Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.seinem munteren Töchterchen das Kommando, und der Kapitän steuerte ganz nach ihren Winken und Wünschen. So fuhren sie denn erst kreuz und quer durch die Schiffsstraßen, bald auf der Stadtseite, bald entlang der Speicherinsel, dann um dieselbe herum an der Schäferei und dem großen Scharpauschen Speicher vorbei bis zu den Mattenbuden und Reeperbahnen, wo überall ein lebhaftes Gewerbstreiben zu bemerken war, endlich durch einen Kanal wieder zur Stadt zurück und nun an der Lastadie hin, die außerhalb der Mauer der Rechtstadt in der Vorstadt lag. Sie war in lange »Dielenfelder« eingeteilt, schmale Streifen Landes, die sämtlich auf die Mottlau ausliefen. Die Junker hatten hier viel zu schauen. Da war ein besonderes »Mastenfeld«, auf dem die mächtigen Stämme gelagert und zugerichtet wurden, die in Masowien gewachsen und die Weichsel hinabgebracht waren, um zu Masten, Rahen und Stengen verarbeitet zu werden. Auf einem Felde wurden nur Vordinge, Leichterfahrzeuge mit flachen Böden, auf einem anderen nur Weichselschiffe, lange, flachgebaute Kähne mit ganz weit vortretendem Schnabel, gebaut oder repariert. Die anderen Felder zeigten große Stapel von Schiffsbauholz und dicht am Wasser schrägab auf den Kiel gestellte Seeschiffe, teils nur Rippenwerk, teils schon mit Planken bekleidet. Huxer erklärte, daß diese Felder von der Stadt an die einzelnen Schiffsbauer ausgeteilt seien. Die Lastadie steht unter zwei Ratmannen, sagte er, und kein Schiff darf ins Wasser hinab, sie hätten es denn vorerst besichtigt und für gut befunden. Das Boot fuhr nun in einen Wassergarten ein, der statt des Zaunes von schwimmenden, mit eisernen Ketten an Pfählen befestigten Balken abgegrenzt wurde. Darin schwamm das Holz, das noch nicht aufs Land gebracht war, die Bootsleute mußten es mit den Rudern fortschieben, um eine Gasse frei zu machen. Das ist meines Vaters Dielenfeld, sagte Maria, indem sie nach dem Lande wies, und das ist unser neues Schiff. Sie stiegen aus, und Heinz ließ sich's wieder nicht nehmen, dem Fräulein zum Sprunge aufs Trockene die Hand zu reichen und sie beim Klettern über die Balkenstapel zu unterstützen, wofür sie ihm lachend dankte, indem sie hinzufügte, sie sei übrigens gar nicht so ungeschickt, wie er wohl glaube, und habe oft genug hier den Weg auch allein gefunden, ohne zu fallen.
Nahe dem Wasser erhob sich ein mächtiger Schiffsrumpf, nur durch Stangen auf beiden Seiten gestützt. Wenn man daruntertrat und in die Höhe sah, hatte man leicht ein Gefühl von Schwindel, als müßte der Holzkoloß mit seinem überhangenden Bauche zur Seite umfallen. Auf den Gerüstbrettern oben saßen Arbeiter und klopften Werg in die Fugen, daß man vor dem Lärm der Hämmer kaum sein eigen Wort verstehen konnte. Sobald Huxer bemerkt wurde, kamen aus den Holzbuden die Aufseher heran und begrüßten ihn. Wollt ihr auch hinauf? fragte er die Junker, die natürlich sogleich bereit waren. Es wurden nun festere Leitern angesetzt. Kaum waren die Männer auf Deck angelangt, als auch Maria ihnen nachkletterte, während Katharina unten Wache hielt. Du bist noch immer der alte Wildfang, schalt Huxer schmunzelnd, und vergißt deine sechzehn Jahre. – Ich will schon geschickt wieder hinabkommen, meinte sie und zog das Band an dem einen der braunen Zöpfe fester, der an der Spitze aufgegangen war.
Vom Deck der Holke hatte man eine freie und ziemlich weite Aussicht über die Vorstadt bis zum Hagelsberge und nach der anderen Seite hin die Mottlau hinauf, wo sich rechts und links die Holzwiesen ausbreiteten. Auf der einen wurde der eichene »Wagenschoß« gebrakt, das kostbarste Material zum Schiffsbau und zur Ausfuhr über See, auf der anderen das dünnere »Klappholz«, auf einer dritten das »Bogen- und Bottichholz«, das die Handwerker brauchten. Im Wasser lagen Flöße und lange flache Wittinnen, die aus Polen Getreide gebracht hatten und nun zerschlagen wurden. Es war ringsum ein reich belebtes Bild.
Nach der Besichtigung des Schiffes wurde wieder das Boot bestiegen und auf den Fluß hinausgesteuert. Wie gefällt's Euch in unserem Danzig? fragte Maria, der Antwort gewiß. Heinz versicherte, daß ihm der Abschied schwer werden müßte, der in wenigen Tagen bevorstehe. Ah, das können wir nicht gelten lassen, Junker! rief sie. Ihr müßt die Pfingsten hier verleben, die ja so nahe sind. Hat man's Euch denn noch nicht gesagt, daß der Artushof am zweiten Feiertage ein großes Fest veranstaltet? Da sollt Ihr einmal den Mairitt sehen, und wenn Ihr Euch an den Nachspielen beteiligen wollt, steht gewiß nichts im Wege. Abends aber gibt's im Hofe einen lustigen Tanz. Ihr tanzt doch gern, Junker? Das konnte er nun nicht in Abrede stellen. Hans redete zu; sein lieber Wirt habe ihm auch schon gesagt, daß er ihn nicht fortlasse, und Heinz werde es ja nicht so eilig haben, daß er um eine Woche markten müsse. Huxer bat die beiden Junker, morgen abend im Artushof seine Gäste zu sein, damit er sie bei den Alderleuten einführe. Heinz ließ sich gern bestimmen; Marias muntere Augen hatten es ihm angetan.
Sie kreuzten noch eine Weile den Fluß vor der Stadt. Dann, als die Sonne sich schon neigte, stiegen sie wieder am Koggentor aus. Maria brachte ihre Freundin Katharina nach Hause, und die jungen Herren gaben das Geleite. Erst an Huxers Tür trennten sie sich.
5. DER WALDMEISTER VOM MELNO-SEE
Der nächste Tag war ein Samstag und Markttag. Heinz kam schon früh vom Schloß nach der Stadt, um das bunte Leben und Treiben zu betrachten, auf das er durch seinen Schlafgenossen aufmerksam gemacht war. Heute hatte jeder volle Freiheit zu kaufen und zu verkaufen. Auf dem Langen Markt waren die Läden der Fleischer, Bäcker und Krämer aufgebaut; auf dem Fischmarkt hielten die Fischer vom Hakelwerk in Bütten, Flechtkörben und Wasserkufen ihre Ware feil. Durch das Tor fuhren die Wagen der Landleute ein, die frische Gemüse, Hühner, Butter, Flachs, Honig und Wachs zur Stadt brachten oder ihre Einkäufe zu machen kamen. In langen Reihen standen sie aufgefahren, und die kleinen Pferde futterten, während Mann und Frau ihre Geschäfte besorgten. Die kleine Stadtwaage am Rathause war dicht umdrängt, aber auch an der großen unten am Koggentor gab's alle Hände voll zu tun, denn der Rat hielt darauf, daß jeder Käufer sein richtiges Gewicht erhalten mußte, wenn die Ware einen halben Stein und mehr wog, und hatte deshalb zwei geschworene Wäger mit einigen Gehilfen angestellt.
Heinz ließ sich nach der Badestube in der Heiligengeistgasse weisen, die dem Bader Wolter Grelle gehörte, einem kleinen, sehr gesprächigen Männchen, das alle Stadtneuigkeiten wußte und den Junker über das Leben im Schlosse auszufragen bemüht war. Die Zeiten sind besorglich, plauderte Grelle, sehr besorglich. Ich habe meine Badestube eine Reihe von Jahren vermietet gehabt und meinte, mich zur Ruhe setzen zu können. Aber wer weiß, was für Unruhen noch über uns kommen; da ist's besser, selbst sein Geschäft in der Hand zu haben. König Jagello ist ein gar mächtiger Herr geworden, seit er sich mit seinem Vetter, dem Herzog Witowd von Litauen verglichen hat, und unser gnädigster Herr Hochmeister Ulrich von Jungingen … Er verschluckte sich, hustete und schnitt Grimassen. Gott schenke ihm den Sieg, fuhr er leiser fort, aber ich fürchte, es steht in den Häusern nicht ganz so gut, als er's sich wünschen mag. Es ist nicht ohne Gefahr, davon zu reden, und ich schweige lieber. Man muß zu vielem schweigen, was nicht in der Ordnung ist, da man's doch nicht ändern kann. Hier, in der Stadt … Er hüstelte wieder. Es ist viel Unzufriedenheit in der Bürgerschaft, und bricht's einmal los, so weiß man nicht, was alles geschieht. Nach unsern alten Briefen soll jeder in der Gemeinde gleiches Recht haben. Der Rat aber schließt sich ab und ergänzt sich nur aus den Werken, das ist: aus den Großhändlern und Seeschiffern; die Ämter stellen auch Männer, die sich der Ehre wert erachten und wohlhabend genug sind, der Stadt dienen zu können. Besonders die Brauer stecken viel die Köpfe zusammen und haben dem Herrn Komtur schon so manches schöne Faß Märzbier zum Geschenk aufs Schloß geschickt, ihn für ihre Sache zu gewinnen. Fragt nur den Kellermeister. Ei – ei – ei! Das gibt nichts Gutes.
Durch das Bad erfrischt, suchte nun Heinz seinen Freund Hans von der Buche bei Barthel Groß auf und fand ihn bei der Frühstücksbiersuppe. Es wurde gleich wieder wegen des Pfingstfestes beraten, zu dem Vorbereitungen nötig waren. Soll ich mit stechen und tanzen, sagte Heinz, so will ich auch ein neues Wams haben für mein abgetragenes, das nun noch beim Kampf auf der See einige Schlitze an der unrechten Stelle bekommen hat. Ich fürchte nur, der Krämer übervorteilt mich, weil ich fremd bin, und der Schneider schafft das Werk nicht mehr zum bestimmten Tage fertig, wenn er's auch verspricht.
Dazu kann Euch mein Mann helfen, Junker, antwortete Frau Anna. Ich rate Euch, das Tuch nicht beim Krämer nach der Elle abschneiden zu lassen, sondern lieber gleich ein halbes Laken zu kaufen und auch die Borten im ganzen Stück. Was Euch dann