Michael Unger . Ricarda Huch

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Michael Unger  - Ricarda Huch


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wurde durch niemandes Ansicht beeinflußt, sein Widerstand, sein Schmerz konnte auf niemanden abgeleitet werden, diese Spitzen mußte er alle selbst in seine Brust drücken und ihnen standhalten oder erliegen.

      Zustatten kam ihm, daß das Befremden und die Entrüstung seiner Eltern über seine Pläne, auch wenn man ihren angewöhnten Anschauungen große Zugeständnisse machte, so unverhältnismäßig waren, daß er von selbst in die kriegerische Stimmung geriet, die ihm not tat. Kein Grund faßte Wurzel bei ihnen; vergebens führte er an, daß sein Austritt aus dem Geschäfte dasselbe nicht schädige, daß er, wenn sie sich nach einer gewissen Reihe von Jahren mit seiner neuen Wirksamkeit nicht ausgesöhnt hätten, wieder eintreten könne, daß in jedem Falle das Streben, seinen Geist auszubilden, seine Kräfte alle zu entwickeln, nichts Schändliches sei, daß viele dasselbe getan hätten und deswegen gelobt würden; über alles gingen ihre eintönigen Klagen und Vorwürfe weg, ohne sich mit einem Worte darauf einzulassen. Der Streit wurde vollends dadurch erbittert, daß Waldemar seine letzte Hoffnung auf seinen Freund Peter Unkenrode setzte, von dessen Überlegenheit er eine solche Meinung hatte, daß er nicht zweifelte, sein Sohn würde sich ihr beugen, wenn sie mit gesammeltem Nachdruck auf ihn wirken wollte. Michael konnte nicht umhin, zu lächeln, als Waldemar ihm eine Zusammenkunft mit seinem Freunde vorschlug, und fragte verwundert, was er sich denn davon verspräche? Ob er glaubte, er würde den Vorstellungen eines Fremden mehr Gehör schenken als denen seines Vaters, der ihm so verehrungswürdig und teuer wäre? Was könnte Peter Unkenrode ihm Neues sagen, und vor allen Dingen, wie könnte er sein Streben und seine Sehnsucht dem Geldmanne begreiflich machen, der nie etwas Höheres vom Leben begehrt hätte als Reichtum und eine angesehene Stellung unter den Leuten? Diese Worte, begleitet von dem Lächeln, das ihm geringschätzig vorkam, erzürnte Waldemar mehr als alles Vorhergegangene. »Kannst du dich denn herablassen«, rief er in lauter Wut, »deine Sehnsucht mir begreiflich zu machen? Glaubst du etwas Höheres und Besseres werden zu können als ein Ehrenmann, der sein Leben lang nie einen Fußbreit vom rechten Wege abgewichen ist, den seine Mitbürger schätzen und bewundern, dessen fleckenloser Name auch von denen, die ihn nicht persönlich kennen, mit Achtung genannt wird? Glaubst du, weil du ein unruhiges Gelüste nach Veränderung hast, das du mit hohlen Worten ausputzest, und pflichtvergessen wie ein Knabe dich davon hinreißen läßt, du dürftest Männer verachten, die auch ihre Versuchungen gehabt, die sie aber bekämpft und bestanden haben?«

      Michael hörte schweigend mit den peinlichsten Gefühlen zu und antwortete nicht. Er bemerkte, wie verändert die Züge des im Zorn geröteten Gesichtes waren, die Nase dicker und mehr nach vorn gebogen, die Wangen schlaffer, der Mund gröber, und dachte, daß sein Vater zu altern anfinge, und daß es vergebens sein würde, ihn an seinem künftigen Leben teilnehmen zu lassen oder nur ihm Duldung seiner Ideale abzuringen.

      Auf heftige unfruchtbare Kämpfe folgte eine müde, kalte Stille zwischen allen. Michael dachte daran, wie er sich von Kindheit an in blinder Vergötterung seinem Vater angeschlossen und geflissentlich jede geistige Regung, die jenem fremd war, in sich unterdrückt hatte. Er zürnte ihm deswegen nicht, aber er fragte sich, ob diese gerühmte Kindesliebe, diese selbstopfernde Hingebung etwas Schönes, nicht vielmehr etwas Verderbliches sei. Wer konnte leugnen, daß es größere Helden gab, denen er die Nachfolge hätte geloben können, und mit reicherem Ertrage für sich, als seinem Vater, der ein schwacher und beschränkter Mensch war. Er versuchte sich zu besinnen, ob sein Vater immer so gewesen wäre wie jetzt, oder ob ihn nur die Jahre kleinlicher machten. Warum hatten sie sich alle so viel mehr gedünkt als die anderen Menschen, mit denen sie verkehrten oder von denen sie wußten, und auf die sie wie auf ein kleineres, armseligeres Geschlecht herabgesehen? Alles bestärkte ihn mehr darin, daß er frei werden mußte, sei es auch nur, um einen klaren Blick über alle diese Fragen und Verhältnisse und eine richtige Wertschätzung seiner selbst zu gewinnen.

      Verena fühlte sich so sehr als die an der Seite ihres Mannes kämpfende Genossin, daß sie das, was Rose betraf, vergessen zu haben schien; aber ihr Beistand, wie der Arnold Meiers, war ihm ebenso quälend wie das Widerstreben der anderen. Es war nun einmal so, daß jeder Gedanke, den sie äußerten, in der Meinung, ihm beizustimmen, den seinigen nie ganz deckte, daß er immer irgendeinen Mißklang hörte, wo sie ganz in seinem Sinne zu sprechen glaubten, so sehr, daß ihn zuweilen Mißtrauen gegen sich selbst anwandelte, wenn er sie wiederholen hörte, was er als seine innerste Überzeugung ausgesprochen hatte. Nützlicher wurde ihm eine zufällige Äußerung Raphaels, die den Ausweg ins Auge fassen ließ, er könne Michaels Stelle im Geschäfte ausfüllen.

      Es hing damit zusammen, daß Raphael selbst die Zuversicht nicht hatte, er würde jemals ein Kunstwerk von Bedeutung hervorbringen, weswegen er sich zwar nicht geringer einschätzte, aber doch allmählich bedenklich wurde, was für eine Stellung in der Gesellschaft er einmal einnehmen sollte. Ihm stand, wie er glaubte, die Allseitigkeit seiner Begabung im Wege, die ihn bald zur Musik, bald zur Poesie, bald zur Malerei zog; ferner hatte er sich eine Theorie erdacht, wonach die größten Kunstwerke die innerlichen wären, die überhaupt nie zu einem Ausdrucke gelangten. Die größten Meister, sagte er einmal, hätten – was freilich paradox klinge – ihre Schöpfungen dadurch beeinträchtigt, daß sie sie machten. Es sei einmal unmöglich, einen Schmetterling zu greifen und festzunageln, ohne ihm den Schmelz abzustreifen. Ein einziger Gedankenstrich oder ein Ausrufungszeichen könne eine schönere Dichtung sein, als die berühmteste Tragödie. Als Michael einwarf, demnach wären die Schreibhefte, die er als sechsjähriger Knabe geschrieben hätte, eine Fundgrube von Meisterwerken, entgegnete Raphael, es käme freilich darauf an, was einer bei den Gedankenstrichen und Ausrufungszeichen empfunden und gedacht hätte, was in Zukunft vielleicht einmal geübte Augen den Schriftzeichen ansehen könnten.

      In der letzten Zeit war Raphael eine Liebschaft eingegangen, die ihn mehr Geld kostete, als sein Vater ihm zum Verbrauch angewiesen hatte, und da er sogar mit dem Gedanken umging, das betreffende Mädchen zu heiraten, erschien ihm plötzlich Michaels Stellung vergleichsweise beneidenswert, und er warf es ihm vor, daß er mit seinem glänzenden Lose unzufrieden wäre.

      Michael griff dieses hingeworfene Wort auf, und indem er Raphael erklärte, es stehe bei ihm, diese Stellung selbst einzunehmen, ging ihm klar auf, daß hier die Erlösung liege und daß sein Austritt aus dem Geschäft, wenn er dadurch Raphael Platz machte, vernünftigerweise als eine Wohltat, ja fast Notwendigkeit für diesen angesehen werden müsse. Verena und Arnold Meier, die bei dem Gespräch gegenwärtig waren, konnten sich nicht so flink auf diesen Standpunkt stellen, besonders Arnold Meier redete lebhaft auf Raphael ein, sich nicht durch zufällige Umstände und Stimmungen zu einem so verhängnisvollen Entschlusse hinreißen zu lassen. »Stecke deine Hände nicht in Geldgeschäfte«, sagte er. »Du hast weiße, faule Künstlerhände, die bisher nur gespielt und getändelt haben und ungeschickt zur Goldgräberei sind. Wenn du durchaus etwas werden willst, um einen Titel oder ein Amt zu haben oder Geld einzunehmen, und das Dichten dir nichts abwirft, so werde in Gottes Namen Schulmeister oder Schreiber; aber laß dich nicht in die große Goldmühle werfen, wo du unfehlbar zwischen die Räder kommen und gemahlen werden wirst.«

      Michael warf einen hochmütig zürnenden Blick auf den eifrigen kleinen Juden und sagte: »Wenn Raphael Künstler wäre, würde er nie einen Kaufmann um sein Los und sein Geld beneidet haben. Wollte er dennoch dafür gelten, würde er ein Heuchler oder ein Affe werden, der das Pathos der Begeisterung karikiert, und müßte erröten und sich verstecken, wo ein echter, göttlicher Hauch weht. Ist er dazu zu stolz und zu einsichtig, soll er töricht genug sein, Schulmeister oder Schreiber zu werden mit den weißen, faulen Händen, die nur getändelt haben? Mit dem Anspruch, in dem er aufgewachsen ist, in der feinsten Gesellschaft der Erlesenste zu sein? In unserem großen Geschäfte, das einmal seinen Gang geht, wo viele Köpfe und Hände arbeiten, kann er mitwirken, ohne sich zu überanstrengen und ohne doch ein buntes Aushängeschild vor einer leeren Kammer zu sein. Ich sehe keinen anderen Weg für ihn, ein Mann zu werden, der sich selbst achten kann.«

      Während Arnold Meier und Verena staunend auf Michael sahen, blickte Raphael erschreckt von einem zum anderen und fuhr sich mit der Hand durch die braunen Locken, unfähig, eine Erwiderung zu finden. Er konnte die Lage durchaus nicht übersehen und hatte das Gefühl, als würde er hilflos einem unerbittlichen, unberechenbaren Schicksal ausgeliefert, das mit ihm, dem Wehrlosen, schaltete. Teils lockte ihn die Aussicht, Geld zu verdienen und soviel er Lust hätte


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