Die Romantik. Ricarda Huch

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Die Romantik - Ricarda Huch


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Mustergültig war auch sein Benehmen gegen literarische Feinde und Angreifer: er bediente sich nur ehrlicher Mittel im Kampf, nie war er falsch oder hinterlistig, die Geringeren beachtete er kaum, sondern stürmte neuen Feinden entgegen. Andrerseits athmete auch die erwähnte Ehrenrettung Bürger's vollendete Tadellosigkeit aus. Kurz man muß immer loben, wie er handelte; und doch ist vielleicht diese einwandfreie Correktheit gerade das, was ihn der wärmeren Zuneigung am meisten entrückt.

      Wie ganz anders Friedrich, an dem seinem Freunde Schleiermacher die »Leichtigkeit, mit der er sich bisweilen einem unrechtlichen Verfahren in seinen Angelegenheiten nähert«, auffiel. »Schlegel ist aber eine hohe, sittliche Natur«, setzte Schleiermacher voll Anerkennung hinzu, und es scheint fast, als ob dem ernsten, unbestechlich rechtlichen Geistlichen diese Mischung von hoher Sittlichkeit und moralischer Nachlässigkeit sehr gefallen habe, Wieviel mehr Liebe und Freundschaft erfuhr der stets incorrekte Friedrich als sein Bruder! Wenn Wilhelm der Leichte war – zierlich und beweglich, aber ohne Größe – so war Schwere Friedrich's Wesen. Er sei, sagte seine Gattin Dorothea von ihm, was die Orgel unter den Instrumenten, die Orangenblüthe unter den Blumen, die Pfirsich unter den Früchten; höchst charakteristische Vergleiche für diesen Menschen von imponirender, aber nur schwer beweglicher Masse, der erfüllt war von Gedanken und Gefühlen, von sinnlich-geistigen Schätzen, die aber, allzu tief in den Grund seines Wesens eingewühlt, nur selten, nach den mächtigsten Erschütterungen, gegen die Oberfläche stiegen. Während man Wilhelm beklagen muß, daß er nicht mehr war, möchte man Friedrich vorwerfen, daß er nicht mehr wurde. Denn die Bestimmung zur Größe war in ihm und hatte keinen andern Feind, als seine weibischträge Sinnlichkeit. Bewege, tummle dich, schaffe, handle, möchte man ihm immer zurufen, der nicht viel Andres that als lesen, lesen und lesen. Er las so viel, wie Wilhelm schrieb. Unablässig vermehrte er seine Kenntnisse, häufte Ideen auf Ideen, die seinen schwerfälligen Geist belasteten. Es sei keine Gefahr, sagte einmal Dorothea, daß er jemals an Gehalt zu Geisteswerken verarme, allein die Gefahr sei, daß er an seiner Ideenmasse ersticke. In seiner Constitution lag eine Neigung zum körperlichen und geistigen Fettwerden. Sein großer, runder, priesterlicher Kopf mit den etwas schweren, sinnenden Augen und dem vollen weichlichen Kinn, das sich zu einem doppelten ausbildete, zeigt einen bedeutenden, aber bequemen und sinnlichen Menschen. »Die Männlichkeit seiner Gestalt offenbarte sich nicht in der hervorgedrängten Kraft der Muskeln. Vielmehr waren die Umrisse sanft, die Glieder voll und rund, doch war nirgends ein Ueberfluß. In hellem Licht bildete die Oberfläche überall breite Massen; so beschreibt er selbst mit Wohlgefallen seinen behaglichen Körper. Weniges klingt so aus seinem Herzen gekommen, wie seine Lobpreisungen des Müßiggangs. »O Müßiggang, Müßiggang, du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich athmen die Seligen, und selig ist, wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod, einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.« Das Sprechen und Bilden sei nur Nebensache in allen Künsten und Wissenschaften, das Wesentliche sei das Denken und Dichten, und das sei nur durch Passivität möglich. Je schöner das Klima, desto passiver sei man. Nur die Italiener wissen zu gehn und die Orientalen zu liegen, am Zartesten und Süßesten habe sich der Geist in Indien gebildet. Das war nicht nur Humor der Uebertreibung; er begnügte sich wirklich mit dem Denken und Dichten und verachtete das Bilden und Ausführen, er hat jedenfalls wirklich unzählige Male »wie ein nachdenkliches Mädchen in einer gedankenlosen Romanze am Bach« gesessen, »gleich einem Weisen des Orients versunken in heiliges Hinbrüten und ruhiges Anschauen der ewigen Substanzen.« Er erinnert an einen jungen Mann, von dem Steffens in seinen Lebenserinnerungen erzählt, er sei so faul gewesen, daß er ein förmliches Studium darauf verwendet habe, auf welche Weise man am Längsten im Stuhle sitzen könne, ohne seine Stellung zu verändern.

      Diesem Trägen hatte sein Genius eine beschwerliche Lebensbahn ausgesucht, aber er verstand die weise Absicht, benutzte den Wink nicht. Womöglich ließ er immer Andre für sich arbeiten. Und er hatte eine gewisse zuthunliche Kindlichkeit an sich, die machte, daß es thätige Menschen natürlich fanden, etwas für ihn zu thun.

      Die Jünglingsjahre, die Wilhelm so leicht und geräuschlos abliefen, verbrachte er unter peinvollen Zuckungen und Krämpfen seines Innern. Er litt unter einem beständigen Mißklang, den er in sich fühlte, und dessen letzte Ursache war, daß er kein hinreichendes Gegengewicht besaß für sein ungeheures Denkvermögen, für seine Receptivität. Das Vermögen und die Lust, hervorzubringen und zu handeln, worin sein aufgespeicherter Ideenstoff sich hätte verarbeiten können, war Wilhelm allein zugetheilt. So gut wie Friedrich sich seines mächtigen Verstandes bewußt war, wußte er, daß ihm etwas Großes fehlte, welches Etwas er verschieden benannte, sehr häufig aber Liebe, die Seele der Seele. Nicht um Verstand möchte er Gott bitten, sondern um Liebe. Die stets rege, Alles durchschauende Kritik seines Verstandes erschwerte ihm das unbefangene Liebhaben, wonach er doch schmachtete. Je nachdem ob er die reich ausgestattete Seite seines Wesens genoß oder die verkümmerte entbehrte, wechselte ein gerechtfertigtes Gefühl von Ueberlegenheit mit einem Gefühl von Ohnmacht und Einsamkeit, was ihn scheinbar unvermittelt zwischen den höchsten Höhen und den tiefsten Tiefen auf- und abschwanken ließ. Er lebte in einem beständigen Wechsel von Schwermuth und Ausgelassenheit, sagt er in der »Lucinde«. Rührend ist es, wie er zu sein oder auf die Menschen zu wirken wünschte, nämlich so, »daß von meiner Rechtschaffenheit immer mit Achtung, von meiner Liebenswürdigkeit oft und viel mit Wärme geredet würde. Von meinem Geiste brauchte gar nicht die Rede zu sein, oder höchstens sollte man mich verständig finden. Jedermann sollte mich gut nennen, wo ich hintrete, sollte sich Alles erheitern, Jeder sich nach seiner Art an mich schmiegen, und die sich was dünken, mich gnädig anlächeln. Aber längst habe ich bemerkt, welchen Eindruck ich immer mache. Man findet mich interessant und geht mir aus dem Wege. Wo ich hinkomme, flieht die gute Laune, und meine Nähe drückt. Am Liebsten besieht man mich aus der Ferne wie eine gefährliche Rarität. Gewiß, Manchem flöße ich bitteren Widerwillen ein. Und der Geist? Den Meisten heiße ich doch ein Sonderling, das heißt ein Narr mit Geist.«

      Wie deutlich sieht man hier, was er war – klug, geistreich, witzig, interessant, bedeutend – und was er nicht war: unbefangen, liebenswürdig, heiter, herzlich. Erstaunlich ist es, mit welcher Schärfe er seine Größe und seinen unersetzlichen Mangel sah: daß er nicht lieben konnte, weder Andre noch sich selbst. »Ich weiß, daß ich gar nicht leben kann, wenn ich nicht groß bin, d. h. mit mir zufrieden. Denn mein Verstand ist so, daß wäre Alles ihm gleich und Harmonie in mir, so wäre ich's schon.«

      Das Ideal seines Wesens sah er in Hamlet. Nicht, daß er es ausdrücklich sagte; aber seine Auffassung Hamlet's ist so persönlich, wie man einen fremden Charakter nur vermittels seines eigenen faßt, weil man mit seiner Seele lebt, oder was dasselbe sagen will, ihm die eigene Seele zum Leben leiht. Der Grund zu Hamlet's innerer Zerrüttung, sagt er, liege in ihm selbst, in dem Uebermaß seines Verstandes und dem Mangel verhältnißmäßiger Kraft der Vernunft. Wäre er weniger groß, so würde er ein Heros sein. Seine Unentschlossenheit rühre daher, daß er eine zahllose Menge von Verhältnissen übersehe. »Durch eine wunderbare Situation wird alle Stärke seiner edeln Natur in den Verstand zusammengedrängt, die thätige Kraft aber ganz vernichtet. Sein Gemüth trennt sich wie auf der Folterbank nach entgegengesetzten Richtungen auseinander gerissen; es zerfällt und geht unter im Ueberfluß von müßigem Verstand, der ihn selbst noch peinlicher drückt, als Alle, die ihm nahen. Es gibt vielleicht keine vollkommenere Darstellung der unauflöslichen Disharmonie, welche der eigentliche Gegenstand der philosophischen Tragödie ist, als ein so grenzenloses Mißverhältniß der denkenden und der thätigen Kraft, wie in Hamlet's Charakter. Der Totaleindruck dieser Tragödie ist ein Maximum der Verzweiflung. Alle Eindrücke, welche einzeln groß und wichtig scheinen, verschwinden als trivial vor dem, was hier als das letzte einzige Resultat alles Seins und Denkens erscheint, vor der ewigen kolossalen Dissonanz, welche die Menschheit und das Schicksal unendlich trennt.« Ganz ebenso erschien Friedrich damals seinen Freunden: »Deine urtheilende Idee steht mit Deiner genießenden im Mißverhältniß«, schrieb ihm Novalis. Nur daraus, daß er sich eins mit Hamlet fühlte, krank an derselben unheilbaren Disharmonie, läßt sich seine Meinung erklären, die Tragödie könne unter Umständen augenblicklichen Selbstmord veranlassen. Diese Umstände waren eben die seinigen. »Wenn ich aus dem Wege, den ich in Göttingen ging, beständig mit dem Verstande zu genießen ohne zu handeln, blieb, so hätte er mich in Kurzem zum Selbstmorde geführt. Die Liebe zu einem Gegenstande,


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