Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.mit einem kleinen Gefolge. Er ging der Marienkirche zu und hatte vielleicht auf dem Rathause etwas zu verhandeln. Sie grüßten und ließen ihn vorüber.
Der Schroter nahm sorgfältig das Maß, rühmte des Junkers hohe Brust und kräftige Schultern, riet ihm, den Gurt ein wenig fester zusammenzuziehen, damit die Brust freier vortrete, und versprach, alle andere Arbeit liegenzulassen und das Wams pünktlich zum bestimmten Tage abzuliefern. Daß er dem Ratsherrn beim Abschied an der Haustür mit vielen Bücklingen für die neue Kundschaft dankte, versteht sich von selbst.
Und nun zu Mittag! mahnte Barthel Groß, damit Frau Anna nicht die gute Laune verliert, wenn wir verspäten. –
Der Hauskomtur trat durch die Pforte nach der Heiligengeistgasse in die Marienkirche ein, verrichtete am Hauptaltar ein stilles Gebet und setzte seinen Weg durch die Ausgangstür nach der Frauengasse weiter fort, indem er dann seitab bog und die Richtung nach dem Rathaus nahm. Dort ließ er seine Begleiter in der Halle und trug dem Ratsboten auf, die beiden Prokonsuln zu berufen, da er mit ihnen zu verhandeln habe. Der Bote öffnete ihm ehrerbietig eines der Zimmer, das zum Empfang hoher Gäste bestimmt und mit kostbaren Tapeten von Wollenstoff mit eingewirkten Mustern sowie mit Teppichen von gleicher Art geschmückt war.
Eine Viertelstunde darauf erschienen Konrad Letzkau und Arnold Hecht, die Bürgermeister, in ihrer Amtstracht. Nach freundlicher Begrüßung nahmen die drei Männer auf hochlehnigen Sesseln um einen Tisch mit zierlichen Füßen Platz.
Ich komme im Auftrage des Herrn Komturs, begann der Ritter, und bitte für das, was ich zu melden habe, um williges Gehör.
Wir sind alle Zeit des Herrn Komturs dienstergebene Beamte dieser Stadt, über die er von dem Herrn Hochmeister gesetzt ist, antwortete Letzkau, sich verbeugend. Es ist unsere Pflicht, zu hören, was der hohe Herr uns zu melden hat, und je nach den Umständen selbst zu antworten oder dem Rat die Antwort vorzubehalten.
So ist es, bestätigte Hecht.
Die Sache sollte wohl so klar sein, fuhr der Hauskomtur fort, daß es langer Erwägung nicht bedürfte. Es handelt sich um das Gericht über die gefangenen Seeräuber.
Hecht zog die Augenbrauen auf und warf einen Seitenblick auf seinen Amtsgenossen. Letzkau verzog jedoch keine Miene, sondern antwortete in ruhigem Tone: Ich meine, die Sache ist klar, hochedler Herr.
Der Hauskomtur nickte. Und doch hat es fast den Anschein, als ob wir verschiedener Ansicht wären, in welcher Weise sie klar ist. Wir hören im Schlosse, daß euer Schultheiß die Schöffen zu einem Beiding auf nächsten Montag verbottet hat, über Marquard Stenebreeker und seine Genossen zu richten. Ist dem so?
Dem ist so, entgegnete Letzkau.
Und ich denke, wir sind dazu wohl berechtigt, fuhr Hecht lebhaft auf. Letzkau gab ihm mit der Hand einen Wink, sich ruhig zu halten.
Der Hauskomtur wandte sich nun aber an ihn. Wohl berechtigt, sagt Ihr? Wir im Schlosse sind anderer Meinung und haben bisher die Auslieferung der Räuber erwartet.
Hecht schnellte von seinem Stuhle auf. Mit welchem Recht –
Letzkau legte die Hand auf seine Schulter und drückte ihn sanft in den Sessel zurück. Es wird sich ja finden, lieber Kumpan, sagte er, lächelnd über seinen Eifer, hören wir doch den Herrn Hauskomtur bis zu Ende; er hat gewiß seine guten Gründe.
Ohne Zweifel, bestätigte derselbe, denn sonst wäre ich nicht hier. Ihr Danziger der Rechten Stadt habt nach euren Privilegien die Gerichte groß und klein innerhalb der Stadtgrenzen, so jedoch, daß Bluturteile nicht vollstreckt werden dürfen ohne des Komturs Wissen und Genehmigung. Steht es so geschrieben?
Es wird so von alters gehalten im Lande. Aber darüber ist, denke ich, zur Zeit kein Streit. Das Gericht hat über die Räuber noch nicht gesprochen, und es liegt kein Bluturteil zur Vollstreckung vor.
Ganz recht. Es ist aber auch von alters im Lande so gehalten, daß der Komtur selbst oder sein Hauskomtur nach ihrem Belieben jedem Gericht der Stadt vorsitzen dürfen, wenn es ihnen angemessen scheint wegen des absonderlichen Falles oder zur Betätigung der obersten Macht des Ordens, von der alle Gerichtsbarkeit im Lande ausgeht.
Das bestreiten die großen Städte, rief Hecht, ihre Gerichte sind frei und bedürfen keiner Beaufsichtigung, solange sie ihre Rechte nicht mißbrauchen. Unsere gescholtenen Urteile gehen an den Rat der Stadt Kulm nach der Kulmer Handfeste, auf die unser Privilegium gründet, nicht an den Komtur.
Von gescholtenen Urteilen ist hier die Rede nicht, antwortete der Ritter. Im übrigen wüßte ich nicht, daß die großen Städte vor den kleinen etwas voraus hätten nach den Landesordnungen, ob sie schon gern sich über sie setzen und auch der Herrschaft gegenüber als befreit von mancherlei Verpflichtungen gelten möchten. Besonders die Rechtstadt Danzig –
Herr Ritter, unterbrach Letzkau ohne sichtliche Erregtheit, wir kommen da unversehens auf einen Gegenstand, der wohl besser im Hochschloß der Marienburg verhandelt wird, als hier auf dem Danziger Rathause. Was nützen solche Vorwürfe? Verstehe ich Euch recht, so seid Ihr gekommen, um diesmal den Vorsitz in unserem Gericht zu fordern. Ist dem so, so wollen wir Antwort geben, sobald der sitzende Rat einig geworden ist.
Der Hauskomtur blickte finster auf den einen und den andern. Wir fordern mehr, sagte er, und erwarten willigen Gehorsam. Ihr habt die Gerichte in der Stadt über eure Bürger und über Fremde, die in der Stadt ergriffen werden oder euren Schutz anrufen. Die Straßengerichte, wißt ihr, hat der Orden überall sich vorbehalten.
Hecht sah ihn ganz verdutzt an; er begriff offenbar nicht, worauf das hinaus sollte. Der erste Bürgermeister aber entgegnete: Wem kann es in den Sinn kommen, das zu bestreiten? Ich hoffe, der Orden hat keine Klage über uns, daß wir in seine Straßengerichtsbarkeit eingegriffen haben.
Ihr seid aber eben auf dem Wege, bemerkte der Komtur. Es gibt Landstraßen und Wasserstraßen; Straßen aber sind die einen so gut wie die anderen, und was darauf geschieht wider Gesetz und Recht, das kommt vor des Ordens Vogt.
Letzkau richtete sich im Stuhle auf. Es gibt Landstraßen, und es gibt Wasserstraßen im Lande, antwortete er; wir aber haben auf offener See ein Räuberschiff genommen und richten unsere Gefangenen.
So wollt Ihr in Abrede stellen, daß auch die See eine Wasserstraße ist?
Aber eine Wasserstraße zum freien Verkehr aller Völker und außerhalb des Deutschen Ordens Gebiet.
Was wir mit unserer Macht ergreifen, das ist unser Gebiet.
So macht euch doch erst zu Herren des Meeres. Schlimm genug, daß der friedliche Kaufmann sich zur Wehr setzen muß gegen die Vitalienbrüder, um sein Gut sicher in des Landes Häfen einzubringen.
Und war's nicht ein Danziger Schiff, hielt Hecht sich nicht länger zurück, und geschieht nicht auf Danziger Grund und Boden, was auf Deck eines Danziger Schiffes geschieht? Antwortet uns darauf.
Ihr legt's so zu euren Gunsten aus, widersprach der Ritter, aber der Orden stimmt nicht zu.
So sind wir eben uneins über eine Frage des Rechts, die noch unentschieden ist, sagte Letzkau, die Hand auf den Tisch stützend, und da wir im Besitze sind, können wir abwarten, bis ein anderer ein besseres Recht nachweist.
Wie? Ihr wollt uns die Gefangenen weigern? fuhr der Komtur auf.
Wir wollen unser Recht wahren, entgegnete der Bürgermeister.
Bedenkt noch eins! rief der Ritter. Es waren nicht nur Danziger Schiffskinder, die das Räubervolk überwältigt und eingebracht haben. Mit Hilfe unserer Brüder haben sie gesiegt, und unsere Brüder haben das Beste beim Kampfe geleistet; der Orden hat einen Toten zu beklagen.
Ei was – das Beste! knurrte Hecht.
Wir unterschätzen diesen Beistand nicht, antwortete Letzkau mit aller Höflichkeit. Aber die Ritter waren Schiffsgäste und haben für ihre eigene Freiheit gekämpft; daraus folgt nichts gegen unser Gericht. So gut könnte sonst der edle Vogt von Plauen Gericht und Beute für sich fordern, weil einer seiner Verwandten mitgefochten hat.
Der Hauskomtur erhob