Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.das Schwert führen müsse, und hatte es getan, so gut er es verstand, tapfer und ohne sein Leben zu schonen; sie dagegen hatten ihn wegen eines fehlgeschlagenen Kriegsunternehmens, woran er sich unschuldig glaubte, kassiert. Zurücksetzungen und Kränkungen aller Art waren ihm zuteil geworden, so daß er sich endlich klargemacht hatte, er als berechtigter Erbansprecher der väterlichen Hinterlassenschaft sei ihnen im Wege. Warum ließ er sich treten von denen, die ihn ausgeplündert hatten? Er konnte leicht anderswo sein Glück finden, ja es waren ihm schon Anträge von evangelischer Seite gemacht worden; dann konnte er vielleicht den Gegnern mit Gewalt nehmen, was sie dem geduldigen Diener vorenthielten. Immer, wenn er die Möglichkeit erwog, zur Union überzugehen, störte ihn die Vorstellung, daß er sich gleichsam als ein Flüchtling und Verschmähter denen anschloß, auf die er als auf Ketzer und Rebellen herabzusehen gewohnt war; dagegen sagte er sich, daß er der Mann sei, ihnen seinen Wert zu erweisen. Das Ergebnis langer Kämpfe war, daß er den Grafen Solms bat, ihn gegen Ehrenwort zu entlassen, damit er den Erzherzog Leopold persönlich auffordern könne, ihn auszulösen, widrigenfalls er zur Union übergehen wolle; weigere sich Leopold, so sei er entschlossen, die Drohung auszuführen. Graf Solms zögerte mit der Antwort; denn er hatte die Meinung, daß das Ehrenwort eines Bastards nicht gelte, und war nahe daran, ihm dies zu verstehen zu geben. Indem er aber Mansfeld in das kluge, reizbare Gesicht sah, das sich rötete und argwöhnisch leidend verzog, weil er des Unschlüssigen Zweifel richtig deutete, besann er sich plötzlich eines anderen, reichte dem Bittenden die Hand und sagte: »Ich habe Euch kämpfen sehen wie einen Edelmann, und als einem solchen gebe ich Euch die Freiheit«, worauf Mansfeld dankte und davonritt.
Von Erzherzog Leopold, der sein erträumtes Reich von Jülich aus zerfließen sah, ohne Geld, weil er selbst keins habe, und mit den spöttischen Worten entlassen, er solle unter Freunden und Verwandten für sich sammeln lassen, kehrte er grollenden Herzens nach Düren zurück. Nicht nur redeten ihm Ansbach, Anhalt und Solms zu, sich nunmehr der Union anzuschließen, sondern Solms schenkte ihm auch die Freiheit, großmütig auf das Lösegeld verzichtend; allein das bestärkte Mansfeld in dem Vorsatz, nur an der Spitze eines Regiments, nicht als Bettler zu den bisherigen Feinden zu kommen. Einige Monate vergingen, die er im Belgischen und Luxemburgischen, werbend und streifend im Dienste des Erzherzogs, zubrachte, immer noch ein Zeichen erwartend, das ihm Anlaß gäbe, bei der alten Fahne zu bleiben. Anstatt dessen geriet er in einen Wortwechsel mit Leopold, weil dieser sich weigerte, den Söldnern, die Mansfeld für ihn geworben hatte, den Sold auszuzahlen. Im Vertrauen auf seine, des Erzherzogs, Ehre habe er den Söldnern sein Wort verpfändet, warf ihm Mansfeld vor, worauf der Erzherzog spottete, er sei ja dem Grafen Solms das Lösegeld schuldig geblieben, und derselbe habe das Recht, Mansfelds Namen auf den Schandpfahl zu schlagen. Des Lösegelds solle er ewig eingedenk sein, antwortete Mansfeld kurz, drehte sich um und verließ Leopold, entschlossen, nun ein Ende zu machen. Unter dem Vorwande, einen Futtertransport eskortieren zu müssen, verließ er mit seinem Regiment das Elsaß, wohin er sich zurückgezogen hatte, und führte es dem einstigen Feinde zu. Auf einem freien Felde hielt er eine Ansprache, in der er die Gründe, die ihn bewegten, auseinandersetzte. Er sprach von dem Geiz und der Undankbarkeit des Hauses Habsburg und wie lange er die Tyrannei desselben ertragen habe in der Meinung, es müsse so sein, daß einige Hunger und Durst, Frost und Hitze, Entbehrung und Mangel litten, während andere in Überfluß, Gütern und Titeln schwelgten. Es sei nicht so; das Evangelium der Freiheit sei längst ausgegangen in die Welt, man hätte es ihnen aber vorenthalten. Zur evangelischen Freiheit wolle er von nun an sich halten. Er sei als Fürst geboren und aufgewachsen so gut wie ein Erzherzog, das Haus Habsburg habe ihn seines Landes und seiner Rechte, so wie sie ihres Soldes, beraubt. Er sei jetzt, obwohl ein Fürst, arm, habe aber ein Schwert, mit dem er sich die Welt erkämpfen könne. Dem Schwert und der Freiheit wolle er vertrauen; wie er sie nicht verließe, sollten sie ihm treu bleiben.
Diese und ähnliche Worte sprach er vom Pferde herunter, den Hut in der Hand, zu den Soldaten, die ihm als einem verwegenen und großmütigen, wenn auch mitunter maßlos heftigen Führer im ganzen zugetan waren. Die meisten jubelten ihm zu, um so mehr, als sie größtenteils Protestanten waren; andere gingen einstweilen mit, um sich gelegentlich zu verlieren, wenn ihnen der Wechsel nicht zusagen sollte; nur wenige kehrten aus Anhänglichkeit an die einmal ergriffene Sache oder aus Mißtrauen gegen die neue zurück.
Während im Nordwesten des Reiches die Waffen klirrten, reisten die Kurfürsten von Köln, Mainz und Sachsen nach Prag zu einem Konvent, den der Kaiser zur Beratung der schwebenden Fragen ausgeschrieben hatte, nämlich der Jülicher Sukzession, des Streites um Donauwörth, seines Handels mit Matthias und der Nachfolge im Reich. Wegen der Aussöhnung des Kaiser mit Matthias hatte sich Ernst von Köln während des Winters längere Zeit in Prag aufgehalten, aber keine Audienz beim Kaiser erhalten können, so daß er über die Einladung, die er gleich nach seiner Rückkehr erhielt, füglich erstaunt war; da jedoch die mildere Jahreszeit heranrückte und die Kriegsfrage für ihn als Nachbar von Jülich von hohem Belang war, machte er sich geduldig wieder auf den Weg. Im ganzen sahen die Herren einer fröhlichen Zeit entgegen, da sie in Prag Gäste des Kaisers sein sollten, der zu großer Verlegenheit des Finanzrates die Fürsten üppig zu bewirten liebte.
Nach feierlicher Eröffnung durch den Kaiser leitete der Konvent seine Tätigkeit dadurch ein, daß er von mehreren Universitäten Gutachten über die verwickelte Jülicher Erbfolge einzuholen beschloß, welcher denn von den verschiedenen Erbansprechern, zu denen auch der Kurfürst von Sachsen gehörte, das beste Recht hätte. Sie waren noch in Erwartung der Antworten, als die Nachricht von der Ermordung Heinrichs IV. von Frankreich eintraf, wodurch die Kriegsgefahr sich erheblich verringerte. Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, der wegen seines Streites mit der Stadt Braunschweig sich schon vor mehreren Jahren persönlich mit dem Kaiser in Verbindung gesetzt und ihn ganz auf seine Seite gebracht hatte und der auch jetzt wieder in Prag anwesend und von dem ihm besonders vertrauten Kaiser zum Konvente zugezogen war, gab bei dieser Gelegenheit ein Gastmahl, dessen vornehmste Tafelzierde ein die Judith mit dem Haupte des Holofernes darstellendes Schaustück bildete. Es bestand aus Mandeln, Honig und Mehlteig und war dadurch merkwürdig, daß der Zuckerbäcker auf Anweisung des Herzogs von Braunschweig dem von der Judith am Schopfe gehaltenen Haupte die Züge Heinrichs IV. zu geben versucht hatte. Er sei selbst in der Werkstatt des Meisters gewesen und habe nicht ungeschickt mit zugegriffen, erzählte der Herzog seinen Gästen, die denn auch die Arbeit wohlgelungen und des Königs Nase und Bart wohlgetroffen fanden. Der rüstigen Mörderin, erklärte der Herzog, habe er nur das Gesicht eines beliebigen schönen, gesunden Weibsbildes geben lassen, denn er wisse nicht, wie der Mann beschaffen sei, der den König erstochen habe, auch sei das Ganze mehr als ein Symbolum aufzufassen. Wer er auch sei und ob man auch die Mordtat nicht billigen könne, sagte der Erzbischof von Köln, so sei sie, wenn nicht auf Anstiftung, doch unter Zulassung Gottes geschehen, der das fromme Kaiserhaus augenscheinlich beschütze. Der kecke und unruhige Geist des Königs hätte ein hübsches Kriegsfeuer am Rheine anzünden können, daran sie lange zu löschen gehabt hätten. Ja, sagte Kurfürst Christian von Sachsen, mit Frommsein und Zuwarten übe man meist die feinste Politik aus, indem Gott die Entscheidung in allen Dingen zustehe und er alles zum Besten der Frommen einrichte.
Um nun die Jülicher Frage vollends zum Ende zu bringen, erklärte sich der Kaiser einverstanden, den Kurfürsten von Sachsen mit dem erledigten Herzogtum zu belehnen, welche Handlung gleich während des Konventes feierlich vollzogen werden sollte. Hatte Rudolf es auch bereits seinem Neffen Leopold versprochen, so konnte doch inzwischen der sächsische Kurfürst damit zufriedengestellt werden, den als den mächtigsten evangelischen Fürsten von Zeit zu Zeit durch eine unvorgreifliche Vergünstigung zu verpflichten ein Hauptstück der kaiserlichen Regierungskunst im Reiche war. Mit Eifer nahm sich dieser Sache der Herzog von Wolfenbüttel an, indem er für die richtige Ausführung des Belehnungsaktes nach den Vorschriften der Goldenen Bulle, die er auswendig wußte, Sorge trug. Die Fürsten, welche seine Gelehrsamkeit bewunderten, fügten sich seinen Anordnungen und kamen in dem Gasthof, den er bewohnte, zusammen, um dem Kurfürsten von Sachsen seine Rolle einzustudieren. Christian nämlich war von großer, breiter, muskelstarker Gestalt, hatte sich als Jüngling bei Turnieren ausgezeichnet und pflegte sich von den Bildhauern als Herkules darstellen zu lassen; aber das übermäßige Trinken hatte ihn aufgeschwemmt und zu einer trägen, unförmigen Masse gemacht, so daß es nicht leicht war, ihn seinem alten Ruhme gemäß eindrucksvoll zu verwenden.