Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.stellte er unter den Oberbefehl eines Ordensritters, den er als tapfer und zuverlässig kannte, zur Bewachung des mittleren Hauses; den Rest, meist nur Bürger der Stadt Marienburg und Bauern aus dem Werder, übergab er seinem edlen Vetter Heinrich zur Deckung der Vorburg; er konnte überzeugt sein, daß sie dieselbe aufs tapferste verteidigen würden, da sie dort zugleich für Weib, Kind und Habe kämpften. Unter dieses Führers Befehl stellte sich auch Hans von der Buche, um Waltrudis nahe zu bleiben, und erhielt die Aufsicht über zwei Türme und einen Teil der Mauer auf der Flußseite.
Dann kam durch einen der zur Kundschaft ausgesandten Boten die Nachricht, daß König Wladislaus Jagello in Stuhm, zwei Meilen von Marienburg, angelangt sei und dort sein Hauptquartier genommen habe. Bald – es war am zehnten Tage nach der Tannenberger Schlacht – sah man auch deutlich vom hohen Wachtturm aus von verschiedenen Seiten her dichte Reiterscharen der Polen und Litauer wie Heuschreckenschwärme über das flache Feld heranziehen. In einiger Entfernung von der Burg lagerten sie. Es folgten ihnen mächtige Haufen Fußvolks, lange Züge von Wagen und Schlachtvieh, Wurfmaschinen, Sturmdächer, das bei Tannenberg erbeutete Geschütz. In weitem Kreise besetzten sie alle Gehöfte, überall blitzten die Waffen. Wie mit einem eisernen Ringe schienen sie die Burg umspannen zu wollen, und wie des Zuzugs gar kein Ende war und nun die vordersten Massen vorrückten, da schlug auch manchem tapferen Manne der Besatzung ängstlich das Herz, wenn er an die kleine Zahl der Verteidiger dachte und des siegreichen Feindes Übermacht vor Augen sah.
Der König hatte kaum auf ernstlichen Widerstand gerechnet, überall vor ihm her hatten sich Burgen und Städte ergeben, die Landesbischöfe sich beeilt, ihm zu huldigen; er meinte nur mit seinem mächtigen Heere vor der Marienburg erscheinen zu dürfen, um der sofortigen Übergabe gewiß zu sein. Darin täuschte er sich. Die Vorhut fand die Brücke abgebrochen, die Stadt niedergebrannt und rings um die Burg glühende Aschenhaufen, die keine schnelle Annäherung gestatteten. Auf den Mauern aber und hinter den Zinnen standen Männer im Harnisch, aus den niedrigen Bogenöffnungen der Wehrgänge blickten drohend die Eisenköpfe der Kanonen, überall waren die Tore fest geschlossen, die Fallbrücken aufgezogen: man mußte sich auf einen unerfreulichen Empfang gefaßt machen und fürs erste unverrichtetersache abziehen.
Da nun der König und der Großfürst merkten, daß die Burg zur Gegenwehr gerüstet sei, beschlossen sie, eine feierliche Aufforderung zur Übergabe zu erlassen. Der Schreiber Sbigneus mußte einen Brief ausfertigen. Polnische und litauische Edle wurden mit einer kleinen Schar nach der Marienburg geschickt. Ein Trompeter ritt voran; hinten nach aber wurde die Leiche des Hochmeisters in einem schlichten Sarge getragen.
Der Trompeter blies. Von der Mauer wurde ihm geantwortet. Bald erschien dort Plauen und fragte nach der Herren Begehr. Sie zeigten auf den Brief und den Sarg und winkten den Burgleuten, hinauszutreten zur Verhandlung.
So fiel nun die Zugbrücke, und der Statthalter erschien mit stattlichem Gefolge schwerbewaffneter Männer auf derselben. Der Anführer der Polen trat in stolzer Haltung vor und nahm das Wort. König Wladislaus Jagello, sagte er, König von Polen und Großfürst von Litauen, unser großmächtiger Herr, entbietet dem Befehlshaber dieser Burg, wer er auch sei, gnädigen Gruß zuvor. Es hat Gott gefallen, ihm bei Tannenberg Sieg zu geben über das Ordensheer und seine Feinde gänzlich zu vernichten. Burgen und Städte sind in seiner Hand. Das Land beugt sich seinem Willen. Durch uns sendet er euch des erschlagenen Hochmeisters Leichnam, damit ihr nicht zweifelt, daß der Orden ohne Oberhaupt sei, und ihn mit allen Ehren beisetzet in der Gruft seiner würdigen Vorgänger. Denn der König ist ein christlicher Herr und will nicht Rache nehmen am toten Feinde, dessen ritterliche Tapferkeit er nach Gebühr würdigt. Empfangt also diesen Sarg. Empfanget aber auch diesen Brief, der euch des Königs Milde und Barmherzigkeit kundgibt. Er will unnötiges Blutvergießen vermeiden und niemand strafen für die Beleidigungen eures Ordens, wenn ihr freiwillig die Waffen niederlegt und ihm die Tore der Marienburg öffnet. Schaut euch um! Ein gewaltiges Heer rückt gegen euch an, und wir wissen, daß ihr nur ein kleines Häuflein seid, das nicht wenige Tage Widerstand leisten kann. Es wäre Tollheit, ihn zu versuchen. Daher ergebt euch des Königs Gnade. Wenn ihr aber eurem gnädigen Herrn den Einzug weigert, so wisset, daß er sofort eure Mauern berennen und eure Tore mit Gewalt öffnen wird, und daß keiner von denen, die gegen ihn die Waffen erheben, lebendig diesen Platz verlassen soll. Das hat er auf die heilige Hostie geschworen. Geht nun hierüber zu Rat und gebt mir zu eurem Besten eine gefällige Antwort.
Plauen hatte diese lange Rede angehört, ohne mit den Wimpern zu zucken. Auf sein Schwert gestützt, mit gesenktem Haupte stand er da, seine grauen Augen starrten auf den Sarg. In derselben Stellung antwortete er mit ruhiger, klarer Stimme, daß seine Rede weithin auf der Mauer zu vernehmen war: Es bedarf keines Ratschlagens unter uns, denn wir waren schon einig, ehe ihr kamt. Wir beugen uns in Demut Gottes Willen; aber wir hoffen: ob er uns schon hat strafen wollen wegen unseres Ungehorsams und unserer Sünden, daß er doch nicht für immer seine Hand von denen werde abgewendet haben, die er züchtigte, daß sie ihn besser erkennten. Und so antwortet Bruder Heinrich von Plauen, des Deutschen Ordens gewählter Statthalter, dem König, eurem Herrn: Wir danken ihm mit aufrichtigem Herzen für des teuren Hochmeisters entseelten Leib und werden seiner Huld gedenken, wenn wir ihn zur Ruhe bestatten. Bei seinen Wunden aber sei's geschworen, daß wir diese Burg der Heiligen Jungfrau Maria nicht übergeben ohne ernsten Kampf, und daß wir sie verteidigen wollen mit starkem Arm und ritterlichen Waffen, bis uns keine Hoffnung bleibt. Will dann der König Rache nehmen an denen, die ihre und des Landes Ehre wahrten, so müssen wir's dulden. Er aber wird dem Strafgericht Gottes nicht entgehen. Das sagt dem Könige und seinem Vetter Witowd, um den der Orden einen besseren Dank verdient hätte.
Seine Begleiter nahmen den Sarg auf und trugen ihn in den Burghof. Die Brücke rasselte zu, und mit lauten Flüchen und Drohungen ritten die Boten nach dem Lager zurück. Zornig gab Jagello den Befehl zum Angriff.
In der Burg aber war viel Jammern und Wehklagen, als nun der Deckel des Sarges gehoben wurde und der nackte Leib des Mannes dalag, der einst ein mächtiger Herrscher gewesen war, und den jeder nur in kostbarer Kleidung oder in strahlenden Waffen gesehen hatte. Plauen band seinen weißen Mantel von der Schulter und deckte ihn über die Leiche, daß nur der Kopf und ein Teil der Brust mit den Wundmalen sichtbar blieb. So stand der Sarg eine Stunde lang allem Volk zur Schau; zwei Priesterbrüder beteten an demselben.
Indessen wurde die Gruft der St.-Annen-Kapelle zur Aufnahme des teuren Toten vorbereitet. Von Fackelträgern begleitet erschienen die Brüder, deckten den Sarg zu und trugen ihn nach der Kirche. Dort führten zu beiden Seiten zwei Eingänge zur Kapelle hinab, jeder mit einer kleinen Vorhalle versehen, deren Wände mit Blätterwerk, Laubgewinden und Darstellungen aus der Heiligen Geschichte reich verziert waren. Durch die eine der beiden Türen von dunkelschwarzem Kalkstein wurde der Sarg hinter den Fackelträgern und singenden Priesterbrüdern in die schmucklose, düstere Kapelle getragen und in die geöffnete Gruft hinabgelassen. Als die Steinplatte übergedeckt war, knieten alle Leidtragenden nieder und beteten für die Seele des Erschlagenen, während über ihnen in der Kirche die tiefen Töne der Orgel langsam und feierlich verhallten.
Es war das letzte Friedenswerk. Am andern Tage schon dröhnten die Geschütze, die jenseits des Flusses und hinter den Stadtmauern von den Belagerern in Eile aufgepflanzt waren. Die Kugeln taten anfangs aus der Entfernung wenig Schaden. Aber den Litauern gelang es bald, eine Furt durch den jetzt im Hochsommer flachen Nogatstrom zu entdecken und das mittlere Schloß zu bedrängen, während die Polen einen Teil des erbeuteten Geschützes auf den Turm der Stadtkirche schafften und von da aus ein wirksames Bewerfen der Burg mit Kugeln begannen. Die Besatzung wurde zu Ausfällen genötigt und trieb jedesmal den Feind mit blutigen Köpfen zurück. Aber unerschöpflich schien der Zufluß der Belagerer: an die Stelle von hundert Gefallenen traten tausend neue, noch unermüdete Streiter.
Tag und Nacht lagen in der Kirche die Priesterbrüder vor den Altären auf den Knien und flehten die Schutzpatronin des Ordens um Beistand in der Not an. Aber auch sie schien zu zürnen oder noch schwerere Prüfungen verhängen zu wollen.
Auf Entsatz der Burg war nicht zu hoffen. Heinrich von Plauen stand ganz auf sich allein.
18. DANZIGER WIRREN