Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch

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Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3) - Ricarda Huch


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Pilsen erkrankte einer der reichsten böhmischen Standesherren, Albrecht Johann Smirsitzky, und starb in seinem Hause in Prag, wohin er sich hatte bringen lassen. Er war mit der Prinzessin Amalie von Hanau, einer Enkelin Wilhelms I. von Oranien, verlobt gewesen, die den Bräutigam tief betrauerte und ihr Bild an einer Kette nach Prag schickte, damit es zu ihm in den Sarg gelegt werde. Der junge Mann, der ein wildes und liederliches Leben geführt hatte, war in ihren Augen ein Glaubensheld, da er sich bei der Defenestration der katholischen Räte als einer der Eifrigsten mit eigener Hand beteiligt hatte, und sie hielt sein Andenken heilig. Noch bevor ein Jahr verflossen war, heiratete sie den nunmehr ältesten Sohn des Landgrafen von Hessen-Kassel, Wilhelm, dem sie zwar nicht an Bildung, aber an Gesundheit und Tatkraft überlegen war und der sich ihr mit ganzem Herzen hingab.

      Spät an einem Dezemberabend des Jahres 1618 in Straßburg begab sich der Professor der Geschichte Matthias Bernegger mit seinen Schülern zum Münster, um den seit einiger Zeit sichtbar gewordenen Kometen zu betrachten. Bernegger hatte der Religion wegen seine oberösterreichische Heimat verlassen müssen und an der Straßburger Akademie eine Anstellung gefunden. In seinem Hause, das ein fröhlicher Sinn und tätiger Geist belebte, wohnten stets einige Studenten, die liebevoll und dankbar an ihm hingen, nicht selten aber auch ihn ausnützten und betrogen. Dies pflegte seiner Liebe keinen Eintrag zu tun, wie er denn immer mit innigem Anteil von dem Schlesier erzählte, der lateinische Verse aus dem Stegreif machte, zur Mandoline sang und, wenn er ihm Geld abborgte, ihn so unschuldig schelmisch ansah, als ob er ihm im voraus zu verstehen geben wollte, daß er es nie zurückgeben werde. Ebenso von jenem Basler, der durchaus nichts lernte, sei es, daß er es nicht konnte oder daß er keine Lust dazu hatte, aber seiner Frau in der Küche so anstellig zur Hand ging, daß sie nicht mehr ohne ihn fertig werden konnte, der freilich auch einen ärgerlichen Handel mit einer Dienstmagd anstellte, so daß Bernegger um seinetwillen bittenderweise bei den Ratsherren umherlaufen und bei Freunden eine Anleihe machen mußte, um den Schaden einigermaßen zu decken. Noch mehr Not hatte er mit dem von Küssow, einem jungen Pommer, auszustehen, der sich betrank und niemals bezahlte und, wenn Bernegger einen Zweifel aussprach, ob er auch zu dem Seinigen kommen würde, stolz entrüstet sagte, er sei von uraltem deutschem Adel, wolle lieber das Leben einbüßen als die Ehre und fordere jeden vor sein Schwert, der ihm zu nahe träte. Er war faul und begriff nichts, konnte aber gut rechnen und löste, wenn er nüchtern war, die längsten und schwierigsten Aufgaben so geschwinde, als ob sie ihm jemand einbliese.

      Während der kleine Trupp, von einem Laternenträger geführt, durch die nebelerfüllten Gassen schritt, erzählte Bernegger von dem Kometen und seiner etwaigen Bedeutung. Viele glaubten, sagte er, ein Komet zeige insbesondere den Tod hoher Herren an, und nachdem kurz vor seinem Erscheinen der Erzherzog Maximilian, sechzigjährig, gestorben sei, habe man ja nun auch den Tod der Kaiserin Anna erfahren müssen, und von bedenklicher Leibesschwäche des Kaisers werde viel gefabelt. Andere bezögen die drohende Fackel mehr auf Krieg und Pest, und auch das könne ja nur allzuleicht eintreffen, da von gewisser Seite, nämlich von den Jesuiten, ungescheut zum allgemeinen Kriege aufgerufen werde und der Krieg schon für sich eine Pest sei. Er wolle ihnen, seinen Schülern, aber nicht verhalten, daß einzelne, zum Beispiel der große Kepler, den er mit Stolz seinen Freund nenne, von solchen Andeutungen nicht viel hielten, indem Kepler auf alle Erscheinungen der Welt die physikalischen Gesetze angewendet wissen wollte, welche wohl Gottes Größe im allgemeinen offenbarten, nicht aber seinen Willen in bezug auf die menschlichen Geschicke im einzelnen. Er wies auf Keplers großes Werk von der Harmonie der Welt hin, wonach die ganze Welt mit Einschluß der Erde in sich zusammenhänge und durch sich bestehe; freilich wären dies alles gefährliche Wahrheiten oder gar nur Hypothesen, denen vorzüglich die Jugend sich nur behutsam nähern dürfe.

      Unter solchen Reden gelangten sie bis dicht vor die plötzlich aus dem dunstigen Dunkel auftauchende Mauer des Münsters, und indem Bernegger seine Herde überblickte, bemerkte er, daß der Pommer fehlte. Wo denn der von Küssow geblieben sei? fragte Bernegger erstaunt die anderen. Den lockten andere Sterne, sagten die jungen Leute lachend, er werde wohl in irgendein Seitengäßchen entschlüpft sein. Bernegger schüttelte seufzend den Kopf und sagte: »Hätte der junge Böotier nicht auf dem Heimwege davonlaufen können?«

      Inzwischen hatte der durch ein Glockenzeichen herbeigerufene Turmwärter das Pförtlein geöffnet und versicherte während des Aufstiegs, daß der Himmel klar sei; der Nebel liege nur wie ein ausgebreitetes Laken über den Dächern. In der Tat empfing die aus dem engen Schacht auf die Plattform Tretenden der klare Raum, aus dem alles Trübe, Dunstige und Schwere ausgeschieden und in die Tiefe hinabgestoßen zu sein schien; neben sich sahen sie den schlanken Turm wie einen Speer in die diamantene Luft schweben. Bernegger lehnte sich an die Mauer und blickte ein wenig betäubt in das festliche Gewimmel der Sterne. Haben etwa doch diejenigen recht, dachte er, welche behaupten, es sei unerlaubt, natürliche Gesetze auf die göttlichen Geheimnisse anzuwenden? Ist es nicht Frevel von uns Zwergen, das grenzenlose Kleid Gottes ausmessen zu wollen? uns einzubilden, Gott, der ohne Anfang und Ende ist, der aus dem Nichts schafft, teile mit uns kurzlebigen Würmern dieselben Gesetze? Gleichzeitig dachte er mit Bewunderung des Mannes, der mit mächtigem Finger in das Flammenchaos ewige Linien schrieb, und es schien ihm, als könne Gott dem wagenden Geiste, der sich seinen Spuren nachschwang, um ihn zu erkennen, nicht zürnen.

      Sich zu seinen Schülern wendend, fragte er plötzlich, was denn nach ihrer Meinung den Menschen vom Tiere unterscheide? und erhielt zur Antwort, das tue der Gedanke. »Wohlan,« sagte Bernegger, »mißtrauet immer denen, die euch abhalten wollen zu denken; aber vergeßt niemals, daß das Denken von Gott stammt und zu Gott führen muß.« Dann zeigte er ihnen die Planeten, welche sichtbar waren, die Sternbilder und den Kometen, der seinen ansehnlichen Schweif quer durch die Milchstraße zog. »Gleicht er nicht«, sagte er, »einem wütenden Stier, der blind in eine Herde fromm weidender Kühe hineinstürmt?« Verhoffentlich wäre dies Himmelsbild kein Vorspiel der Zukunft, sondern diente den streitenden Menschen zur Warnung, daß sie lieber die Rosse vor den Pflug schirrten und die Erde sich zum Nutzen pflegten und schmückten, anstatt sie durch ihre Hufe zerstampfen zu lassen.

      Er habe immer gehört, sagte der Turmwart ein wenig mißvergnügt, daß die Kometen die notwendige Bestrafung der Menschen anzeigten und deshalb auch die Gestalt einer Zuchtrute hätten, welche Gott dräuend aushänge. Auch sei er überzeugt, daß zu keiner Zeit die Menschen mehr und gründlicher ein Strafgericht verdient hätten durch Bosheit, Lüge, Abgötterei und Ruchlosigkeit aller Art, so daß es ihn nicht wundernehmen würde, wenn Gott sie allesamt mit einem Staupbesen wie Sodom und Gomorrha von der Erde fegen sollte.

      Es sei im Plutarch zu lesen, erzählte Bernegger, daß vor der Verschüttung der Städte Herkulaneum und Pompeji durch den Vesuv ein rotgeschwänzter Komet mehrere Monate am Himmel gestanden habe. Auch jetzt vernehme man wieder von einem Rumoren und Zischen im Innern des Vesuvs, und sei es ja wohl möglich, daß die durch den Kometen in der Sternenwelt hervorgerufene Unordnung sich im Bauche des Erdplaneten spiegle.

      Einer der Schüler bemerkte, daß Italien der Sitz des Antichrist sei und die geweissagte Katastrophe also füglich dort Platz greifen könnte, vielleicht stehe gar der Umsturz der päpstlichen Tyrannei bevor.

      Bernegger schüttelte den Kopf; Venedig habe den Stuhl des Papstes wohl ein wenig ins Wanken gebracht, aber nun stehe er fester als zuvor.

      Die Böhmen seien doch aber in Aufruhr und wollten einen evangelischen König, sagte der Schüler. Wenn sich alle österreichischen Länder ihnen anschlössen, so könne etwa noch von dort aus die gereinigte Kirche über ganz Europa wachsen.

      Er möchte lieber wünschen, sagte Bernegger, das Feuer bliebe auf Böhmen beschränkt und man könnte, wie man bei Waldbränden zu tun pflegte, durch Ausroden ringsum eine Insel aus dem Lande machen, von der die Funken nicht anderswohin übersprängen und zündeten. Schließlich aber könnten sie auf alle Fälle Gott danken, daß sie in der freien Stadt Straßburg wie auf einem glückseligen Eiland säßen, hinter dessen guten Mauern und Rechten man den Kriegsschwall nur wie fernes Meerbrausen höre.

      In der Stadt Straßburg, murrte der Turmwart, sei es auch nicht mehr, wie es sein solle, wer die Augen offen halte, könne auch hier den leidigen Teufel durch die Gassen schwänzeln sehen, und man müsse sich nur der Langmut Gottes verwundern, mit der er die gebührende Strafe noch immer


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