Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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      Das Kind ihres Dienstmädchens hatte denselben Vater wie ihr eignes. Ihr Zorn war verraucht. Jetzt war sie ganz voll todestrauriger, tiefer, unendlicher Verzweiflung.

      Endlich begann sie wieder mit veränderter Stimme, wie eine Frau, die weint:

      – Als wir von da drüben .. von der Reise .. kamen, wann .. hat er da wieder .. angefangen?

      Das Mädchen war ganz auf dem Boden zusammen gesunken und stammelte:

      – Glei den erschten Abend ist er gekommen.

      Jedes Wort durchbohrte Johannas Herz. Also den ersten Abend, den Abend, als sie in das Schloß zurück gekehrt, hatte er sie um ihres Mädchens willen verlassen, und darum ließ er sie allein schlafen.

      Jetzt wußte sie genug, mehr wollte sie nicht hören.

      Sie rief:

      – Geh, geh!

      Und als Rosalie, ganz vernichtet, sich nicht rührte, rief Johanna ihrem Vater zu:

      – Führe sie fort, bringe sie weg.

      Aber der Pfarrer, der noch nichts gesagt hatte, meinte, jetzt sei der Augenblick gekommen, um eine lange Rede zu halten:

      – Meine Tochter, das ist sehr schlecht, was Du da gethan hast, und der liebe Gott wird Dir sobald nicht verzeihen. Denke daran, daß wenn Du Dich nicht von nun ab gut führst, die Hölle Deiner wartet. Nun, wo Du ein Kind hast, mußt Du ordentlich sein, die Frau Baronin wird gewiß etwas für Dich thun und einen Mann für Dich finden …

      Er hätte noch lange so gesprochen, aber der Baron hatte zum zweiten Mal Rosalie bei den Schultern gepackt, hob sie auf, schleppte sie zur Thür und warf sie wie ein Paket in den Flur hinaus.

      Als er wieder eintrat, war er bleicher wie seine Tochter. Der Pfarrer begann von neuem:

      – Was soll man da thun? So sind sie alle in der Gegend, es ist ein Jammer, aber man kann es nicht ändern. Mit den Schwächen der Menschen muß man Nachsicht haben. Sie heiraten nie, wenn sie nicht in anderen Umständen sind, gnädige Frau! Man möchte sagen, eine lokale Eigentümlichkeit!

      Dann setzte er in empörtem Ton hinzu:

      – Das geht bis zu den Kindern herab. Habe ich nicht voriges Jahr zwei Kinder aus der Katechismusstunde erwischt? Ich habe es den Eltern gesagt, wissen Sie was die mir geantwortet haben? »Was wollen Sie, Herr Pfarrer, wir haben ihnen das nicht gelehrt, wir können nichts dafür!« Sehen Sie, Ihr Mädchen hat es nicht anders gemacht, wie die übrigen.

      Aber der Baron zitterte vor Nervosität und unterbrach ihn:

      – Sie? Das ist mir ganz gleich, aber über Julius bin ich empört. Was er gethan hat ist eine Gemeinheit, und ich werde meine Tochter fortnehmen.

      Und im Zorn fuhr er fort:

      – Es ist unerhört, meine Tochter so zu betrügen. Der Kerl ist ein Lump, eine Canaille, ein Schuft, und das werde ich ihm sagen, ich werde ihn ohrfeigen und mit meinem Stock niederschlagen.

      Aber der Priester, neben der weinenden Baronin, der langsam eine Prise Tabak nahm, wollte sein Versöhnungswerk vollenden:

      – Nun, Herr Baron, unter uns gesagt, er hat das gethan, was sie alle thun. Kennen Sie viele Männer, die treu sind? Und er fügte mit milder Gutmütigkeit hinzu:

      – Hören Sie mal, ich möchte wetten, Sie haben auch Ihren kleinen Scherz gemacht. Hand aufs Herz! Nicht wahr?

      Der Baron war betroffen vor dem Priester stehen geblieben, der nun fortfuhr:

      – Nicht wahr, Sie haben es wie die andern gemacht? Wer weiß, ob Sie nicht auch mal mit so einer Kleinen, wie die da, angebändelt haben. Ich sage Ihnen, das haben sie alle gethan. Und Ihre Frau ist deswegen weder weniger glücklich gewesen, noch weniger geliebt worden. Nicht wahr?

      Der Baron war ganz verblüfft und sagte nichts mehr.

      Es war allerdings wahr, daß er auch so etwes gethan und sogar oft, so oft er gekonnt; und auch er hatte das eheliche Heim doch nicht respektiert und, wenn sie hübsch waren, vor den Dienstmädchen seiner Frau nicht Halt gemacht.

      War er deswegen ein Lump? Warum beurteilte er Julius’ Benehmen so streng, da er sich selbst doch niemals wie ein Schuldiger erschienen war?

      Und der Baronin, die immer noch vor Schluchzen keine Luft bekommen konnte, glitt etwas wie ein leises Lächeln über die Lippen, beim Gedanken an die kleinen Streiche ihres Mannes. Sie war von jener sentimentalen Art, schnell gerührt und wohlwollend, für die Liebesabenteuer einen Teil des Daseins bedeuten.

      Johanna lag ganz zusammengesunken auf dem Rücken, mit herabhängenden Armen, indem sie mit offenen Augen in schmerzlichen Gedanken vor sich hinstarrte. Ein Wort von Rosalie war ihr wieder ins Gedächtnis gekommen, das ihr die Seele verletzt und sie wieder wie ein Dolchstich traf:

      – Ich habe nichts gesagt, weil er ganz nett war.

      Sie hatte ihn auch nett gefunden und nur deshalb sich ihm überlassen, sich mit ihm für’s Leben verbunden, deshalb aller Hoffnung entsagt, allen Planen und Zukunftsträmnen. Sie war in diese Ehe hinein geraten, in diesen uferlosen Abgrund, aus dem es kein Entrinnen gab, in dieses Elend, diesen Jammer, diese Verzweiflung, bloß weil sie ihn nett gefunden wie Rosalie.

      Die Thür wurde wütend aufgerissen, Julius erschien.

      Er sah zornig aus. Auf der Treppe hatte er die stöhnende Rosalie gefunden, und nun wollte er hören, was hier vorging, er begriff, daß etwas angestiftet wurde, daß das Mädchen wahrscheinlich geschwatzt. Aber beim Anblick des Priesters blieb er wie angenagelt stehen. Er fragte mit zitternder Stimme, wenn auch gefaßt:

      – Was, was ist denn?

      Der Baron, der vorhin so heftig gewesen war, wagte jetzt kein Wort mehr zu sagen, wegen der Gründe des Pfarrers und wegen des eigenen schlechten Beispiels, das er dem Schwiegersohne gegeben. Mutting weinte noch, aber Johanna richtete sich auf, stützte sich auf den Arm, blickte keuchend den an, der ihr solches Leid zugefügt, und stammelte:

      – Du siehst, daß wir alle Deine Gemeinheiten kennen, daß uns nichts verborgen geblieben ist seit dem Tage, da Du dieses Haus betreten hast. Wir wissen, daß das Kind dieses Mädchens Dein Kind ist wie das, das ich erwarte. Sie werden Brüder sein.

      Und bei dem Gedanken kam ein so unsäglicher Schmerz über sie, daß sie in die Kissen sank und krampfhaft schluchzte.

      Er blieb mit offnem Munde stehen, er wußte nicht, was thun, was sagen.

      Der Pfarrer suchte wieder zu vermitteln:

      – Aber, aber, seien Sie doch vernünftig, liebe junge Frau, quälen Sie sich nicht so.

      Er stand auf, trat an das Bett und legte seine laue Hand auf die Stirn der Verzweifelten. Diese leise Berührung beruhigte sie auf seltsame Weise. Sie fühlte sich sofort ruhiger, als diese kräftige, bäuerliche Hand, die gewohnt war, Sünden zu vergeben, zu stärken und aufzurichten, sich auf ihre Stirne legte.

      Der gute Mann blieb bei ihr stehen und fuhr fort:

      – Gnädige Frau, man muß immer vergeben. Ein großes Unglück ist Ihnen geschehen, aber Gott hat es in semer Barmherzigkeit durch ein großes Glück wieder gut gemacht, da Sie Mutter werden sollen. Dieses Kind wird Ihr Trost sein, und in seinem Namen flehe ich Sie an, beschwöre ich Sie, Herrn Julius’ Schuld zu verzeihen. Es wird ein neues Band zwischen Ihnen sein, eine Sicherheit seiner künftigen Treue. Kann ihr Herz von dem getrennt sein, dessen Liebespfand Sie unter dem Herzen tragen?

      Sie antwortete nicht, ganz zermalmt, schmerzhaft, jetzt völlig erschöpft, selbst ohne Kraft zum Zorn oder zur Rache. Es war ihr, als hätten sich alle ihre Nerven gelöst, als wären sie leise durchschnitten worden und als lebte sie kaum mehr.

      Die Baronin, für die jetzt jedes weitere Mitgefühl unmöglich war und deren Seele es nicht mehr länger ertragen konnte, flüsterte:

      – Sei gut Johanna!

      Da


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