Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
Читать онлайн книгу.als auch die Gravitation mechanisch, durch Stoß und Druck zu erklären suchte, wie des Näheren zu ersehn aus dem ›Lucrèce Neutonien‹; auch Reil's Form und Mischung als Ursache des thierischen Lebens tendirt dahin: ganz dieser Art ist endlich der eben jetzt, in der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder aufgewärmte, aus Unwissenheit sich original dünkende, rohe Materialismus, welcher zunächst, unter stupider Ableugnung der Lebenskraft, die Erscheinungen des Lebens aus physikalischen und chemischen Kräften erklären, diese aber wieder aus dem mechanischen Wirken der Materie, Lage, Gestalt und Bewegung erträumter Atome entstehn lassen und so alle Kräfte der Natur auf Stoß und Gegenstoß zurückführen möchte, als welche sein »Ding an sich« sind. Demgemäß soll dann sogar das Licht das mechanische Vibriren, oder gar Unduliren, eines Imaginären und zu diesem Zweck postulirten Aethers seyn, welcher, wenn angelangt, auf der Retina trommelt, wo dann z.B. 483 Billionen Trommelschläge in der Sekunde Roch, und 727 Billionen Violett geben u.s.f.: die Farbeblinden wären dann wohl Solche, welche die Trommelschläge nicht zählen können: nicht wahr? Dergleichen krasse, mechanische, demokritische, plumpe und wahrhaft knollige Theorien sind ganz der Leute würdig, die, fünfzig Jahre nach dem Erscheinen der Goetheschen Farbenlehre, noch an Neuton's homogene Lichter glauben und sich nicht schämen es zu sagen. Sie werden erfahren, daß was man dem Kinde (dem Demokrit) nachsieht, dem Manne nicht verziehn wird. Sie könnten sogar einst schmählich enden; aber dann schleicht Jeder davon, und thut als wäre er nicht dabei gewesen. Wir werden auf diese falsche Zurückführung ursprünglicher Naturkräfte auf einander bald nochmals zu reden kommen: hier nur soviel. Gesetzt dieses gienge so an, so wäre freilich Alles erklärt und ergründet, ja zuletzt auf ein Rechnungsexempel zurückgeführt, welches dann das Allerheiligste im Tempel der Weisheit wäre, zu welchem der Satz vom Grunde am Ende glücklich geleitet hätte. Aber aller Inhalt der Erscheinung wäre verschwunden, und bloße Form übrig geblieben: Das, was da erscheint, wäre zurückgeführt auf Das, wie es erscheint, und dieses wie wäre das auch a priori Erkennbare, daher ganz abhängig vom Subjekt, daher allein für dasselbe, daher endlich bloßes Phantom, Vorstellung und Form der Vorstellung durch und durch: nach keinem Ding an sich könnte gefragt werden. – Es wäre demnach, gesetzt dies gienge so an, dann wirklich die ganze Welt aus dem Subjekt abgeleitet und in der That Das geleistet, was Fichte durch seine Windbeuteleien zu leisten scheinen wollte. – Nun aber geht es nicht so an: Phantasien, Sophistikationen, Luftschlösser hat man in jener Art zu Stande gebracht, keine Wissenschaft. Es ist gelungen, und gab, so oft es gelang, einen wahren Fortschritt, die vielen und mannigfaltigen Erscheinungen in der Natur auf einzelne ursprüngliche Kräfte zurückzuführen: man hat mehrere, Anfangs für verschieden gehaltene Kräfte und Qualitäten eine aus der andern abgeleitet (z.B. den Magnetismus aus der Elektricität) und so ihre Zahl vermindert: die Aetiologie wird am Ziele seyn, wenn sie alle ursprünglichen Kräfte der Natur als solche erkannt und aufgestellt, und ihre Wirkungsarten, d.h. die Regel, nach der, am Leitfaden der Kausalität, ihre Erscheinungen in Zeit und Raum eintreten und sich unter einander ihre Stelle bestimmen, festgesetzt haben wird; aber stets werden Urkräfte übrig bleiben, stets wird, als unauflösliches Residuum, ein Inhalt der Erscheinung bleiben, der nicht auf ihre Form zurückzuführen, also nicht nach dem Satz vom Grunde aus etwas Anderm zu erklären ist. – Denn in jedem Ding in der Natur ist etwas, davon kein Grund je angegeben werden kann, keine Erklärung möglich, keine Ursache weiter zu suchen ist: es ist die specifische Art seines Wirkens, d.h. eben die Art seines Daseyns, sein Wesen. Zwar von jeder einzelnen Wirkung des Dinges ist eine Ursache nachzuweisen, aus welcher folgt, daß es gerade jetzt, gerade hier wirken mußte; aber davon daß es überhaupt und gerade so wirkt, nie. Hat es keine andern Eigenschaften, ist es ein Sonnenstäubchen, so zeigt es wenigstens als Schwere und Undurchdringlichkeit jenes unergründliche Etwas: dieses aber, sage ich, ist ihm, was dem Menschen sein Wille ist, und ist, so wie dieser, seinem innern Wesen nach, der Erklärung nicht unterworfen, ja, ist an sich mit diesem identisch, Wohl läßt sich für jede Aeußerung des Willens, für jeden einzelnen Akt desselben zu dieser Zeit, an diesem Ort, ein Motiv nachweisen, auf welches er, unter Voraussetzung des Charakters des Menschen, nothwendig erfolgen mußte. Aber daß er diesen Charakter hat, daß er überhaupt will, daß von mehreren Motiven gerade dieses und kein anderes, ja, daß irgend eines seinen Willen bewegt, davon ist kein Grund je anzugeben. Was dem Menschen sein unergründlicher, bei aller Erklärung seiner Thaten aus Motiven vorausgesetzter Charakter ist; eben das ist jedem unorganischen Körper seine wesentliche Qualität, die Art seines Wirkens, deren Aeußerungen hervorgerufen werden durch Einwirkung von außen, während hingegen sie selbst durch nichts außer ihr bestimmt, also auch nicht erklärlich ist: ihre einzelnen Erscheinungen, durch welche allein sie sichtbar wird, sind dem Satz vom Grund unterworfen: sie selbst ist grundlos. Schon die Scholastiker hatten Dies im Wesentlichen richtig erkannt und als forma substantialis bezeichnet. (Worüber Suarez, Disput, metaph., disp. XV, sect. I.)
Es ist ein eben so großer, wie gewöhnlicher Irrthum, daß die häufigsten, allgemeinsten und einfachsten Erscheinungen es wären, die wir am besten verständen; da sie doch vielmehr nur diejenigen sind, an deren Anblick und unsere Unwissenheit darüber wir uns am meisten gewöhnt haben. Es ist uns eben so unerklärlich, daß ein Stein zur Erde fällt, als daß ein Thier sich bewegt. Man hat, wie oben erwähnt, vermeint, daß man, von den allgemeinsten Naturkräften (z.B. Gravitation, Kohäsion, Undurchdringlichkeit) ausgehend, aus ihnen die seltener und nur unter kombinirten Umständen wirkenden (z.B. chemische Qualität, Elektricität, Magnetismus) erklären, zuletzt aus diesen wieder den Organismus und das Leben der Thiere, ja des Menschen Erkennen und Wollen verstehn würde. Man fügte sich stillschweigend darin, von lauter qualitates occultae auszugehn, deren Aufhellung ganz aufgegeben wurde, da man über ihnen zu bauen, nicht sie zu unterwühlen vorhatte. Dergleichen kann, wie gesagt, nicht gelingen. Aber abgesehn davon, so stände solches Gebäude immer in der Luft. Was helfen Erklärungen, die zuletzt auf ein eben so Unbekanntes, als das erste Problem war, zurückführen? Versteht man aber am Ende vom innern Wesen jener allgemeinen Naturkräfte mehr, als vom innern Wesen eines Thieres? Ist nicht eines so unerforscht, wie das andere? Unergründlich, weil es grundlos, weil es der Inhalt, das Was der Erscheinung ist, das nie auf ihre Form, auf das Wie, auf den Satz vom Grunde, zurückgeführt werden kann. Wir aber, die wir hier nicht Aetiologie, sondern Philosophie, d.i. nicht relative, sondern unbedingte Erkenntniß vom Wesen der Welt beabsichtigen, schlagen den entgegengesetzten Weg ein und gehn von Dem, was uns unmittelbar, was uns am vollständigsten bekannt und ganz und gar vertraut ist, was uns am nächsten liegt, aus, um Das zu verstehn, was uns nur entfernt, einseitig und mittelbar bekannt ist: und aus der mächtigsten, bedeutendesten, deutlichsten Erscheinung wollen wir die unvollkommenere, schwächere verstehn lernen. Mir ist von allen Dingen, meinen eigenen Leib ausgenommen, nur eine Seite bekannt, die der Vorstellung: ihr inneres Wesen bleibt mir verschlossen und ein tiefes Geheimniß, auch wenn ich alle Ursachen kenne, auf die ihre Veränderungen erfolgen. Nur aus der Vergleichung mit Dem, was in mir vorgeht, wenn, indem ein Motiv mich bewegt, mein Leib eine Aktion ausübt, was das innere Wesen meiner eigenen durch äußere Gründe bestimmten Veränderungen ist, kann ich Einsicht erhalten in die Art und Weise, wie jene leblosen Körper sich auf Ursachen verändern, und so verstehn, was ihr inneres Wesen sei, von dessen Erscheinen mir die Kenntniß der Ursache die bloße Regel des Eintritts in Zeit und Raum angiebt und weiter nichts. Dies kann ich darum, weil mein Leib das einzige Objekt ist, von dem ich nicht bloß die eine Seite, die der Vorstellung, kenne, sondern auch die zweite, welche Wille heißt. Statt also zu glauben, ich würde meine eigene Organisation, dann mein Erkennen und Wollen und meine Bewegung auf Motive, besser verstehn, wenn ich sie nur zurückführen könnte auf Bewegung aus Ursachen, durch Elektricität, durch Chemismus, durch Mechanismus; muß ich, sofern ich Philosophie, nicht Aetiologie suche, umgekehrt auch die einfachsten und gemeinsten Bewegungen des unorganischen Körpers, die ich auf Ursachen erfolgen sehe, zuvörderst ihrem innern Wesen nach verstehn lernen aus meiner eigenen Bewegung auf Motive, und die unergründlichen Kräfte, welche sich in allen Körpern der Natur äußern, für der Art nach als identisch mit Dem erkennen, was in mir der Wille ist, und für nur dem Grade nach davon verschieden. Dies heißt: die in der Abhandlung über den Satz vom Grund aufgestellte vierte Klasse der Vorstellungen muß mir der Schlüssel werden zur Erkenntniß des innern Wesens der ersten Klasse, und aus dem Gesetz der Motivation muß ich das Gesetz der Kausalität, seiner innern Bedeutung nach, verstehn lernen.
Spinoza sagt (epist.