Michael Unger . Ricarda Huch

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Michael Unger  - Ricarda Huch


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Universität ausgewählt, weil sie beträchtlich weit von seiner Heimat entfernt war, was ihm jetzt aus mehreren Gründen angemessen zu sein schien; übrigens kannte er sie nicht aus eigener Anschauung und kaum aus Beschreibungen, und hatte nicht vorausgesetzt, daß er sich so bald in ihr vertraut fühlen würde. Zwar kam er nicht im Frühling, sondern im Herbst an, doch gaben auch die Fruchtbäume, die mit Stangen gestützt werden mußten, um die Pracht der gelbroten Äpfel und der Pflaumen tragen zu können, ihre malerischen Schatten auf den unendlichen hügeligen Wiesen, und die Traubenfülle und die fernen und nahen farbigen Wälder einen Anblick, an dem sich ein williges Gemüt erheitern und stärken konnte. War es dies oder die reinere Luft von den Bergen her, oder die Fülle von neuen Lebensbildern: in kürzerer Zeit, als er es für möglich gehalten hatte, gelangte Michael zu energischem Genusse seiner Freiheit. Als er die Erklärung abgegeben hatte, Medizin studieren zu wollen, war das keineswegs der Ausdruck eines langgehegten Wunsches oder reiflicher Überlegung gewesen, sondern er hatte den Wurf gewagt, weil er einen mehr praktischen als theoretischen Beruf seinen Talenten am angemessensten hielt, weil er glaubte, es würde seinem Vater am ehesten einleuchten, und weil ein anderes Studium ihm auch nicht alles das zu versprechen schien, wonach er noch ohne Klarheit strebte. Jetzt, wo er sich ruhig besann und umsah, fing er an, sich über seine Wahl zu freuen, die ihm reichlich ermöglichte, was er allmählich als Ziel seiner Sehnsucht begriff, in Mensch und Leben näher einzudringen. Stieß auch hier manches ab und lockte dagegen manches andere, so sagte er sich in frohester, zuversichtlicher Stimmung, es sei im Grunde gleichgültig, an welchem Zipfel er die Wissenschaft ergriffe, es müsse sich doch überall zu demselben Kern gelangen lassen.

      Es trug dazu bei, ihn sicher und glücklich zu machen, daß er sich allerseits von treuherziger Zuneigung umgeben fühlte. Sein Äußeres zog mächtig an; der hohe Ernst auf seiner offenen Stirn, das Wohlwollen in seinen warmen Augen, die weibliche Süßigkeit und Entschiedenheit seines Mundes, und seine freie, ruhige Haltung und einfache Liebenswürdigkeit im Verkehre machten ihn vollends beliebt und fast unwiderstehlich. Sein Alter und seine Lebensstellung hoben ihn aus der Menge der übrigen Studenten hervor, und sein im einzelnen unbekanntes Schicksal, denn er war nicht gerade mitteilsam und hielt auch aus Bescheidenheit zurück, was man ihm nicht abfragte, vermehrten die Teilnahme, die er erweckte. Es glückte ihm verhältnismäßig leicht, mit einem Manne in persönliche Beziehungen zu treten, der ihm das größte Interesse und bald eine Art verliebter Bewunderung einflößte, nämlich mit seinem Lehrer in der Zoologie und Botanik, welche Fächer zunächst die bedeutendsten für ihn waren.

      Diesem sich als ergebener Schüler anzuschließen, war an der Universität etwas Herkömmliches, und es geschah nicht nur von Seite derer, die Naturwissenschaften studierten, sondern auch von Theologen, Philosophen und Literaten, sowie von Männern und Frauen der Stadt, die, ohne gerade gelehrte Bildung zu besitzen, sich doch an seinem geistreichen Vortrage erfreuen konnten. Er hieß Freiherr Gilm v. Recklingen, wurde aber schlechthin der Freiherr oder der ›Freiherr vom Geist‹ genannt. Der Freiherr pflegte bei öffentlichen Anlässen eine Menge Orden auf der Brust zu tragen, die ihm verschiedene Fürstlichkeiten verliehen hatten, und es wurde erzählt, als jemand sich erkühnt hätte ihn zu fragen, warum er das täte, da er sich doch gelegentlich ungemein wegwerfend über die hohen Herren geäußert hätte, von denen die Orden stammten, hätte er gesagt: »Wenn einem Sultan Tribute von Schmeichlern oder von beherrschten Völkern dargebracht werden, nimmt er sie an, ohne sich zu Gegendiensten oder zu ehrerbietigem Danke zu verpflichten. Wenn einige Leute, die so gestellt sind, daß allem, was sie tun, vom Volke Wichtigkeit beigemessen wird, in meiner Person dem Geiste huldigen, von dem sie wissen, daß er mehr Macht hat als sie, bringe ich diese Huldigung zur öffentlichen Anschauung, damit ihre lobenswerte Einsicht bekannt wird, und das Volk, das nicht selbst denkt, sondern nachbetet, seine Anschauungen danach bildet.« Ob seine Benennung ›Freiherr vom Geiste‹ von dieser Äußerung herrührte, oder ob sie wegen irgendeines im Vortrage gebrauchten Ausdruckes von der Studentenschaft ausgegangen war, ließ sich nicht mehr feststellen: sie leuchtete ohne weiteres ein, wenn man ihn sah und sprechen hörte. Trotz der allgemeinen Verehrung, die ihm dargebracht wurde, hielten sich viele von ihm fern, weil ein natürlicher Hochmut in seinen Zügen und seinen Sitten und eine schroffe Art, das, was anderen wichtig schien, obenhin zu behandeln, einschüchterte und abschreckte. Auf Michael war ein vornehmer Name im allgemeinen nicht geeignet, Eindruck zu machen, da ihm die Neigung seiner kaufmännischen Vaterstadt im Blute lag, sich dem Adel gegenüber eher mißtrauisch und hoffärtig ablehnend zu verhalten. Dem Freiherrn gegenüber, der selbst ohne Vorurteile war, konnten etwaige Vorurteile nicht lange bestehen: soweit sein Adel sich in der Erscheinung und im Auftreten zeigte, hatte er sogar besondere Anziehungskraft für Michael, der so bescheiden war, das Bedeutende sich gern in bedeutenden Formen darstellen zu sehen und selbst dahinter zurückzutreten.

      Der Freiherr hatte sich in jungen Jahren durch eine Untersuchung über Tiere der Tiefsee hervorgetan, der in kurzem Zeitraum mehrere andere folgten, die alle von seinem Scharfblick und der Genauigkeit seiner Forschung glänzendes Zeugnis ablegten. Hauptsächlich durch diese Eigenschaft erwarb er sich einen hervorragenden Platz unter den Naturforschern; was aber seinen Arbeiten den ungewöhnlichen Reiz und ihren dauernden Wert verlieh, war die überlegene Anschauung des Allgemeinen, aus der alles hervorging. Weltall und Weltseele waren ihm nicht bloße Worte, sondern innerstes Glaubensbekenntnis, und in der Überzeugung vom Zusammenhange aller Erscheinungen und von ihrer Wesenhaftigkeit war ihm das Große wie das Kleine gleich heilig und wichtig. Ihm war die Erde ein lebendiger Leib und wiederum auch ein Glied des ungeheueren Gestirnleibes; ebenso begriff er jede Pflanze und jedes Tier als selbsttätige Seele, die aber doch erst verständlich wurde als Glied eines allgemeinen Wesens, das man Tierreich und Pflanzenreich nennt. Er stand nun aber der Welt nicht als sinnender Beschauer, sondern mit unerbittlich richtendem Auge gegenüber, und es mochte gerade die persönliche Anteilnahme sein, die seine Zuhörer mit so einzigem Zauber fesselte.

      Seine religiös-philosophischen Anschauungen hatte er in besonderen Werken niedergelegt, die zwar von einigen mit Bewunderung studiert und von vielen genannt wurden, aber ebensoviel Gegner hatten und im ganzen wenig Leser fanden. Hier stellte er Gott, von dem er ausging, unter dem Bilde einer allumfassenden Geistsonne vor, die die ganze Welt durchflammt, durchleuchtet und durchwärmt. Er stellte ihr die Nacht als die untergeordnete, weibliche Ergänzung, die Gebärerin der unendlichen Geschöpfe, gegenüber, in deren Schoß alles zurückkehrt, was nicht als Licht in die Geistsonne eingegangen ist. Alles, was lebt, ist von ihr durchschienen, und insofern sind, wenn man die Wege Gottes kennenlernen will, Steine, Pflanzen, Tiere ein ebenso ersprießliches Studium wie der Mensch; aber nur in ihm, wo ihre Strahlen sich spiegeln, kann die Hingabe an sie möglich werden, die Ziel alles Lebens ist. Leider wären aber, sagte er, die Menschen der unweisen Mutter zu vergleichen, die, als sie die Göttin dabei überraschte, daß sie ihr neugeborenes Kind in das Feuer hielt, damit es seine Sterblichkeit verzehrte, erschrak und den läuternden Vorgang störte.

      Die Werke durchzuarbeiten, in denen er sein System ausgeführt hatte, war in der Tat für jeden, auch den willig folgenden und zu gründlichem Studium entschlossenen Leser eine schwierige Leistung. Das lag zum Teile an der Mystik des Inhaltes wie der Form, teils aber daran, daß der Freiherr es verschmähte, sich auf den Standpunkt des Unkundigen zu versetzen, und geflissentlich so schrieb, als ob es nur für ihn selbst bestimmt wäre; eine Unfolgerichtigkeit, da er seine Werke doch drucken ließ, zu deren Erklärung er anführte, daß er sie aufs Geratewohl hinwürfe, damit die wenigen, die auf gleicher Stufe und in gleicher Richtung wie er lebten, sich daran orientieren könnten. Die in seinen Büchern ausgesprochenen und aus seiner allgemeinen Ansicht hervorgehenden Meinungen waren durchaus in ihm lebendig. Er verachtete nicht nur das offenbar Niedere und Grobsinnliche, sondern auch das meiste von dem, das die Gebildeten zu entzücken pflegt, als geistlose Erstgeburt, Seelenballast, Ausdrücke, womit er das an sich Unwesentliche oder notwendig Vergängliche bezeichnete, gab sich aber nicht damit ab, die Irrenden eines Besseren zu belehren.

      Das erste Zeichen von Zuneigung gab der Freiherr Michael dadurch, daß er ihm zuredete, das Studium der Medizin aufzugeben oder, wenn er dabei bleiben wolle, Universitätslehrer statt praktischer Arzt zu werden. »Stehen Sie davon ab«, sagte er, »um Geld zu heilen, was noch übler ist, als um Geld zu lehren. Sie werden als Arzt bald von der Wissenschaft abkommen und nichts anderes mehr im Auge haben, als wie Sie die Leute so schnell wie möglich wieder auf die Beine


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