Geldes zu erkundigen. Also blieb Heinrich Julius mit Ramée allein zurück, der ein wortkarger Gesellschafter und dem Herzoge schon durch sein Äußeres unheimlich war. Es ging nämlich durch sein eines Auge eine Narbe und verursachte, daß es von unten her aus einem Hinterhalt zu lauern schien, unabhängig von der Blickrichtung des anderen; infolgedessen war es unmöglich, aus seiner Miene etwas abzulesen, abgesehen davon, daß er auch absichtlich seine Gedanken verbergen zu wollen schien. Um sich das Zusammensein mit ihm zu verkürzen, schlug der Herzog ein Kartenspiel vor, worauf Ramée auch einging und wobei er fortwährend gewann. Er spielte schweigsam, rasch und sicher, strich schweigend das Geld ein und verteilte die