Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.mit den Vettern in der Halle herum, springt über Tische und Bänke und treibt allerhand tolles Zeug. Heute hat sie sich auch das wildeste Pferd im Stalle satteln lassen und ist weit ausgeritten. Die Vettern wollten sie begleiten, konnten ihr aber nicht folgen und mußten allein zurückkehren. Später sah man sie vor dem Walde ihr Pferd auf der weiten Fläche tummeln. Einer von den Bauern hat erzählt, daß sie über den Baumstamm auf seinem Schlittenfuhrwerk hinweggesetzt ist, während es in Bewegung war; der Huf des Pferdes habe seinen Rücken gestreift, und er sei sehr erschrocken gewesen. Sie aber habe laut gelacht. Was sagt Ihr dazu?
Das war so ihre Art in Buchwalde … aber ich glaubte, sie hätte sich geändert. Ich weiß nicht, ob sie mir dort oder hier besser gefiel.
Der Pater wiegte den Kopf. Es steckt in ihr ein wilder, unbändiger Geist, der sich austoben will. Ihre Mutter soll einmal so in der Jugend gewesen sein – jetzt merkt man nichts mehr davon, die deutsche Ehe hat das Feuer gedämpft. Aber es kann noch einmal plötzlich aus dem Dache hinausschlagen: die Polinnen sind darin unberechenbar.
An meinem Krankenbette war Natalia ihres deutschen Vaters Kind. Nun bin ich freilich nicht mehr krank –
So scheint sie's zu nehmen.
Hat sie gar nicht nach mir gefragt?
Nein.
Euch nichts für mich aufgetragen?
Nichts.
Es ist gut. So sagt ihr auch nicht, daß wir von ihr gesprochen haben.
Damit brach er ab. Es ärgerte Heinz, daß sie sich so wohl ohne ihn zu befinden schien, als bedürfe sie seiner gar nicht. Er hatte sich eingeredet, daß sie sich nach dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, scheu zurückgezogen habe, ganz ihren Empfindungen lebte. Nun suchte sie gerade das lustige junge Volk auf und zerstreute sich durch ihre gefährlichen Reitkünste. Das war ihm ganz unverständlich.
Er wollte sich trotzig zurückhalten, sie nicht grüßen lassen, ruhig abwarten, bis ihre tolle Laune verflogen sei. Er nahm sich vor, gar nicht an sie zu denken. Aber das gelang schlecht. Hatte sie ihm doch ein Rätsel aufgegeben, das ihn bei seinem Alleinsein fortwährend beschäftigte. Du weißt nun alles! Er wußte nichts.
Seine ritterlichen Übungen setzte er fort, stets bis zur gänzlichen Ermüdung. Aber ihm blieb noch so viel trostlos langweilige Zeit. Einmal glaubte er Natalia zu Pferde im Holzgarten zu bemerken; sie sah gar nicht nach seinem Fenster hinüber. Er hielt's nicht länger aus in seiner Einsamkeit und ließ den Grafen um ein Kleid bitten und um die Erlaubnis, ihm aufwarten zu dürfen.
Der polnische Rock mit den weiten Ärmeln, den Schnüren und dem Pelzbesatz kleidete ihn gar nicht übel. Er fand in der Halle die ganze Sippe versammelt, Männer, Frauen und Kinder. Die jungen Leute spielten Ball. Natalia warf den ihrigen einem der Vettern, der wegen seines Eintretens nicht aufpaßte, an den Kopf, eilte Heinz entgegen, faßte ihn bei der Hand und führte ihn vor. Da habt ihr meinen Gefangenen, sagte sie, für dessen Leben euch ein Vaterunser zuviel schien. Nun? Habe ich nicht auf ein gutes Lösegeld Anspruch? Dann wandte sie sich an ihn selbst. Ist Euch endlich Zeit und Weile lang geworden, Junker? Ich hatte ja doch den Turm nicht verschlossen. Ihr seid allzu gewissenhaft.
Er drückte ihre Hand, aber sie erwiderte seinen Druck nicht, sondern zog sie fort und hob einen Ball von der Erde auf, der an ihre Füße gerollt war. Fühlt Ihr Euch nun ganz gesund? fragte sie.
Ganz gesund, antwortete er etwas mürrisch. Es verdroß ihn, daß sie ihm so gar kein Zeichen geheimen Einverständnisses gab.
Während er sprach, sah sie ihn an. Sie mußte wohl die kleine Narbe an seiner Lippe bemerkt haben, denn sie errötete plötzlich, wandte sich der Wand zu und warf den Ball gegen dieselbe. Wollt Ihr Euch gleich an unserm Spiel beteiligen? fragte sie, ohne umzuschauen. Laßt sehen, ob Ihr da so geschickt seid wie beim Ringstechen.
Wie kam sie nur auf das Ringstechen, von dem seit seinem ersten Besuche in Buchwalde nicht mehr gesprochen war?
Die Vettern nahmen ihn freundlich in ihre Mitte. Er war bald mit allen bekannt und teilte ihre Lustbarkeiten. Natalia war fast immer unter ihnen und oft ausgelassen heiter. Sie zeichnete Heinz in keiner Weise aus; er mußte sich's gestehen, daß er sich keiner sonderlichen Gunst zu rühmen habe, so genau er auch aufmerkte. Nicht einmal von weitem mit den Augen gab sie ihm ein Zeichen, daß sie in Gedanken bei ihm sei. Nur manchmal, wenn er sie von irgendeinem versteckten Platze aus scharf beobachtete, flammte eine helle Röte über ihr Gesicht oder zog sie die Lippe zwischen die Zähne. Sie sah dann geärgert aus, und er konnte zu seinen Gunsten keinen Schluß ziehen.
Sie ritten auch zusammen aufs Feld, dessen weiße Schneedecke nun unter der Märzsonne zu schmelzen anfing. Aber stets sorgte sie geflissentlich dafür, daß einige von den Vettern sie begleiteten, und dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit anscheinend allen gleichmäßig oder eigentlich keinem von ihnen zu, sondern tat jeden Augenblick, was sie wollte, und überließ es den andern, ihrem Beispiel zu folgen.
Heinz wurde innerlich mehr und mehr verstimmt. Er hatte sich in der langen Zeit daran gewöhnt, Natalia allein für sich zu haben; schien sie doch nur für ihn zu leben. Das enge Turmstübchen war ihm durch ihre stete Gegenwart ein lieber Aufenthaltsort geworden. Kaum war er hinausgetreten, so mußte er glauben, sie in der Weite zu verlieren. Es war, als ob sie ihm recht geflissentlich zeigen wolle, wie wohl sie sich in der Freiheit fühle, wie es ganz in ihrem Belieben stehe, die Entfernung zwischen sich und ihm zu erweitern, während es ihn auch jetzt zu einem engen Zusammenschlusse drängte. Anfangs entschuldigte er sie damit, daß sie sich vor den Vettern zurückhalte, die sie wohl im Verdacht gehabt haben mochten, daß sie selbst ihres Gefangenen Gefangene geworden sei. Aber das paßte wenig zu ihrer sonstigen Art, sich um deren Urteil nicht im mindesten zu bekümmern und stets ihren Neigungen rücksichtslos nachzugeben. Was sollte er also von ihrem sonderbaren Benehmen halten? Sie hätte ja auch so oft Gelegenheit gehabt, ihm im geheimen zu verstehen zu geben, daß sie sich ihm nahe verbunden wußte. War's eine bloße Laune gewesen, daß sie sich ihm an die Brust warf und ihn durch die Leidenschaftlichkeit ihrer Empfindungen überraschte? War's auch jetzt wieder eine bloße Laune, wenn sie sich stellte, als wäre zwischen ihnen nichts vorgegangen? Erwartete sie, daß auch er sich nun bescheiden zurückziehe, oder wünschte sie ihn kecker und kühner auch in Gegenwart der Verwandten? Er konnte nicht daraus klug werden.
Und es reizte ihn fortwährend, daraus klug zu werden. Wäre er sich einer tieferen Neigung bewußt gewesen, vielleicht hätte er ihr sonderbares Wesen besser verstanden.
Nun dachte er nur immer an jenes letzte wonnige Beisammensein im Turmstübchen und füllte seine Phantasie mit Bildern, wie köstlich sich's an jedem Tage und zu jeder Stunde wiederholen könnte. Es ärgerte ihn, daß sie ihm entzog, was ihm doch schon gehörte, und er merkte dabei gar nicht, wie wenig sein Herz beteiligt war. Sie zu bezwingen, war sein ganzes Verlangen; und es wurde immer stürmischer, je freier und unabhängiger er sie sah. Nun nannte er sie grausam, weil sie sich seiner Willkür nicht überließ.
Eines Tages, als die Gesellschaft zu Pferde hinter einem Wolfe her war, der sich frecherweise aus dem Stalle ein Schaf geholt hatte, stachelte er so lange ihren Ehrgeiz, bis sie sich zu einen Wettritt über eine steinige Waldblöße entschloß. Bald waren sie ihren Begleitern weit voraus. Die Pferde schäumten und schnoben. Heinz gab sich nur halbe Mühe, seine kühne Vorreiterin zu überholen, seine Absicht war, sie möglichst weit von der lästigen Vetterschaft zu entfernen. Näherte er sich, so trieb sie ihr keuchendes Pferd zu noch tollerem Gange an. Um jenen Baum, rief sie ihm zu, und dann zurück! Ihr hättet die Wette nicht wagen sollen.
Das war nicht nach seinem Wunsche. Erreiche ich den Baum vor Euch, antwortete er, so ist sie gewonnen, und wir können dann die Tiere verschnaufen lassen, bis man uns nachkommt.
Es gilt, sagte sie nach kurzem Bedenken, und spornte ihr Pferd an.
Nun durfte er die Wette nicht verlieren. Bald war er an ihrer Seite. In rasendem Laufe jagten sie über Stock und Stein auf die Eiche zu. Schon war sein Gaul um eine Kopflänge voraus – keine fünfzig Schritte war's bis zum Ziele. Sie ermunterte ihr ermattendes Pferd durch lauten Zuruf. Es raffte sich zu einigen hastigen Sprüngen auf und gewann dadurch wieder die Vorhand. Da stolperte