Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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Mir übrigens auch nicht! Aber unser Glück macht er.

      Er schwieg, dann sagte er nach einem Augenblick:

      – Weißt Du, wenn ich zwischen Deinen Anbetern zu, wählen habe, ist mir das alte Rindvieh der Vaudrec doch noch lieber. Was macht er denn eigentlich? Ich habe ihn seit acht Tagen nicht gesehen.

      Sie antwortete ohne Erregung:

      – Er hat mir geschrieben, er wäre bettlägerig. Er hat einen Gichtanfall gehabt. Du könntest Dich eigentlich nach ihm erkundigen. Du weißt doch, daß er Dich sehr gern hat. Es würde ihm Freude machen.

      Georg antwortete:

      – Gewiß, ich gehe nachher hin.

      Er hatte sich fertig angezogen, den Hut aufgesetzt und überlegte, ob er nicht etwas vergessen hätte.

      Er fand nichts, trat an das Bett und küßte seine Frau auf die Stirn:

      – Auf Wiedersehen, liebes Kind, ich kann vor frühestens sieben Uhr nicht zurück sein. – Und er ging davon.

      Herr Laroche-Mathieu erwartete ihn. An diesem Tage frühstückte er schon um zehn Uhr. Der Ministerrat sollte um zwölf Uhr zusammen treten, ehe das Parlament eröffnet würde.

      sie bei Tisch saßen – es war nur noch der Privatsekretär des Ministers da, weil Frau Laroche ihre Frühstücksstunde nicht hatte verlegen wollen – sprach Du Roy von seinem Artikel. Er gab den Gedankengang an, nach den Notizen, die er sich auf einer Visitenkarte gemacht. Als er fertig war, fragte er:

      – Ist irgend etwas zu ändern, Herr Minister?

      – Sehr wenig, lieber Freund. Vielleicht sind Sie in der marokkanischen Angelegenheit zu positiv. Sie können von der Expedition sprechen, als würde sie unternommen; aber es muß doch heraus klingen, daß sie nicht stattfinden wird, und daß Sie absolut nicht daran glauben. Richten Sie es so ein, daß die Leute zwischen den Zellen lesen, daß wir uns auf das Abenteuer nicht einlassen.

      – Ich verstehe schon, und ich werde es schon machen. Übrigens hat mir meine Frau aufgetragen, bei dieser Gelegenheit zu fragen, ob General Belloncle eigentlich nach Oran geschickt wird? Nach dem was Sie da sagen, denke ich Wohl, nein.

      Der Staatsmann antwortete: – Nein!

      Dann sprach man von der Kammereröffnung. Laroche-Mathieu fing an, eine lange Rede zu halten, indem er sich auf wirksame Redewendungen vorbereitete, mit denen er ein paar Stunden später seine Kollegen überschütten wollte. Er gestikulierte mit der rechten Hand, hob ab und zu die Gabel oder das Messer oder ein Stück Brot und wendete sich, ohne jemanden dabei anzublicken, an die unsichtbare Versammlung. So entlud sich seine süßliche Beredsamkeit. Sein winziger gedrehter Schnurrbart endete in zwei Spitzchen, gleich ein paar Skorpionenstacheln, und sein pomadisiertes Haar, das in der Mitte gescheitelt war, kräuselte sich an den Schläfen in zwei großen Bogen, wie bei einem Provinzdandy. Er war ein wenig zu dick, etwas aufgeschwemmt, trotz seiner Jugend; die Weste spannte sich über seinem Bäuchlein.

      Der Privatsekretär aß und trank ganz ruhig weiter, er war wohl diese Ströme von Beredsamkeit gewöhnt. Aber Georg, dem der Erfolg jenes am Herzen fraß, dachte:

      »Rede nur immer zu. Was seid ihr Politiker doch für Idioten.«

      Und indem er seinen eignen Wert mit der geschwätzigen Wichtigkeit dieses Ministers verglich, sagte er sich:

      »Verflucht, wenn ich nur hunderttausend Franken hätte, um mich in meiner schönen Heimat Rouen als Abgeordneter aufstellen zu lassen und meine braven, gerissenen, schwerfälligen normannischen Landsleute trotz ihrer Schlauheit reinzulegen! Was für ein Staatsmann würde ich werden, im Vergleich zu diesem impotenten Gesindel!«

      Bis zum Kaffee schwatzte Laroche-Mathieu. Als er dann sah, daß es spät geworden war; klingelte er nach dem Wagen und streckte dem Journalisten die Hand entgegen:

      – Lieber Freund, wir sind einig! Nicht wahr?

      – Vollkommen, liebe Exzellenz, zählen Sie auf mich! Und Du Roy ging langsam zur Redaktion, um seinen Artikel zu beginnen, denn bis vier Uhr hatte er nichts vor. Zu dieser Stunde sollte er in der Rue de Constantinople Frau von Marelle treffen, die er regelmäßig, zweimal wöchentlich, Montag und Freitag, sah.

      Aber als er auf die Redaktion kam, wurde ihm ein Telegramm überreicht. Es war von Frau Walter und lautete:

      »Ich muß Dich durchaus heute sprechen. Etwas sehr, sehr Wichtiges. Erwarte mich um zwei Uhr Rue de Constantinople. Ich kann Dir einen großen Dienst leisten. Bis in den Tod getreu Virginie.«

      Er fluchte:

      – Gott verdamm mich! So eine Klette! –

      Und von einem Anfall schlechter Laune gepackt, ging er sofort aus, denn er war zu wütend, als daß er hätte arbeiten können.

      Seit sechs Wochen versuchte er mit ihr zu brechen, ohne daß es ihm gelungen wäre, ihre zähe Zuneigung zum Wanken zu bringen. Nach jenem Tage hatte sie einen fürchterlichen Reueanfall gehabt und die drei nächsten Male, wo sie sich trafen, ihren Geliebten mit Vorwürfen und Verwünschungen überschüttet. Diese Scenen ärgerten ihn, und er hatte längst genug von dieser reifen, alles gleich tragisch nehmenden Frau, So hatte er sich einfach nicht mehr gezeigt und hoffte, daß dies kleine Verhältnis damit zu Ende sei.

      Aber da hatte sie sich an ihn gehängt mit der Kraft der Verzweiflung, indem sie sich in dieses Liebesabenteuer stürzte, wie man sich ins Wasser stürzt, einen Stein um den Hals. Aus Schwäche, aus Liebenswürdigkeit, aus Rücksicht hatte er sich immer wieder einfangen lassen, und nun bestürmte sie ihn mit maßloßen, ermüdenden Zärtlichkeiten und verfolgte ihn mit ihrer Liebe.

      Sie wollte ihn täglich sehen, bestellte ihn alle Augenblicke durch ein Telegramm, um ihn flüchtig an einer Straßenecke zu treffen, in einem Laden oder in den Anlagen.

      Da wiederholte sie immer mit denselben Worten, daß sie ihn anbete und verehre, und verließ ihn, indem sie schwur, sie wäre »glückselig gewesen ihn nur gesehen zu haben.«

      Sie zeigte sich ganz anders, als er sie gedacht, sie versuchte ihn mit allerlei kindischen und für ihr Alter lächerlichen Liebkosungen an sich zu fesseln. Bis dahin war sie durchaus rein gewesen, jungfräulichen Herzens, keinem Gefühl, keiner Sinnlichkeit zugänglich, und nun brach es bei dieser vernünftigen Frau – deren ruhige Vierzig wie ein blasser Herbst nach kühlem Sommer erschienen – hervor, gleich einem welken Frühling voll kleiner verkümmerter Blumen, verkrüppelter Johannistriebe: das seltsame Erblühen einer mädchenhaften Liebe, zögernd, glühend und harmlos zugleich, bald stürmisch, bald thränenreich wie bei einer Sechzehnjährigen, von lästiger Zärtlichkeit und einer Anmut, die alt war ohne jung gewesen zu sein.

      Sie schrieb ihm zehn Briefe täglich, albern und verrückt, in Poetischem und lächerlichem Stil, voll Tier-und Vogelnamen, in der bilderreichen Sprache der Indianer.

      Sobald sie allein waren, küßte sie ihn mit einem Gethue wie ein großes Kind, einer lächerlichen Art die Lippen zu spitzen und indem sie umher sprang, wobei ihr zu starker Busen unter dem Kleide auf und nieder wogte. Am meisten brachte es ihn zur Verzweiflung, wenn sie ihn »mein Hundel,« »mein Katzerl,« »meine kleine Maus,« »mein Kleinod,« »mein Schatz,« »mein Vögelchen« nannte, was jedesmal begleitet war von kindischem Zieren und kleinen Bewegungen der Aengstlichkeit, die sie offenbar für sehr nett hielt, und mit allerlei spielerigen Manieren eines verdorbenen Pensionsmädchens.

      Sie fragte:– Wessen Mund ist das? – Und wenn er nicht sofort antwortete: – Meiner! – wiederholte sie die Frage, bis er vor Nervosität rasend ward.

      Er meinte, sie müsse fühlen, daß die Liebe Takt, Geschicklichkeit, Klugheit und äußerste Richtigkeit im Benehmen verlange; sie, die ältere Frau, die Dame der Gesellschaft, die Mutter, müsse sich ihm hingeben mit würdigem Ernst, mit einer Art gehaltener Leidenschaft, streng, auch mit Thränen, ja, aber mit denen einer Dido nicht einer Julia.

      Sie wiederholte unausgesetzt:

      – Ich habe Dich so lieb, Herzchen! Liebst Du


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