Die Romantik. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.aufsteigen. Ohne Zusammenhang mit der Erde ist er wie eine märchenhafte Fieberblume, die sich nur von Licht nährt, wie ein losgerissenes Blatt, das beweglich auf ewig bewegten Wellen schwankt. In dem Wahne ebenso gut das eine wie das andre thun zu können, ebenso gut ja wie nein sagen zu können, fühlt er sich charakterlos und scheint es. Darin liegt die Unmännlichkeit, die den meisten Romantikern eigen war. Sie haben nie eine feste Ueberzeugung, es ist ihnen niemals ganz Ernst; wenigstens scheint es so. Tieck erzählte in späteren Jahren seinem Freunde Solger, wie er sich in der Jugend mit »frevelhaftem Leichtsinn« in die verschiedensten Geistesströmungen geworfen habe: »erinnere ich mich, durch welche Fluth wechselnder Gedanken und Ueberzeugungen ich gegangen bin, so erschrecke ich und mir fällt Hume's Behauptung ein, daß die Seele nur ein Etwas sei, an dem sich im Fluß der Zeit verschiedene Erscheinungen sichtbar machten.« Wenn Tieck selbst so über seine Unsicherheit und Unzuverlässigkeit dachte, ist es zu begreifen, wenn Jemand anders, es war Karoline, einmal von ihm sagte, er sei im Grunde nichts als ein würdiger und anmuthiger Lump; was freilich auch cum grano salis zu verstehen ist. Nur handelnd und wirkend könnte der romantische Mensch für das Verlorene Ersatz gewinnen und dann doppelt reich sein; aus seinem Bewußtsein würde sich ein Niederschlag bilden, eine neue Masse, Erkenntniß in Instinkt verwandelt. »Gewohnheit ist eine zur Natur gewordene Kunst. Naturgesetze sind Gewohnheitsgesetze.« Wie soll aber etwas Erlerntes anders zur Gewohnheit und zweiten Natur werden als durch fleißige Uebung? Und der romantische Charakter ist faul und stolz auf seine Faulheit. Nur Novalis war ein Romantiker mit Riesenarbeitskraft und -Lust. Tieck gelang es niemals, seine Abneigung gegen methodisches Arbeiten zu überwinden. Auch Sternbald und Lovell sind im Grunde nicht viel mehr als gebildete Vagabunden. Regelmäßige Berufsthätigkeit scheint ihnen unwürdig und erniedrigend, der Geschäftsmensch, der alltäglich seinem Verdienst nachgeht, verächtlich. Er fühlt seine Arbeitsscheu als Bürgschaft, daß er zu Höherem geboren sei. Novalis hat ein strenges, aber nicht unbilliges Wort darüber gesagt: »Wer nicht vorsätzlich, nach Plan und Aufmerksamkeit thätig sein kann, verräth Schwäche. Die Seele wird durch die Zersetzung zu schwach – oft ist Verwöhnung daran schuld. Das Organ der Aufmerksamkeit ist auf Kosten des thätigen Organs geübt – vorausgebildet, zu reizbar gemacht worden. Nun zieht es alle Kraft an sich, und so entsteht diese Disproportion.«
Daß es Schwäche war, ahnten sie im Stillen gut genug und litten schmerzlich darunter. Es ist ergreifend, wie dies Bewußtsein überall, bald als wehmüthige Erkenntniß, bald als bitteres Schamgefühl durchbricht. Im Sternbald ist immer und immer wieder von dem »emsigen Fleiße« Dürer's und des Lukas v. Leyden die Rede; und der müßig schwärmende Franz ahnt, bei allem schüchternen Stolz auf seine überirdische Gefühlswelt, daß gerade dieser prunklose bürgerliche Fleiß die Künstlerschaft jener beiden Großen vollendet, daß sein eigener Unfleiß mit dem tiefsten, verhängnißvollen Mangel seiner Natur zusammenhängt. Mit derselben ahnungsvollen Scheu berichtet Wackenroder von dem unermüdlichen Arbeitseifer der großen Künstler der Vergangenheit, und sein Jakob Berglinger, der nicht Arzt hatte werden wollen, wie der Vater wünschte, krankt an dem »unbehaglichen Bewußtsein, daß er mit allem seinen tiefen Gefühl und seinem innigen Kunstsinn für die Welt nichts nütze und weit weniger wirksam sei als jeder Handwerksmann.« Wenn er die Welt kämpfen und ringen sieht, kommt er selbst sich vor wie ein »lüsterner Einsiedler, der nur innerlich an schönen Harmonieen saugt und strebt, die Leckerbissen der Schönheit und Süßigkeit herauszukosten«, Angst und Scham überwältigt ihn, er möchte ein asketischer Märtyrer werden, um mit der leidenden Welt in's Gleichgewicht zu kommen. Aus derselben Quelle fließt das überreiche Mitgefühl Emil's in Tieck's Liebeszauber, der sich an seinem Hochzeitstage, weil er ein Bild schmutziger Armuth gesehen hat, schluchzend auf die Erde wirft und sterben möchte. »Empfange mich bald, du freundlicher Boden, verbirg mich in deinen kühlen Armen vor den wilden Thieren, die sich Menschen nennen! O Gott im Himmel, wie verdiene ich es, daß ich auf Daunen ruhe und Seide trage – o jetzt versteh ich euch, ihr frommen Heiligen, ihr Verschmähten. ihr Verhöhnten, die ihr Alles bis auf euer Gewand der Armuth ausstreutet – selbst elend wurdet ihr, um nur diese Sünde des Ueberflusses von euch zu werfen.« Und dies waren doch Tieck's Empfindungen, des Handwerkersohnes, der, als er so schrieb, beständig mit Nahrungssorgen zu kämpfen hatte. Nur das Bewußtsein, einen ernstlichen Kampf um's Dasein niemals bestehen zu können, jeder straffen Arbeit kleinmüthig auszuweichen, ließ ihn sich so schuldig fühlen gegenüber den Mühseligen und Beladenen.
Schelling's Erscheinung, als er in den Kreis der Romantiker trat, wirkte imponirend auf sie, fast verblüffend. Man sah ihm an, daß er sich auf's Herrschen verstand. Er hatte die starken Instinkte, die blinden Zu- und Abneigungen, um die jene den Naturmenschen beneideten. Aber wer durch Instinkte herrscht, kann auch ihr Sklave werden; und darin waren sie ihm überlegen, daß sie dieser Gefahr nicht ausgesetzt waren. Die Geistesfreiheit, die sie schmückte, war nur deswegen nicht die höchste, weil sie die Folge eines Mangels war. Einzig in Novalis erschien sie ganz als Stärke, und das war vielleicht die Ursache, warum Schelling ihn niemals leiden konnte; ihm gegenüber war er wie der Löwe, der unwillig, mit Geberden verhaltener Wuth, vor dem Menschenauge in sich zurückkriecht. Uebrigens aber staunte er die Leichtigkeit und geschmeidige Beweglichkeit dieser Geister an, die für die Wucht und Schwerfälligkeit seiner Schwabennatur unerreichbar war.
Eben jener Leichtsinn, der zuweilen an's Frevelhafte grenzte, ist die Stärke dieses Charakters. Er verschafft ihm Zutritt, wo immer die Genien des Scherzes und Muthwillens und der Tollheit sich zum Tanze treffen. Und wenn der Romantiker kein festgegründetes Haus für seine Seele hat, so weiß sie gelenkig durch die schmalste Ritze in fremde Wohnungen einzuschlüpfen und dort sich zu tummeln und umzuschauen. Er besitzt jene »Freiheit und Bildung«, die Friedrich Schlegel verlangte, sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, antik oder modern stimmen zu können, »ganz willkürlich wie man ein Instrument stimmt.« Und ebenso kann er sich in und auf jede Person stimmen. Diese Fähigkeit, sich zu stimmen und sich in andre Charaktere hineinzutäuschen, macht den Schauspieler; und es ist nicht zufällig, daß die Sucht des Theaterspielens im Zeitalter der Romantik epidemisch auftrat. Tieck sagt im Phantasus: »Da unser ganzes Leben aus dem doppelten Bestreben besteht, uns in uns selbst zu vertiefen und uns selbst zu vergessen und aus uns herauszugehen, und dieser Wechsel den Reiz unsres Daseins ausmacht, so hat es mir immer geschienen, daß die geistigste und witzigste Entwickelung unsrer Kräfte und unsres Individuums diejenige sei, uns selbst ganz in ein andres Wesen hinein verloren zu geben, indem wir es mit aller Anstrengung unsrer geistigen Stimmung darzustellen suchen: mit einem Wort, wenn wir in einem guten Schauspiel eine Rolle übernehmen.«
Nach dem Urtheil Aller, die ihn haben spielen sehen, hätte Tieck der größte Schauspieler seiner Zeit werden können. Auch Wilhelm und Friedrich versuchten sich darin, wie Jedermann; aber Friedrich glänzte nur in gewissen Rollen, die ihm entsprachen. Tieck hingegen konnte jede denkbare Person mit einer eigenthümlichen und für sie passenden Seele beleben. Niemand, dem jene Vorlesungen nicht Zeitlebens im Gedächtniß blieben, wo er Dramen nicht sowohl vortrug als durch die Gewalt seiner allausdrucksvollen Stimme vorspielte. Das Erstaunlichste schildert Steffens: wie er eine ganze von Uebermuth und Laune funkelnde Posse, auf ein gegebenes Thema, improvisirte. Ueberhaupt ist es schwer zu entscheiden, ob er mehr Improvisator oder Dichter war; diese reizende gesellige Gabe hat ihn um den höchsten Lorbeer gebracht. Er dichtete ganz wie Rudolf im Sternbald, ohne Anfang und Schluß, über Alles und Nichts, wie wenn er nur eben den Hahn öffnete und fließen ließe, bis Niemand mehr trinken kann
Das Lockersitzen des Geistes erleichtert den Umgang; man fühlt den Zwang und Druck seiner Natur nicht, man sieht sich gleichsam selbst zu, wie man gewandt und zierlich die Pantomime der Gesellschaft aufführt. Es liegt zwar in dieser Eigenschaft auch der Grund zu aller Ziererei, Affektation kurz äffischem Wesen, wie Tieck es ausdrückte. Viel gefährlicher aber noch ist die Angewöhnung, auch im wirklichen Leben, wenn es Ernst gilt, Rollen zu spielen. Es ist in Lovell meisterhaft dargestellt zu sehen, wie sich auf diesem Wege eine naiv freche Lügenhaftigkeit heraus bilden kann. Wenn Lovell ein Mädchen verführen will, deklamirt er ihr zuerst in bewußter Verstellung, heimlich sie und sich verlachend, seine Liebe vor; allmälig aber entzünden seine Phantasie und seine Sinne sich an dem bengalischen Feuer, und er schwärmt ihr endlich seine Meineide mit Hingebung und nicht ohne Treuherzigkeit vor. Höchst merkwürdig ist Tieck's Versuch, den Charakter Cromwell's aus dieser Freiheit und Beweglichkeit des Geistes zu erklären; wie er